Witziger Indien-Roman: 2 States: The Story of my Marriage, von Chetan Bhagat (2009) – mit Video – 7 Sterne

Wieviel davon stammt direkt aus dem Leben des Autors? Das ist die Frage, wenn Hauptdarsteller und Hauptdarstellerin deutliche Züge des Verfassers und seiner Angetrauten zeigen. Chetan und Anusha Bhagat betonen den fiktionalen Charakter von 2 States. Die Dialoge sind sicherlich nicht 1:1 mitstenographiert: Sie klingen über weite Teile zu clever, zu scharf und pointiert.

Spannend von Anfang an:

Erfolgsautor Chetan Bhagat schreibt zunächst smart, schnell, cool, fesselt ab der ersten Zeile. Die staubtrockenen Wortwechsel haben mich öfter vom Sessel gehauen. Sogar die Widmung vor dem Prolog hat schon einen speziellen Kick. Ein haarsträubendes Minidrama folgt aufs nächste: der Heiratsantrag, das erste Aufeinandertreffen der Eltern, das Jobinterview.

Dabei geht es erst einmal nicht um regionale Besonderheiten von Punjab versus Tamil Nadu oder Nordwestindien versus Südostindien. Bhagat steigt mit einer ganz normalen Liebesgeschichte an der Uni ein. In diesem Teil wirken die Hauptakteure, junge Topstudenten, einigermaßen modern und die Geschichte könnte auch in vielen anderen Ländern spielen. Dieser erste Teil ist die vielleicht witzigste Liebeskomödie, die ich je gelesen habe. Ich war begeistert.

Mit guten Zeugnissen ihrer Elite-Uni kriechen die jungen Leute zurück unter die Fittiche ihrer Eltern. Die Erzeuger wollen allesamt nichts von einer Verbindung wissen. Ja: Zwei erwachsene Top-Akademiker mit Top-Jobs lassen sich artig von ihren misslaunigen, unhöflichen, selbstsüchtigen, bizarren Erzeugern unterjochen und den Lebensstil vorschreiben.

Innerindischer Clash der Kulturen:

Auch dieser Buchteil hat viele lustige Dialoge, dazu kommen heitere Karikaturen aus dem Leben als Neubanker. Allerdings zieht der Ich-Erzähler hier als nordindischer Punjabi in die südindische Metropole Chennai (früher Madras) mit ihrer ganz anderen Kultur und Sprache samt Idlis, Sambhar und schnauzbärtig-schmerbäuchigen Filmhelden.

Chetan Bhagat inszeniert ein fröhliches Fettnäpfchen-Hopping und lässt den Ich-Erzähler unentwegt peinlich auflaufen. Er kämpft gegen die Eltern seiner Angebeteten, gegen die südindische Kultur allgemein, gegen den öligen Chef in seiner Bank, gegen weitere Heiratskandidaten, gegen die leblosen Mitbewohner im Jungbanker-Heim und den lustfeindlichen Vermieter, der keine Frauen, ja nicht einmal Hühnchen-Gerichte in seinen Wänden duldet.

Die Hauptakteure teilten am College in konservativen Gujarat bereits jahrelang ein kleines Zimmerchen und viele vergnügliche Stunden – ohne größere Schwierigkeiten. Warum der inzwischen gutverdienende Ich-Erzähler nun in Chennai nicht auch eine eigene Bude mietet, bleibt völlig unklar. Erwachsene, intelligente und wohlgemerkt finanziell völlig unabhängige Leute lassen sich hier von den Eltern am Nasenring vorführen und inspizieren auf Befehl sogar weitere unerwünschte Eheinteressenten.

Bollywood-hafte Dramen zwischen Buchdeckeln:

Nach dem Fettnäpfchen-Reigen wird es wieder Zeit für Handlung. Die ist nun etwas filmi Bollywood-haft, aber zunächst ganz unterhaltsam, und dazu kommen ein paar nachdenkliche Seiten.

Ein längerer Teil wächst allerdings zur pompösen Groschen-Seifen-Oper aus, mit dramatischen Zerwürfnissen, finalen Situationen, herzzerreißenden Stimmungsumschwüngen, Last-Minute-Dramen, dicker Sülze usw. usf. etc. Ein klassischer Bollywoodfilm dreht ja auch in den letzten 20 Minuten nochmal richtig auf. Materialismus, Statusdenken, Vorurteile, Provinzpatriotismus und Indienpatriotismus werden im letzten Buchteil zudem fast unerträglich.

Einige Assoziationen:

  • Love Story (1970): Erich Segals Roman hat ähnlich smarte, doppelbödig unsentimentale Dialoge unter jungen Top-Akademikern wie Bhagats 2 States.
  • Dilwale Dulhania Le Jayenge (1995): Die Handlung des Bollywoodklassikers mit Shah Rukh Khan erinnert teils an 2 States: Der Verehrer will sich mit Nettigkeiten bei der Familie der Angebeteten beliebt machen; schließlich will die Angebetete mit ihm davonlaufen, doch er ringt großherzig weiter um das Plazet ihrer Eltern
  • Saathyia (2002): Dieser Bollywoodfilm mit Vivek Oberoi und Rani Mukerji zeigt ein junges, modernes, städtisches Paar, gutaussehend, gut ausgebildet, aber realistisch unglamourös, das äußerlich an die Figuren aus 2 States erinnert; die Eltern sind auch hier der Bremsklotz.
  • Noch deutlicher werden die Parallelen beim Saathyia-Original namens Alai Payuthey (2000, mit Madhavan und Shalini) – es spielt wie 2 States in Chennai.

Meine indische Taschenbuchausgabe kostet in Indien 95 Rupien, umgerechnet rund 1,5 Euro, und hat kein Glossar. Mitunter weiß ich nicht mal, ob ein Begriff ein Kleidungsstück oder einen Markennamen meint.

Verfilmung:

Alle Bhagat-Romane schreien nach einer Verfilmung. So wurde sein Five Point Someone (2004, schlechter als 2 States) zur Inspiration für den Erfolgsfilm 3 Idiots mit Aamir Khan.

Und Bhagats 2 States erschien 2014 verfilmt mit dem selben Titel, in den Hauptrollen Arjun Kapoor und Alia Bhatt, und erhielt ordentliche Kritiken (die englische Wikipedia mit allen Infos und Links zum Film; Trailer direkt oberhalb).


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