Interkulturell
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Kritik Thailand-Buch: Love, Money and Obligation: Transnational Marriage in a Northeastern Thai Village, von Patcharin Lapanun (ersch. 2019) – 7 Sterne – mit Links
Dies ist ein sprödes Soziologiebuch. Es steckt voller Statistik und Verallgemeinerung aus den Nullerjahren und davor – Eheschließungen, Migration, Gelderwerb, Landwirtschaft, Familienorganisation, Landesgeschichte, Tourismus, Ost-West-Kinder, Glaube, Thai-Familie. Eingestreut sind ein paar kurze Fallgeschichten von Thai-Paaren, gemischten Paaren und einzelnen Thailänderinnen, wiederum spröde erzählt. Eine mehrseitige „Conclusion“ am Ende jedes Kapitels und ein eigenes „Conclusion“-Kapitel am Ende des Buchs erzeugen noch mehr Abstraktion und Redundanz. Der Thai-Land-Tourist vernimmt viele interessante Fakten und statistische Bestätigungen des womöglich Immer-schon-Vermuteten – und ein paar verblüffende Behauptungen. Die Anthropologin Patcharin Lapanun von der Uni Khon Kaen (KKU) liefert überraschende Informationen zu thailändischer Arbeitsmigration und internationaler Ehevermittlung auf Dorfebene. Wie der Titel sagt, will Lapanun genauer…
- Auswandern, Belletristik, Buch, England, Gut, Hongkong, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Roman
Romankritik: Aufregende Zeiten, von Naoise Dolan (2020, engl. Exciting Times) – 8 Sterne
In Hongkong hat der reiche Banker Julian, 28, Brite, eine WG+ mit der armen irischen Englischlehrerin Ava, 22: Sie lebt gratis bei ihm, packt seine Koffer, erledigt den Müll und erträgt seine billigen chinesischen Zigaretten; nachts geht’s manchmal in die Kiste, zumindest oral. Aushälter und Haushälterin betonen das Unverbindliche, letztere etwas zähneknirschend. Ihre Sicht zu Romanbeginn: I am glad Julian does not demand intimacy, and annoyed at him for not offering it. (Ich kenne nur das engl. Original und kann die Eindeutschung von Anne-Kristin Mittag nicht beurteilen.) Allmählich äußert sich in flapsigen Randbemerkungen, im Abholen am Flughafen, auch Sympathie. Er nennt sie, so die Ich-Erzählerin, a tiger cub, and I…
- Auswandern, Biographie, Buch, Gut, Historisches Buch, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Sachbuch
Kritik Memoiren. My Other Family: An Artist-Wife in Singapore, von Patricia Morley (1994) – 7 Sterne
Von 1946 bis 1948 lebte die Engländerin Patricia Morley in Singapur mit englischem Mann und eigenen Kindern – und mit mehreren malaiischen Hausangestellten plus Anhang. Über die Malaiien (gutteils aus Indonesien) berichtet Morley in diesem Buch. Außerdem zeigt die künstlerisch ausgebildete Autorin 16 Kohlezeichnungen in ordentlicher SW-Qualität auf Kunstdruckpapier. Obwohl ihr Mann in der Kolonialverwaltung arbeitete, kommt Politisches nicht zur Sprache. Patricia Morley redet nur über Persönliches und Äußerliches. Vielleicht ist das Politische an ihrem Bericht, dass Morley die Verhältnisse nie in Frage stellt, auch nicht die Niedrigstlöhne ihres Personals. Harte Ungerechtigkeiten und das frauenfeindliche Klima spricht sie knapp und nüchtern oder gar nicht an. Laut Eigendarstellung im Buch behandelt…
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Romankritik: Die Schwarze von Panama, von Georges Simenon (1935) – 7 Sterne
Der Kreditbrief platzt, und so strandet ein gutsituiertes französisches Ehepaar fast mittellos im schwül-heißen Panama. Die Frau findet Anstellung und Unterkunft in einem guten Hotel, doch der Mann muss allein im „Negerviertel“ hausen (S. 67): Das Haus roch nach Negern. Der Mann lässt sich gehen, goes native samt örtlicher Loverin, und Georges Simenon schildert das genüsslich. Auf Amazon: Bücher Georges Simenon Simenon (1903 – 1989) berichtet viele stimmige Details, schafft eine glaubhafte Atmosphäre. Doch manche Handlungselemente überzeugen nicht ganz: Der gestrandete Ehemann, Ingenieur, verschwendet sein letztes Geld wenig glaubhaft an Alkohol, den er nicht verträgt; die scharfe soziale Segregation der Eheleute gleich nach Platzen des Kreditbriefs klingt unglaubwürdig; und die…
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Kritik Afrikabuch: Traumatische Tropen, Notizen aus meiner Lehmhütte. Von Nigel Barley (1983, engl. The Innocent Anthropologist) – 7 Sterne
Anekdoten, Pointen und Allgemeinplätze schnurren ab der ersten Seite gut geölt herunter. Dazu behauptet Nigel Barley in seinem Afrikabuch auch mal Widersprüchliches: Aufgebrochen sei er totally unprepared both materially and mentally for the bush und nur eine Seite später: I felt as well equipped as anyone needed to be. Selbstironie ist des Angelsachsen Pflicht, darum Barley über sich: a flurry of irrelevant activity… re-establish my credentials as a harmless idiot Ein englischer Kritiker bezeichnete Barley als typischen „court jester“ (Hofnarr) der britischen Reiseliteratur (Quelle), und im englischen Nachfolgeband Raupenplage preist ihn der Verlag tatsächlich als „jester“ an. Das passt, und in der zweiten Buchhälfte habe ich tatsächlich ein paar Mal…
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Besprechung: Ein Haus in der Toskana, von Wolfgang Schmidbauer (1990, erw. 1995) – 7 Sterne
Rund 70 von rund 188 Seiten* füllt Wolfgang Schmidbauer mit Text-Portraits seiner Nachbarn in der Toskana – die Überschriften heißen „Gino und die Kühe“, „Consilio und Maria“ oder „Dario der Hirte“, alle jeweils rund sechs bis acht Seiten lang, fast wie ein feststehendes Zeitschriftenformat. Wolfgang Schmidbauer bei Amazon (Werbe-Link) Portraits und Beschauliches: Dazu kommen lyrische Betrachtungen, an denen ich teilweise abglitt, mit Überschriften wie „Die Lichter der Ebene“, „Ein hohler Baum“ oder „Zurück über den Apennin“. Womöglich ist das Nature Writing, ich brauche aber Dialog, Handlung, Konflikt, Human Interest, Interkultur. Immerhin gibt es hier auch Abhandlungen über Veränderungen im Eisenwarenladen, über ein Dorffest, „Schlangengeschichten“ sowie „alle intimen Entleerungen und Reinigungen“.…
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Romankritik. Das kann uns keiner nehmen, von Matthias Politycki (2020) – 7 Sterne
Zwei Männer-Männer stiefeln angeschlagen, doch breitbeinig durch Ostafrika und diesen Roman. Die Eier schleifen übern Boden, die Verdauung ruckelt. Herb müffelndes Mansplaining. Der Ich-Erzähler deutet früh allerlei Tragödien an, deren Enthüllung der brave Leser gewiss zum Roman-Ende erwarten darf. Schon der Klappentext raunt schwülstig*: Doch der Tod fährt in Afrika immer mit, und nur einer der beiden wird die Heimreise antreten. Weitere Andeutungen folgen (S. 140): „Er hatte nur noch einen ((Tag)). Doch das wußte er natürlich nicht“ nebst enigmatischen Verweisen auf Verflossene. Das ist ein verschwitztes Buddy-Movie. Frauen gibt’s in diesem Buch nur als himmlische Ex oder Haptik-affine Kellnerin. Matthias Politycki bei Amazon (Werbe-Link) Schwer erträglich ist das, und…
- Belletristik, Buch, Deutschland, Filmbuch, Gut, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Philippinen, Reise, Reisebuch
Kritik Drehbuch: Manila, von Bodo Kirchhoff und Romuald Karmakar (1998) – 7 Sterne – mit Video
Hin im Bumsbomber, zurück im Tripper-Clipper: In diesem Drehbuch warten ein paar Deutsche am Flughafen Manila auf ihre Maschine nach Frankfurt. Sie reden zynisch vulgär über Sexkauf auf den Philippinen und Live-Enthauptung in Saudi-Arabien. Die Dialoge haben was, wenn man sich für Asien-affine Bumsprolls interessiert, Ballermann verschärft. Kurzweilig auch die vielen Schwenks zwischen den Unterschauplätzen – Wartehalle, Klos, Bar mit wechselnden Untergruppen. Die Figuren sind scharf beobachtet und wirken lebensnah. Einige Figuren passen in schnelle Schubladen: Geschiedener Ex-Mercedeshändler, Ossi-Bildungsbürger, Expat-Kneipier, Sextourist mit Elektroladen, weitgereiste Journalistin. Drei auf den Philippinen Geborene sind auch dabei: eine Klofrau, eine Prostituierte und ex-Prostituierte, jetzt Friseuse, also ein Querschnitt der Bevölkerung. Bodo Kirchhoff bei Amazon…
- Belletristik, Buch, Gut, Historisches Buch, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Roman, Thailand
Romankritik: Letters from Thailand, von Botan (1969) – 7 Sterne
Fazit: Auf etwa drei Buchfünfteln erzählt Botan eine spannende Geschichte: Ein chinesischer Habenichts baut sich ab 1945 ein Leben in Bangkok auf, gründet Geschäft und Familie. Botan liefert tiefe Einblicke, pfiffige Dialoge und verblüffende Wendungen. Sie schafft Charaktere aus Fleisch und Blut, die sich eigenwillig entwickeln, der Leser wird zum Familienmitglied – nicht immer die reine Freude. Unterschiede treffen hart aufeinander: Chinesisch, Thai und westlich; Mann und Frau; Arm und Reich; modern und traditionell; Stadt und Land. Im dritten und vierten Buchfünftel passiert nicht viel; hier vergisst die Autorin das Geschichte-Erzählen, der Ich-Erzähler räsonniert griesgrämig über die Schlechtigkeit der modernen, nicht-chinesischen Welt. Auf Amazon: Bücher über Thailand, Südostasien, ganz Asien…
- Belletristik, Buch, Gut, Historisches Buch, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Kurzgeschichten, Südostasien
Kritik frühe Kurzgeschichten: Geschichten der Unrast, von Joseph Conrad (1898, engl. Tales of Unrest) – 7 Sterne
Fazit: Joseph Conrad (1857 – 1924) präsentiert in fünf frühen Kurzgeeschichten äußerst gemischte Themen, Kulissen, Stile und Wortzahlen – vielleicht nicht ideal für einen Kurzgeschichtenband, aber zu ähnlich sollen die Geschichten ja auch nicht klingen. Zu den Themen gehören: Rasend Verliebter bringt unschuldige Nahestehende zu Tod und ist darob unhappy ever after (2x). Weiße Handelstreibende in Malaiia oder den südlichen Philippinen pflegen respektvolle Freundschaft mit Einheimischen (2x). Asiatische Frauen werden von Männern gegriffen und nicht gefragt (2x). Geistig behinderte Jungs. Einsame unerfahrene Handelsvertreter in Afrika. Gediegener Bürgersmann wird von Ehefrau verlassen. Schauplätze: Südostasiatisches Inselreich (2x). Ländliche Bretagne. Kongoufer. Gehobenes London. Stilmittel: ausführliche Beschreibungen von Natur und Nacht (in Asien). Gewissenswürmer.…
- Auswandern, Belletristik, Buch, Gut, Historisches Buch, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Roman, Südostasien
Romankritik: Almayers Luftschloss bzw. Almayers Wahn, von Joseph Conrad (1895, engl. Almayer’s Folly, Lingard-Trilogie Teil 3 von 3) – 7 Sterne – mit 2 Videos
Fazit: Es klingt, als hätte Joseph Conrad (1857 – 1924) seinen Erstlingsroman schnell rausgehauen, atemlos, seitenlang kein Absatz, kein Dialog, Zeitsprünge, Fokus- und Szenenbrüche, wichtige Aspekte aufgeregt wiederholend. Aber der Plot läuft meist zügig durch und wird im letzten Drittel sehr spannend. Es gibt kaum hohle Verallgemeinerungen, wenig mystisches Geraune, das Nature Writing ist nüchtern eindrucksvoll, und noch verzichtet der Autor auf sein späteres Lieblingsmotiv, nächtlich dräuende Wolkentürme über spiegelglatter See. Der Kolonialismus erscheint als brutal, aber ohne streng gutmenschelnden Anklagefinger. Verblüffend, dass Joseph Conrad die Teile 2 und 3 der Lingard-Trilogie so vergleichbar plottete. Stil: Die knapp 16 Seiten von Kapitel 11 bilden gegen Ende eine Ausnahme vom zügigen…
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Kritik Jugendmemoiren: Das deutsche Krokodil, von Ijoma Mangold (2017) – 7 Sterne – mit Video
Kulturjournalist Ijoma Mangold schreibt über seine deutsche Kindheit mit deutscher Mutter und abwesendem Vater aus Nigeria. Die Geschichte reicht bis in Mangolds viertes Lebensjahrzehnt, bleibt aber stets im Privatbereich – von seinem Beruf als Top-Kulturjournalist hören wir nichts. Mangold hat dunklere Haut und krauses schwarzes Haar. Er liefert über weite Strecken einen allgemeinen Bericht über Jugend in den 1970ern, 1980ern, ohne interkulturelle oder fremdenfeindliche Noten. So steht auf Seite 99 meiner 2017er-Rowohlt-Hardcover-Ausgabe: Dass ich exotisch aussah, schien an der Schule niemand groß zu bemerken… Meine fremdländische Aura… wurde gar nicht wahrgenommen. Mangold führt dies vor allem auf das entspannte Heidelberger Klima zurück, bei dem Bildung mehr als Blut zähle. Er…
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Romankritik: Von der Schönheit, von Zadie Smith (2005, engl. On Beauty) – 7 Sterne
Zadie Smith schreibt witzige, intelligente Dialoge, und sie spießt Uni-Politik und die Tics der US-Uni-Koryphäen boshaft auf. Gewiss erkannten sich einige Wissenschaftler in diesem Roman erzürnt wieder. Zu den Highlights zählen auch ein paar erstaunliche Sexszenen. Doch die Dialoge und Szenen laufen teils zu lang, und sie konzentrieren sich ermüdend auf die immer gleichen Themen: Zusammenleben der Hautfarben, Quotenafrikaner, Uni-Diplomatie. Das Buch ist zu lang (442 Seiten in meiner englischen Hamish Hamilton-TB-Ausgabe von 2005, die Eindeutschung von Marcus Ingendaay kenne ich nicht). Gelegentlich knirscht der Roman gar wie ein grob geplotteter Boulevardschwank: Da zieht Sohn Belsey (USA) für ein paar Monate zu Familie Kipps (England). Aber ach, ausgerechnet Vater Kipps…
- Buch, Frankreich, Gut, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Italien, Lustig, Mediterran, Reise, Reisebuch, Sachbuch, USA
Kritik Reise-Wein-Buch: The Accidental Connoisseur, von Lawrence Osborne (2004) – 7 Sterne
In Italien, USA und Frankreich tafelt, bechert und palavert Lawrence Osborne mit Star-Winzern, aber auch mit weniger bekannten Bauern und Landwirten, die nebenher eigene Tropfen keltern, sowie mit ein paar Beratern und Importeuren. Gastronomen oder Endverbraucher kommen kaum zu Wort (Osborne sieht sich selbst als weniger erfahrener Endverbraucher). Portugal, Deutschland, Österreich, Südafrika, Chile, Argentinien, Neuseeland oder Australien figurieren nicht (auch nicht Spanien mit dem nach dem Autor benannten Osborne-Sherry, immerhin auch eine Art Wein). Nebenher vermittelt der Autor plaudernd Grundkenntnisse über Anbaumethoden oder Geschmacksrichtungen, vor allem über die Unterschiede zwischen europäischen, amerikanischen und australischen Weinen und Geschmäckern und wie man „Terroir“ festmachen kann. Ausführlich redet Osborne zudem über das sich…
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Buchkritik: Cuba Linda, von Hans Herbst (Kurzgeschichten 2002) – 7 Sterne
Die Kurzgeschichten erzählen geruhsam, melancholisch und hochatmosphärisch von Begegnungen auf Kuba offenbar in den 90er Jahren. Oft spürt man den Schmerz demütigender Armut, politischer Unterdrückung und brutaler Verfolgung – insgesamt ein bedrückendes Buch. Weiteres Hauptthema ist traditionelle Musik. In manchen Stücken tauchen gar keine Europäer auf, in anderen nur als Nebenrolle; typische Touristenthemen wie Hotels, Transportwege oder Cocktails am Pool gibt es ohnehin nicht. Auf seinen Kuba-Reisen tauchte Hans Herbst offenbar tief ein, lebte illegal bei einer Familie, freundete sich immer wieder mit Musikern an, lernte Frauen kennen. Die Mehrzahl der daraus entstandenen Kurzgeschichten ist gut komponiert und rund. Ein paar Texte aus Cuba Linda wirken auch zu flüchtig hingewischt,…
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Rezension: Trading with the Enemy, A Yankee Travels through Castro’s Cuba, von Tom Miller (1992) – 7 Sterne
Tom Miller schreibt souverän, lässig, hoch-informiert und oft so gut konsumierbar wie ein perfekt gemixter Cocktail mit allerbesten Ingredienzien. Der US-Topjournalist Miller ist belesen, beobachtet genau, kredenzt markante Dialoge, trifft Hochrangige, Intellektuelle, TV-Köchinnen und (knapper) kleine Leute, serviert Erwartbares und Überraschungen. Wie es sich für seine Branche gehört, referiert Tom Miller sein Wissen nicht einfach; er lässt sich die Landeskunde von Wissenschaftlern, Politikern, Künstlern oder Bauern erzählen, und die Begegnungen gehören mit zum Text (anders als etwa in Schaefers Gebrauchsanweisung für Kuba). Seinen kubanischen Kontakten bringt Miller viel Sympathie entgegen, deren teils haarsträubende Unterdrückung schildert er nüchtern unkommentiert. Teils klingt er reichlich blauäugig und vertrauensselig, teils ist er zu romantisch.…
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Rezension: Kulturschock Cuba (2016, von Jens Sobisch) – 7 Sterne
In dichter Fülle auf kleinem Raum liefert Jens Sobisch reihenweise interessante Fakten aus dem Alltagskuba, die nicht im Reiseführer stehen – idealer Reiseführer durch die Alltagskultur, insgesamt als Kuba-Dossier vor einer Reise deutlich besser als Kuba fürs Handgepäck und Gebrauchsanweisung für Kuba. Ich hatte die Ausgabe 2016, deren genaue, vierseitige Zeittafel mit Obamas Havanna-Besuch im März 2016 endet. Sobisch textet, wie ihm der Schnabel wuchs, gelegentlich holprig, verzichtet aber auf Klischees oder Passivierungs- und Substantivierungsorgien. Mitunter klingt er abgedroschen salopp („Klamotten“ für Kleidung; „Wortschmied“ für Hemingway), mitunter fidel launig: „Dass Cubaner Kinder lieben, ist eine groteske Untertreibung!“, S. 20; „Soja…galt als nutritive Allzweckwaffe: Sojalismus im Sozialismus“, S. 182. So knackig…
- Biographie, Buch, England, Gut, Historisches Buch, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Mediterran, Reise, Sachbuch, Spanien
Kritik Biografie: The Interior Castle, A Life of Gerald Brenan, von Jonathan Gathorne-Hardy 1992) – 7 Sterne – mit Video
Biograf Gathorne-Hardy (*1933) war mit Gerald Brenan (1894 – 1987) bekannt und sah ihn in Brenans späten Jahren öfter; er hält sich aber bewusst, wie er sagt, weitgehend aus der Biografie heraus (er versteckt seine durchaus längeren Brenan-Begegnungen seit jungen Jahren gern in Fußnoten, z.B. S. 419, S. 573; seine Frau portraitierte Brenan für die Schutzumschlagrückseite). Gathorne-Hardy schrieb selbst eine ganze Reihe von Büchern, auch Romanen, und sein Brenan-Text klingt einigermaßen subjektiv mit deftigem Psychologisieren, gelegentlichen Flachereien und ein paar überflüssigen Altklugheiten („the writer’s key to a woman’s heart (or bed) is not dancing but the promise to get her novel or poems published“, S. 255). Gathorne-Hardy schreibt aber jederzeit…
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Kritik Andalusien-Memoiren: Südlich von Granada, von Gerald Brenan (1957, engl. South from Granada) – 7 Sterne
Von 1920 bis 1924 lebte der junge Engländer Gerald Brenan im andalusischen Bergdorf Yegen in den Alpujarras, dann kehrte er ab 1929 noch mehrfach zurück. Erst 1957 schrieb Brenan seine frühren Andalusien-Erinnerungen unter dem Titel South from Granada nieder. Dabei lässt Brenan einiges aus – unter anderem Liebeshändel – und wegen der hoch-informierten Verallgemeinerungen glaubten viele Leser, Brenan sei viel länger im Süden gewesen. Reichlich Korrekturen und Ergänzungen zu South from Granada finden sich in Gathorne-Hardys Brenan-Biografie The Interior Castle (1992). 2003 wurden Brenans Erinnerungen in Spanien verspielfilmt (Al Sur de Granada). Nach einem zweimonatigen Spanien-Besuch 1946 schrieb Brenan zudem The Face of Spain, in dem er auch auf den…
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Rezension Afrika-Roman: An der Biegung des großen Flusses, von V.S. Naipaul (1979) – 9 Sterne
Fremde in der Fremde, das ist das Thema dieses behäbigen, ruhig dahin fließenden Buchs, wie so oft bei V.S. Naipaul. Der Ich-Erzähler Salim fremdelt gleich mehrfach: Als Inder wächst er an der Ostküste Afrikas auf (wohl in Dar es Salaam oder Sansibar), dann jedoch wechselt er in ein anderes afrikanisches Land tief im Innern (wohl nach Kisangani in Zaire, heute Demokratische Republik Kongo; Orts- und Ländernamen in Afrika bleiben ungenannt). Dazu kommen Besuche in London. Sämtliche anderen Protagonisten fremdeln auf ihre Art: Die Europäer in Afrika, die Dörfler in der Stadt, die Ex-Sklaven in der Freiheit, die Arrivierten im Armenviertel, Stammesangehörige im falschen Stammesgebiet. Ein Inder aus Afrika bewirbt sich…
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Rezension Erzählungen: In einem freien Land, von V.S. Naipaul (1971) – 9 Sterne
Das schmale Bändchen (engl. „In a Free State“) enthält fünf Geschichten, die inhaltlich nicht verbunden sind: Die Titelgeschichte „In einem freien Land“ spielt in Afrika, umfassst rund 120 Seiten und wirkt wie ein kurzer Roman. Zwei weitere Erzählungen belegen je rund 40 Seiten. Dazu kommen zwei sehr kurze Stücke von je rund fünf bis sieben Seiten (ich hab‘ die englische Ausgabe gelesen). Typische Naipaul-Figuren: Inhaltlich und regional kaum verbunden – doch die übergeordneten Themen kennt man schon aus Naipauland: entwurzelte Figuren, so etwa indischstämmige Trinidadians in London, Weiße in Afrika, ein schockierter Inder in Washington DC. Besonders kurios: Mexikaner mit indischem Turban kellnern in Washington, schwarze und weiße Hippies im…
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Romankritik Inder auf Trinidad: Ein Haus für Mr. Biswas, von V.S. Naipaul (1961) – 8 Sterne
Mr. Biswas ist ein armer Tropf: Ein Indischstämmiger auf Trinidad in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, meist knapp bei Kasse, er schlägt sich so durch: Mal hilft er einem Prediger, mal verdingt er sich als Schildermaler, beaufsichtigt Feldarbeiter, schreibt Schmierenartikel oder führt einen Kramladen und lässt alle anschreiben. Irgendwie kommt Mr. Biswas zu einer Frau und einer ganzen Kinderschar, aber das passiert eher zufällig. Sein erstes Haus vergammelt vor der Fertigstellung, dann brennt es auch noch ab. Will er tatsächlich mal Laub verbrennen, springt das Feuer nicht an – doch nachts geht der ganze Hang in Flammen auf. Die Verwandtschaft plagt und verspottet ihn. Seine Grundstimmung ist melancholisch, sein…
- Asien, Buch, Gut, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Iran, Reise, Reisebuch, Sachbuch, Südostasien
Rezension Länder-Bericht: Jenseits des Glaubens: Eine Reise in den anderen Islam, von V.S. Naipaul (1998, engl. Beyond Belief, sein 2. Islam-Buch) – 8 Sterne
V.S. Naipaul liefert hier lange Portraits aus vier Ländern, die sich einst – fern von Arabien – dem Islam zuwandten: aus Indonesien, Iran, Pakistan und Malaysia. In diesem Buch von 1998 wiederholt er eine frühere Reise, die er bereits 1981 in dem Band Eine islamische Reise: Unter den Gläubigen (engl. Among the The Believers: An Islamic Journey) beschrieben hatte. [fsg_gallery id=“17″] Schreibstil wie ein Präzisionsuhrwerk: Naipaul (1932 – 2018) schreibt sehr knapp, sehr präzise und deshalb sehr schön und bewundernswert – eine Sprache wie ein perfektes, kompliziertes mechanisches Uhrwerk (ich hatte die englische Ausgabe, Beyond Belief, erschienen 1998; dt. Titel Jenseits des Glaubens). Ein, zwei Sätze reichen Naipaul, um ein…
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Buchkritik: Begrabt mich aufrecht, von Isabel Fonseca (1995, engl. Bury Me Standing) – 7 Sterne – mit Presse-Links & Video
Fazit: Fonseca liefert spannende, persönliche Reportagen von Sinti- und Roma-Begegnungen in Osteuropa – aufschlussreich, sprachlich hervorragend (ich kenne nur das engl. Original), und mit guten Fotos illustriert. Etwa ein Viertel des Buchs widmet Fonseca Geschichte, Geographie und Verfolgung allgemein, jedoch überwiegend nicht wissenschaftlich systematisch, sondern frei fließend. Lebendig: Überwiegend bringt Fonseca sehr lebendige, aufschlussreiche Reportagen von ihren Reisen in Osteuropa Anfang der Neunziger mit Familienaufenthalten in Albanien und Begegnungen in Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Slowakei und Polen. Sie schildert ungewöhnliche Lebens- und Denkweisen. Spanien oder Portugal besucht Fonseca gar nicht und Indien – mutmaßliche Ur-Heimat der Zigeuner – beschreibt sie nur mit einem berühmten Naipaul-Zitat zum Thema öffentliches Defäkieren. Deutschland figuriert…
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Rezension: Gebrauchsanweisung für Istanbul, von Kai Strittmatter (2014) – 7 Sterne
Kai Strittmatter findet Istanbul und die Türkei total toll, und das erklärt er hier fast aufdringlich enthusiastisch. Aber auch sehr informativ und leicht lesbar: Bei aller Humoristik („Mehr noch als mit dem Krummsäbel ist der Türke nämlich mit dem Siruplöffel in der Hand geboren“, S. 67) produziert Strittmatter keine heiße Luft, sondern Fakten, Fakten, Fakten und immer neue, reizvolle Erkenntnisse. Zwar ist die Kapitelfolge völlig unsystematisch und feuilletonistisch unverständlich überschrieben. Gleichwohl: In hochtourigem, launigem Plauderton kredenzt SZ-Korrespondent Strittmatter jede Menge Hintergründe, Historisches und reizvolle Einblicke in die Landessprache: scheinbar willkürlich, aber doch gut aufgereiht. Das rauscht so unterhaltsam vorbei – man merkt kaum, wie man doch prächtig belehrt wird (ich…
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Rezension Biografie: The Other Barack – Obama’s Father, von Sally H. Jacobs (2011) – 7 Sterne – mit Presse-Links & Video
Ex-US-Präsident Barack Obama sah seinen Vater gleichen Namens nur insgesamt einen Monat lang. Barack Obama d.Ä. war als Elite-Student in die USA gekommen und heiratete die Mutter des US-Präsidenten, um sie bald nach der Geburt des zukünftigen Präsidenten zu verlassen. Obamas Vater studierte dann in Harvard und ging später nach Kenia zurück – mit einer anderen weißen Frau. Aufgewachsen als intelligenter, mutiger Dorfjunge und Missionsschüler, hatte Vater Obama nun hohe Regierungsjobs, ruinierte sich jedoch mit Johnny Walker Black Label und vielen Frauen, die er gern auch schlug. Er war brillant, aber auch ein Großmaul, Rechthaber und Hochstapler, im Untertitel des Buchs wird er „bold and reckless“ genannt. Amazon-Werbelinks: Ganz Afrika…
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Rezension: A Singular Woman, Barack Obama’s Mother, von Janny Scott (2011) – 7 Sterne – mit Presse-Links
Stanley Ann Dunham, Barack Obamas Mutter, war eine hochinteressante, weltoffene Intellektuelle, die in Hawaii erst einen Kenianer (Obamas Vater) und dann einen Indonesier heiratete und zeitweise mit Sohn in Indonesien lebte. Sie verbrachte insgesamt die Hälfte ihres erwachsenen Lebens in Indonesien, forschte und promovierte dort über Dorfwirtschaft, leitete Hilfsorganisationen und beriet Regierungen und Banken in Mikrokreditfragen. Sie starb 1995 mit 52 Jahren, lange bevor Barack Obama bekannt wurde. Die Biografie stammt von der NYT-Journalistin Janny Scott. Keine Kritik: Die Autorin, NYT-Journalistin Janny Scott, schreibt einen journalistischen Stil mit gelegentlichen Zeitsprüngen und schildert oft die Umstände, unter denen sie Interviews führt. Das liest sich insgesamt leicht. Allerdings erzeugt Scott manchmal ein…
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Rezension Biografie: Barack Obama, The Story, von David Maraniss, (2012) – 7 Sterne – mit Video & Presse-Links
Das Buch reicht von Obamas Urgroßeltern in Kansas und Kenia bis zu Obamas Jurastudiumbeginn 1988 in Harvard. Es endet also deutlich vor Beginn der politischen Laufbahn. Washington-Post-Journalist Maraniss erzählt ausführlich aus dem Kansas der 1920er Jahre, in Kenia geht er kurz zurück bis auf 1820. Fast stolz erwähnt Maraniss im Vorwort, dass der spätere US-Präsident Obama selbst erst im siebten Kapitel erscheine (also auf der 179. von 584 Seiten Haupttext einschl. Einführung, und dann zunächst nur ganz kurz). Kleinigkeiten: Immer, wenn man in der ersten Buchhälfte denkt, jetzt kommt die Geschichte endlich in Gang, tischt Maraniss entlegene historische Kleinigkeiten auf. Maraniss nennt im ersten Buchteil viel zu viele Einzelheiten, etwa…
- Afrika, Belletristik, Buch, Gut, Historisches Buch, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Roman
Rezension: Tropenkoller, von Georges Simenon (1933, auch Tropenfieber) – 7 Sterne – mit Video
Der junge Joseph Timar kommt in einem afrikanischen schwülheißen Kaff mit der ebensolchen französischen Wirtin Adèle zusammen, die schon mehrere Liebhaber vor ihm hatte. Adèle könnte für einen Mord verantwortlich sein. Flussaufwärts starten sie ein Holzunternehmen in der Wildnis (frz. Buchtitel Le Coup de lune, frei verfilmt 1982 als Équateur von Serge Gainsbourg u.a. mit Barbara Sukowa, Francis Huster). Das heiße afrikanische Nest Libreville mit seinen weißen Desperados beschreibt Georges Simenon (1903 – 1989) sehr stimmungsvoll, samt abstoßendem Rassismus. Der Nicht-Maigret-Roman erinnert momentweise deutlich an Joseph Conrads berühmtes Herz der Finsternis – wegen der rätselhaften Umgebung, der Bootsreise ins Landesinnere und wegen des womöglich verrückten Statthalters im Dschungel. Auf Amazon:…
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Rezension Magellan-Biografie: Over the Edge of the World, von Laurence Bergreen (2003) – 7 Sterne – mit Presse-Links & Video
Bergreen erzählt ruhig mit vielen Hintergründen. Zwar war die Reise laut Buchumschlag „terrifying“ und voller „sex“ und „violence“; gleichwohl schlägt der langjährige Erfolgsbiograf und Harvard-Absolvent Laurence Berggren im Buch keinen reißerischen Ton an und personalisiert auch nicht mehr als realistisch. So berichtet er auf den frühen Seiten sehr allgemein, fast dröge und praktisch ohne einzelne Akteure von der Machtpolitik der Staaten, der Bedeutung des Gewürzhandels und vom Stand der Kartographie im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert. Später – gerade, als Magellans Flotte nach langem Hin und Her endlich lossegelt – schiebt Bergreen geschlagene zwölf Seiten über historische Aberglauben ein. Interessanter und kürzer sind Abhandlungen über die Sozialstruktur an Deck, über…
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Romankritik: Hummer zum Dinner, von Helen Fielding (1994, engl. Cause Celeb) – 7 Sterne – mit Presse-Links
Noch vor ihrem ersten Bridget-Jones-Band brachte Helen Fielding den Roman Hummer zum Dinner (engl. Cause Celeb) heraus. Die Ich-Erzählerin hier ist zunächst PR-Agentin und zeitweise Geliebte eines egozentrischen TV-Stars in London. So gelangt sie auf Schickeria-Parties und TV-Galas, die sie sehr satirisch beschreibt. Nach einem Kurzbesuch in Afrika verlässt die Ich-Erzählerin Freund und Job in London und leitet ein Flüchtlingslager in Afrika (ein fiktionalisierter Sudan). Als im Camp die Lebensmittel ausgehen, will die Hauptfigur Londoner Promis für ein TV-Spektakel einfliegen. Hier wird das Buch zur bösen Mediensatire. Die Berichte aus der Londoner Promi-Welt wie auch aus Afrika klingen realistisch. Immerhin arbeitete Helen Fielding einst als TV-Produzentin, und sie berichtete in…