Rezension komischer England-Roman: Zwei an einem Tag, engl. One Day, von David Nicholls (2009) – 7 Sterne – mit Video & Links

Eine lakonisch romantische Komödie über zwei Jahrzehnte: Nach der Uni-Abschlussfeier verbringen Emma und Dexter eine gemeinsame Nacht; anschließend bleiben sie befreundet, haben aber jahrelang jeweils andere Partner. Dexter ist reich, lässig und wird TV-Moderator; Emma strampelt sich ab und endet als kleine Lehrerin.

Die Geschichte verkaufte sich in Deutschland angeblich 1,5 Millionen Mal und wurde 2011 mit unverändertem Titel verfilmt (s.u.). Nicholls Roman Drei auf Reisen (2014) hat einige Parallelen, ist aber keine Fortsetzung.

Fazit:

Nicholls schreibt spannend, witzig, teils einfühlsam und mit viel Zeitgeist – sehr leicht lesbar. Smarte Dialoge ohne Ende. Allerdings erzeugt Nicholls die Spannung teils mit aufdringlichen Cliffhangern – er unterbricht, kurz bevor es interessant wird. Die Hauptfigur Dexter ist unklar definiert.

Das hat mir gefallen:

  • smarte Dialoge ohne Ende, auch smarte Briefe
  • verblüffende Einfälle, inhaltlich und erzählerisch
  • insgesamt spannende Geschichte (allerdings durch die Romanstruktur und aufdringliche Cliffhanger immer wieder unterbrochen)
  • zurückhaltender Erzählton ohne präpotente Adjektive und effektverliebte Metaphern (vielleicht auf Dauer etwas zu lakonisch zeitraffend säuselnd, und im Englischen erscheint viel zu oft das Wort “woozy”)
  • Details werden 300 Seiten später wieder aufgegriffen oder gespiegelt, die Geschichte rundet sich zum Ende gefällig – schon zu gefällig?

Das hat mir weniger gefallen:

  • Die Witze wirken mitunter vorhersehbar und kommen zu gleichmäßig; alle reden gleich witzig, auch der angeblich nicht witzige Dexter und seine Mutter
  • die Cliffhanger kommen zu aufdringlich und zu oft: Wird es spannend, bricht der zitierte Brief oder das Kapitel ab, wieder und wieder
  • Dexter ist ohnehin nicht klar definiert, sein Charakter wechselt nach Bedarf
  • Emma macht unglaubwürdig wenig aus sich und ihrer Uni-Ausbildung
  • und so scheint der Roman etwas wenig Substanz zu haben und geht nicht so ans Herz.
  • Zumal wir Emmas Humor, Denk- und Redeweise genau kennen, aber kaum etwas über ihr Äußeres hören (außer dass sie mit den Jahren besser und schlanker aussieht).
  • Mitunter kündigt Nicholls wichtige Wendungen der Handlung unnötig dramatisierend an; die Auflösung lässt dann auf sich warten, aber nie zu lange
  • über 435 Seiten beschreibt jedes Kapitel nur einen Tag und springt dann ein Jahr weiter.Weil man das bald  weiß, kann man sich auf geschilderte Entwicklungen weniger einlassen – sie brechen ohnehin ab und werden dann im nächsten Kapitel rekapituliert (aber nicht am Anfang des nächsten Kapitels)
  • vielleicht packt Nicholls zu viel eigene Biografie ins Buch – Jungschauspieler, Erlebnisse als Jungautor und TV-Macher
  • einige auffällige Tippfehler in meiner englischen Hodder-Taschenbuchausgabe: Öfter fehlen zwei bis drei Buchstaben, entweder Endungen oder Präpositionen, gegen Ende fehlen manchmal Abführungszeichen

Assoziationen zu anderen Büchern:

One Day erinnert an viele andere humorvolle Bücher. Weniger an Nicholls’ Vorgänger wie Keine weiteren Fragen, engl. Starter for Ten, das unter Jungstudenten spielt oder an Ewig Zweiter (engl. The Understudy), das nicht so sehr mit Liebe zu tun hat (aber mit Schauspielern, wie auch One Day zu Beginn), deutlich jedoch an Nicholls 2014er-Geschichte, Drei auf Reisen (engl. Us), die sich ebenfalls über mehrere Jahrzehnte erstreckt und u.a. von Familiengründung handelt.

Zwei an einem Tag erinnerte mich auch stark an Autoren, die lakonisch und mit liebevollem Spott von der Liebe erzählen, etwa von Lorrie Moore und Norah Ephron. Der Ton erinnerte mich auch an die gedruckten Büro-Komödien Die Unperfekten/The Imperfectionists von Tom Rachman (wie bei Nicholls mit Schauplatz Rom) und Wir waren unsterblich/Then We Came to the End von Joshua Ferris.

Bis hierhin habe ich (abgesehen von Nicholls selbst) nur US-Parallelen genannt. Aus England teils vergleichbar ist Philip Normans Everyone’s Gone to the Moon, das wie zeitweise One Day in der eitlen Londoner Medien-Welt spielt; wegen des englischen TV-Produzenten-Biotops dachte ich auch an James Meeks Liebe und andere Parasiten (das ebenfalls starke Dialoge in London und eine unstete Liebesbeziehung beschreibt).

Natürlich hat Zwei an einem Tag auch viel von Nick Hornby – die vagen Beziehungen, die unsteten Jobverhältnisse, England. Und ein dickes Lob von Hornby prangt auf meiner englischen Taschenbuchausgabe: “Big, absorbing, smart”; das erste Adjektiv ist zu hoch gegriffen.

Weil sich die Liebesgeschichte in Zwei an einem Tag über mehrere Jahrzehnte und Kontinente erstreckt, ohne im mindesten schwer zu wirken (nicht mal in tragischen Momenten), dachte ich auch an Wolf Haas’ Verteidigung der Missionarsstellung. Dagegen hat Zwei an einem Tag wohlgemerkt keine Parallelen mit Buch oder Verfilmung von Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück: David Nicholls’ weibliche Hauptfigur Emma ist weit weniger dämlich, männerhörig und ehebesessen als Bridget Jones; bei Nicholls sehen die Männer weit schlechter aus als bei Jones-Erfinderin Helen Fielding. Auch der Vergleich mit Thommie Bayer passt nicht.

Assoziationen zu Filmen:

  • Deutlich erinnert One Day an englische romantische Kino-Komödien wie Vier Hochzeiten und ein Todesfall oder teils an Die Hochzeit meines besten Freundes (auch bei Nicholls gibt es eine pompöse Landhochzeit und einen besten Freund, der die Falsche heiratet). Der junge Hugh Grant könnte gut die Hauptfigur Dexter spielen (tatsächlich wird Dexter im Film verkörpert von Jim Sturgess, den allerdings mehrere Kritiker mit Hugh Grant vergleichen, s.m. Filmbesprechung).
  • Weil die weiße Lehrerin Emma kurz mit einer klugen schwarzen Schülerin zu tun hat, denkt man auch an den Film Half Nelson.
  • Ich assoziierte zudem die Before- und After-Filme von Richard Linklater mit Julie Delpy und Ethan Hawke; dort wie bei Nicholls reden moderne Paare altklug unterhaltsam über Beziehungstechnisches, und das jeweils innerhalb eines sommerlichen Tages (bei Nicholls Jahr für Jahr am 15. Juli, wie Linklaters Paare über mehrere Jahrzehnte hinweg); oft flanieren sie an der frischen Luft, immer in Europa, zweitweise bei Nicholls wie bei Linklater auf idyllischen griechischen Inseln oder in Paris (und Linklater wie Nicholls haben eine wichtige Szene in einem kleinen Pariser Apartment)

Verfilmung:

Das Drehbuch zur Verfilmung (oberalb der Trailer) stammt von David Nicholls, der die ungewöhnliche Struktur beibehält – ein Tag pro Jahr – und nur ein paar Nebenfiguren streicht. Regisseurine Lone Scherfig präsentiert schöne Menschen (Jim Sturgess, Anne Hathaway) schön gefilmt und weniger ansprechend als im Roman (s.m. Kritik zum Film).

Kritiker:

Der Roman wurde ein Bestseller und auch von der Kritik hochgelobt, vor allem in England, aber ebenso in der New York Times. Den englischen Adelstitel, eine Nominierung zum Man Booker-Preis, erhielt aber erst Nicholls’ späteres Buch Drei auf Reisen.


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