Romankritik: Drei auf Reisen, von David Nicholls (2014, engl. Us) – 8 Sterne

David Nicholls beginnt diesen Roman einer Ehe mit einem Schock: Ich-Erzähler Douglas hört von seiner Frau Connie (beide über 50), dass sie ihn nach 20 Jahren eigentlich angenehmer Ehe verlassen möchte, aber nicht von heute auf morgen. Bald gehen die beiden samt Sohn Albert, 18, auf eine lange geplante Sommerreise durch Museen auf dem europäischen Festland.

Ab hier bewegt sich der Roman auf zwei Schienen: Douglas erzählt, wie es weitergeht und schildert in vielen kleinen Rückblenden die Phase des Kennenlernens, als sie beide Endzwanziger waren, und die ersten Ehejahre. Und der Leser will bis zum Schluss wissen: Bleiben sie zusammen oder nicht?

Leicht konsumierbar:

David Nicholls schreibt kurze, markante Kapitelchen, die kaum ein oder zwei Seiten belegen. Sein Ich-Erzähler ist enorm selbstkritisch und selbstreflektierend, vernünftig allzu-vernünftig. Natürlich gibt es wieder markante Dialoge – alle reden so, wie der Erfolgsautor David Nicholls schreibt, intelligent untertreibend selbstironisch, auch 18jährige Schluffisöhne, dänische Zahnärztinnen und australische Straßenmusikerinnen. Einmal zitiert Nicholls Lorrie Moore, eine andere Meisterin selbstspöttischer Einzeiler.

Nach Keine weiteren Fragen (engl. Ten for Starters, 2005), Ewig Zweiter (engl. The Understudy, 2006) und Zwei an einem Tag (engl. One Day, 2009) stellt Nicholls erstmals echte Erwachsene mit Kindern und Bürojob und nicht flippige Berufsjugendliche in den Mittelpunkt. Insgesamt wirkt das Buch so etwas ernster und substantieller als die Vorgänger, erinnert eher an Frayn und Torday als an Hornby – und Nicholls wollte gezielt “ein erwachseneres, komplizierteres Buch” schreiben, erzählte er der Zeit.

Doch Nicholls erreicht nie die kühle Tiefe von Richard Yates, Louis Begley oder James Salter – und die Rückblenden zeigen wieder Nicholls-typische rotweinaffine Twens mit kreativen Ambitionen. Man könnte Drei auf Reisen auch als Zwei an einem Tag mit Nachwuchs bezeichnen – wieder ein Paar über zwei Jahrzehnte, diesmal mit Kind und weniger Kuddelmuddel. Eine lang zurückliegende Tragödie soll den Hauptfiguren noch etwas mehr Gravitas einhauchen.

Motive und Stilmittel aus Drei auf Reisen, die wir bereits aus Zwei an einem Tag kennen:

  • Labyrinthe
  • am PC getippte Hochzeitsreden
  • Partnerinnen, die beruflich zwischen Kunst und Erziehung schwanken
  • das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Mutter und Sohn sowie
  • dramatische Wendungen per lakonischem Zweizeiler.

Untypisch nur, dass Ich-Erzähler Douglas schon in jungen Jahren den betont trockenen Wissenschaftler gibt.

Fast unweglegbar:

Nach jedem oder jedem zweiten Kapitelchen wechselt Nicholls die Zeit-Ebene, erzählt mal vom Kennenlernen und mal von der aktuellen Zeit, also vor allem von der Reise auf den Kontinent. Die Kapitel verschränkt Nicholls elegant – Ereignisse und Themen, die 20 Jahre zurückliegen, werden zwei Seiten später in einem Kapitel zur erzählten Jetzt-Zeit noch einmal wichtig, die Lektüre fließt stets leicht dahin.

Ja, Nicholls schreibt wie immer sehr flüssig, unaufwändig, fast unweglegbar, fast ohne Wortgeklingel (eher stören die kurzen Bildungsexkurse über klassische Maler und die zu genau erklärten Stadtspaziergänge, er bedankt sich im Nachwort artig bei Wikipedia, Google Maps und einem Kunsthistoriker). Dazu einige markante, gutklingend originelle, aber wiederum unaufdringliche Vergleiche und Verallgemeinerungen, Schmuckstücke für jedes Zitateschatzkästlein.

Nicholls schildert Lebensläufe präzise und mit interessanten Brüchen (der mediterrane Stiefvater in London, etc.). Anders als deutsche Autoren klingt er nie so, als müsse er seine persönliche Geschichte zwischen die Seiten pressen.

Tour de force:

Ist es sehr realistisch, dass ein Ehepaar mit einem 18jährigen Sohn durch europäische Großstädte zieht, um dort ausschließlich öde Museen voller dito Touristen zu besuchen? Wer möchte schon so urlauben? Gegen Ende, als Douglas ungeplant und ohne Reiseführer in Barcelona landet, atmet er auf (S. 361f meines englischen Hodder-Taschenbuchs):

It was with some relief that i discovered Barcelona had almost no art galleries at all… no single monolithic institution like the Louvre or Prado and so no pressure… it was refreshing to have actual conversations with people of another nation, rather than just buying tickets or ordering food

Hier verarbeitet Nicholls Erfahrungen seiner eigenen europäischen Lesereise mit dem Erfolgsroman Zwei an einem Tag (und mit seinem eigenen Leben, er ist verheirateter Vater zweier Kinder). Die Option zur Fortsetzung hat Nicholls in Drei auf Reisen gleich eingebaut.

Freie Assoziation:

  • Eine bildungsbürgerliche Kleinfamilie auf Reisen mit touristischem Großprogramm, das gibt es auch in Gerwin van der Werfs Der Anhalter – und dort weniger mit Reise-Banalitäten überfrachtet

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