Kritik Thailand-Kurzgeschichten: The Politician, von Khamsing Srinawk (Lao Khamhawm), 3. Ed. 2001 – 6/10

Thailand

Diese Ausgabe enthält 17 meist knappe Kurzgeschichten über thailändisches Landleben, fünf mehr als frühere Ausgaben. (Und die letzten Texte wirken schwächer, mehr gelabert, weniger geschlossen.)

Die Geschichten entstanden zwischen 1953 und 1995. Zwei Geschichten wurden übersetzt von Professor Herbert Philipps, der auch drei Seiten Einleitung schrieb und den Verfasser zwischenzeitlich als Mitarbeiter bei anthropologischen Forschungen einsetzte (vermutlich verarbeitet in der Geschichte “The Peasant and the White Man”); die anderen Übersetzungen stammen von Domnern Garden (Nachruf). Die Geschichten sind sprachlich gut lesbar ohne Verstimmungen (aber nicht alle sind gut konstruiert).

Gelegentlich erklären Fußnoten Besonderheiten, unter anderem Anspielungen auf Politiker in Beschreibungen von Hunden oder Göttergestalten, Bezüge zum Leben des Autors oder Sprichwörter.

Der Buchtitel “The Politician” passt nicht gut zur Gesamtheit der Geschichten und ist nicht ideal, wenn man das Buch in Thailand lesen will. Viele andere Kurzgeschichtentitel eigneten sich besser als Buchtitel (siehe unten).

Der ursprüngliche thailändische Titel lautet offenbar ฟ้าบ่กั้น, das heißt laut Google Translate “Der Himmel blockiert es nicht”.

Wiederkehrende Themen:

Arme Dörfler begehren Geldgaben von Politikern oder Regierung; Quacksalber und Aberglaube; kaum Weiße; feindliche Natur; arrogante Bürokratie;  mildes Nachmittagslicht über staubigem Land; echter Hunger; strikt realistisch mit Ausnahme einer kurzen Satire aus dem Himmel; Leben als Kleinbauer und im Holzfällercamp; Bangkok ist

the distant capital in the Chao Phraya River basin.

Der Autor (auch bekannt als Lao Khamhawm) bringt das offenbar mittelthailändische, harte Landleben sehr nah, er schreibt sarkastisch und unverklärt vor allem in den Geschichten der 1950er Jahre: selbst harte Geschichten klingen nicht hoffnungslos, freilich stimmen sie auch nicht optimistisch. Die Geschichten ab den 1960ern klingen nachdenklicher, trauriger, weg ist die Bauernschläue. Im einzelnen:

The Politician:

In der Titelgeschichte bewirbt sich ein Ex-Mönch und Suffkopf um ein Abgeordnetenmandat in der Pampa. Das ist grobe Karikatur unqualifizierter korrupter Politiker: 

He didn’t have a chance to make speeches and if he did, wouldn’t have known what to say. The most he could manage was to make disturbances

Das Wahlvolk ist nicht besser und krakeelt nach Geldscheinen. Dieser Spott ist mir zu wohlfeil. Ein frisch gewählter Provinzpolitiker hat Angst vor Bangkok und flieht deshalb über die Grenze – ist es dort besser?

Verbindung: das unqualifizierte allgemeine Geschimpfe auf korrupte Politiker erinnert an die Politikergeschichten aus der Biografie eines nie lächelnden Monarchen; dort jedoch werden die Geschichten belegt, während Khamsing Srinawk nur besoffenes Geschwafel wiedergibt.

The Breeding Stock:

Landmütterchen hört davon, wie die Amis übergroße Zuchthühner, riesige Zuchtschweine und gewaltige Zuchtbullen ins Land bringen. Zuletzt angeblich auch ein enormer Ami, groß wie eine Vogelscheuche – was der wohl leisten soll?

Schlichter Witz, in ein atmosphärisches Gschichterl verpackt.

Quack Doctor:

Süße Tabletten, armes Landleben und Tiere (Produktionsmittel), die über Nacht verschwinden.

Atmosphärische, erdige Geschichte mit guten Einblicken.

The Gold-Legged Frog:

Kurze harte Dorfgeschichte um Armut, Aberglaube und ländliche Gefahren, endet mit einem bitteren Scherz.

Dust Underfoot:

Die Geschichte ist ungewöhnlich lang, hat ausnahmsweise einen Ich-Erzähler und achronologische Zeitsprünge; sie stammt jedoch aus demselben Jahr 1958 wie viele andere deutlich kürzere Geschichten und personal aus Perspektive einer Hauptfigur erzählt werden.

Der Autor schildert den verliebten Wäldler Intha Mandoline spielend auf seinem Elefanten zu malerisch. Manche Zeitsprünge und einzelne Sätze lassen sich nicht gut zuordnen, die Geschichte wirkt wie zu stark gekürzt. Der Konflikt zwischen einfachen Leuten und Blaublütigen ist etwas zu didaktisch ausgebaut.

The Plank:

Eine gefährliche Geburt, und schwachsinniger Aberglaube soll die Risiken abwenden. Das ist dem armen Bauern nicht möglich, darum wendet er einen Trick an.

Endlich mal eine Geschichte, in der Vernunft über Aberglaube siegt. Viel Handlung gibt es nicht, doch wie so oft im Buch ein rundes Ende und Diskussionsstoff für eine Mittelstufenklasse.

Dunghill:

Wem gehört dieser Büffeldung – dem Besitzer des Büffels oder des Landes, den er düngte? Schon morgen sollen darunter leckerschmecker Käferlarven wimmeln und den nagenden Hunger der Bauern stillen.

Harte Geschichte vom Land, die auf einen interessanten Showdown zusteuert.

Owners of Paradise:

Spielt zuerst im Thai-Himmel, was ich dank einer Fußnote verstanden habe, und wechselt auf der dritten und letzten Seite noch kurz auf die Erde. Dort eine weitere Fußnote: 

This is an allegory which the author has never clarified

The Peasant and the White Man:

Alter Bauer, junger wunderlicher Hund (der wie ein Diktator aussieht), ein Landbesitzer, ein Dorflehrer, ein gebildeter Weißer und große Veränderungen – in der Geschichte steckt weniger Witz und mehr Allegorie (die ich nicht verstehe), vielleicht weil es die einzige ist mit einem Weißen.

Flash:

Ein Autounfall bringt überraschende Erkenntnisse; außerdem Parallelen zu einem Samuraifilm, Prostituierte unterwegs zu den US-Kasernen und  Lottozahlen.

Dark Glasses:

Eine Familie am Feldrand, eine verschwundene Tochter und ein Vogel, der zu lange eingesperrt war. Eine sehr melancholische Geschichte erzählt aus der Perspektive einer Mutter, mit einer Überraschung und dann Enttäuschung, am Ende. Hans musste fast heulen und auch an eigene, ganz andere Verluste denken – so kitschig ist das. Und die Symbolik mit dem Vogel wohl übertrieben.

Die kurze Geschichte von 1969 hat nichts von den bauernschlauen und verschlagen Dialogen der 1950er Texte.

Sales Reps for the Underworld:

Der Bruder liegt sterbend im Krankenhaus, konkurrierende Mönche am Krankenbett bewerben ihre Bestattungsdienstleistungen. Das klingt nach böser Satire, ist aber  traurig geschrieben. Eine Fußnote legt nah, dass der Autor ähnliches selbst erlebte.

Aus dem Thai-Titel ยมทูต macht Google Translate “Engel”. Wer eine Übersetzung ins Englische anfordert, bekommt noch “seraph” und “Angel of Death”. Der gedruckte englische Titel hier bringt eine andere Note.

Happy Birthday, Grandpa:

Ein kleines Erlebnis auf dem Dorf mit putzigen Details, doch insgesamt keine runde Geschichte, wirkt aufgeblasen speziell durch die überflüssigen Verallgemeinerungen zum thailändischen Kino auf den ersten der wenigen Seiten

Paradise preserved:

Ein Dorflehrer vermietet ein Haus, das zum Puff wird, muss als illegaler Taxifahrer arbeiten und wird schließlich Politikergehilfe; berichtet von einem fast unbeteiligten Ich-Erzähler.

Nette kleine Beobachtungen, keine runde Geschichte. Interessant die Fußnote 7 mit einer Erklärung des Thai-Sprichworts “a bull (or cow) with an open wound on its back”.

I lost my teeth:

Pointenlose Anekdote über einen Bauern, der überfallen wird, berichtet wie öfter bei Srinawk von einem unbeteiligten Ich-Erzähler; kein Highlight, wenig Zusammenhalt.

The buffalo with the red horns: 

Missverständnisse um die Besitzverhältnisse an einem Dorfbüffel, Behördenkorruption. Seltsame Geschichte, nicht sehr rund, aber womöglich Wort für Wort so erlebt. Sollte nicht als Kurzgeschichte (Fiktion), sondern als Augenzeugenbericht deklariert werden, dann wäre es interessanter.

Intercourse:

Drei verschiedene Geschichten um Somdet inkohärent zusammengeschraubt. Unter anderem Krankenpflege in einem Holzfällerlager, ein sterbender Onkel, bei dem alle Schulden haben, und ein Dorfvorsteher, der sein Dorf anerkannt analphabetenfrei machen möchte.

Viele interessante Details, sofern man alles glauben darf, und keinesfalls eine runde Kurzgeschichte.

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