Fazit:
David Nicholls schreibt vergnügliche, exzellente Dialoge – vielleicht etwas zu unrealistisch geschriftstellert, wie in einer cleveren britischen Komödie, aber allemal charmant witzig und teils psychologisch feinsinnig. Dazwischen produziert Nicholls jedoch zähe allgemeine Seiten und Beschreibungen – kein konkreter Vorgang, kein Dialog, sondern ein blutarm schweifender Rückblick nach 20 Jahren, in immer neuen Rückblenden.
Allgemeines Gelaber:
Teenager und Scheidungskind Charlie lebt bei seinem klinisch depressiven Vater. Er will die coole Frances näher kennenlernen, und dazu bequemt er sich gegen sein Naturell in eine Theater-AG. Ich-Erzähler Charlie berichtet von seiner Jugend und ersten Liebe mit 20jährigem Abstand.
Gleich die ersten Seiten gelingen David Nicholls (*1966) fast dialogfrei kursorisch, ein beängstigender Beginn. Die vielen verallgemeinernden Rückblicke des Ich-Erzählers Charles Lewis klingen schlaftablettös:
But most days, I’d hear him ((…))
Love is boring. Love is familiar and commonplace for anyone not taking part, and first love is just ((…))
Predictably, his death was the catalyst for ((…))
What was I looking for? Though I couldn’t name it, I was looking for some great change; a quest, perhaps, an adventure with trials undergone ((…))
Und so geht das noch immer weiter und weiter auf S. 29, und wirklich schreckt Nicholls selbst vor rhetorischen Fragen nicht zurück, die Bankrotterklärung eines Erzählers (ich kenne nur das englische Original “Sweet Sorrow”).
Den Ehestreit auf Seite 202 prägen “accusations, recriminations, brutal character assessments dripping with contempt” – doch obwohl der Ich-Erzähler den Streit miterlebt und auch sonst harte Sprüche nicht scheut, zitiert er kein Wort aus diesem Streit, sondern belässt es bei dünnblütigen Verallgemeinerungen.
Milieuschilderung:
Natürlich muss man hier Freude haben am englischen Teenager-Milieu mit Klassendenken und knapper Kasse. Freude auch an den Shakespeare- und Ausdrucks-Exerzitien einer Theater-AG (der Ex-Schauspieler David Nicholls schildert das zu breit). Und Freude am depressiven Schlaffivater des Ich-Erzählers.
Nicht nur die Dialoge klingen unrealistisch, und zu ähnlich bei den zwei wichtigsten Frauen; es bleibt auch völlig unklar, warum sich die smarte, bildungsbürgerliche, erfahrene Frances überhaupt so nachdrücklich für den spröd-fatalistischen Fastproll Charlie interessiert, der Freundschaft mit seinen Saufkumpels durch “belching in each other’s faces” ausdrückt. Charlie wundert sich selber, dass sie ihm aktiv nachsteigt. Und trotz dieser Bedenken sind die Dialoge und Annäherungen zwischen diesen Hauptfiguren das Beste am Buch, bis hin zu “the sex thing”.
Und schreibt David Nicholls unsentimentalen Schmalz? Eine Teenie-Romkom aus erwachsener Perspektive? Die Liebesszenen und ein paar andere Begegnungen rühren an, ohne massiv die Tränendrüsen zu kitzeln. Ganz und gar cool oder aber schlecht sind sie auch nicht – ein einziges Kapitel klingt vielleicht zu rührselig. Es ist so dazwischen. Und trotz aller Längen liest man immer weiter, weil David Nicholls die Geschichte so anlegt, dass ein schlichtes Happy End ausscheidet. Zum Schluss verschränken sich die unterschiedlichen Rückblenden gefällig.
Freie Assoziation:
- Nicholl’s erster Roman, Keine weiteren Fragen, zeigt auch viertelprekäre Teenager, dort nicht in einer Shakespeare-AG, sondern als Quizteam, dazu alleinerziehende schweigende Väter. Die Atmosphäre ist ähnlich, aber lebendiger
- Schauspielerei steht hier wie auch in Nicholls Roman Ewig Zweiter im Mittelpunkt, doch in unterschiedlichen Milieus
- Der Vater des Ich-Erzählers führt zunächst einen kleinen Plattenladen mit Enthusiasmus, aber ohne Geschäftssinn – das klingt nach einem anderen bekannten englischen Plattenladen, nach High Fidelity von Nick Hornby natürlich
- Liebe heute in England, samt Dachterrassen über Pubs, gibt’s auch in Meera Syals Sari, Jeans und Chilischoten beziehungsweise Hochzeit auf Indisch
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