Kritik Geschichtsbuch: Rebels against the Raj, von Ramachandra Guha – 7/10 (2022, über Weiße im indischen Unabhängigkeitskampf)

Der bekannte indische Historiker und Gandhi-Biograf Ramachandra Guha porträtiert sieben Amerikaner, Engländer und Iren, die in Indien gegen die englische Kolonialherrschaft arbeiteten und deswegen Zeit im indischen Gefängnis verbrachten; nur wer einsaß, gelangte ins Buch. (Auf den Seiten 330 und 413ff listet Guha allerlei weitere Engländer, die für die indische Sache kämpften.)

Einige dieser vier Männer und drei Frauen gründeten Familien mit indischen Partnern. Sie vereinten Schreiben, Gremienarbeit und Politik mit Aktivismus, waren teils indischer als die Inder, päpstlicher als der Papst (Gandhi) und strikt gewaltfrei.

Alle Protagonisten gingen eine absehbar lebenslange Verbindung mit Indien ein und kappten teils das Band zu ihren Herkunftsländern – ein großer Unterschied zu den Ausländern, die vorübergehend im spanischen Bürgerkrieg kämpften, wie Guha im Vorwort betont. Im besonders lesenswerten Nachwort zieht der Historiker eine weitere Parallele zu weißen Anti-Apartheid-Kämpfern in Südafrika.

Guha begleitet seine Protagonisten teils bis in die 1980er Jahre im unabhängigen Indien. Sie verschmelzen spätestens nach Ende des Raj so vollständig mit Indien, dass man sich fragt, warum keine indisch Geborenen im Buch erscheinen. Die Bedeutung der Westler im Vergleich zu ihren indischen Mitstreitern ordnet Guha auch nicht ein.

Stil:

Guha schreibt gut lesbar, dabei gelegentlich etwas betulich und altmodisch (“splendidly splenetic”, S. 35), aber nie professoral. Manchmal klingt sein Englisch so altmodisch wie das der ausführlichen zeitgenössischen Zitate.

Junge Frauen führt Guha mit dem Vornamen an (“Madeleine”), Männer nur mit dem Nachnamen. Nur die auf Fotos pompös wirkende Annie Besant (laut Kapitelüberschrift “the Matriarch”) ist im Lauftext eine “Mrs”.

Nicht alle indischen Ausdrücke erklärt Guha, so etwa “moffusil”, “purdah”, “zamindari”, “crore”, “lakh”, “East Pakistan” oder “kala-pani”.

Der Autor stellt seine Figuren über viele Seiten hin vor, springt dann gelegentlich zu anderen Akteuren und kehrt einige Kapitel später zum ursprünglichen Protagonisten zurück:

Spratt’s life in India after his release will be taken up in later chapters… there will be plenty to tell… It is time now to return to our first renegade. We left Annie Besant in the spring of… it is time now to introduce the last of our renegades…

Damit erzählt Guha vag chronologisch und nicht strikt an einzelnen Personen entlang; es fällt jedoch schwer, alle verstreuten Kapitel zu einer Person hintereinander wegzulesen, weil die Kapitelüberschriften und Kolumnentitel meist nicht auf die Personen hindeuten. Ich würde lieber eine einzelne durchgehende Biografie von Anfang bis Ende lesen, und dann den nächsten Protagonisten von Anfang bis Ende, ohne Sprünge zwischen den Figuren.

Der Historiker versucht sich kaum an Querverbindungen (außer im Vorwort). Viel zu ausführlich schildert Guha wolkige philosophische, politische und spirituelle Ideen seiner Protagonisten, häufig in langen, eingerückten Zitaten. Sehr interessant jedoch Mira Behns (Madeleine Slades) und Sarahla Behns (Catherine Mary Heilemann) Gedanken zu ökologischer Landwirtschaft in den 40er und 50er Jahren bis in die 80er hinein.

Unerwartet und unpassend: mindestens zweimal erwähnt Guha, dass seine Figuren am selben Ort lebten wie er selbst; einmal zieht er eine Parallele zwischen Lenin aus Philip Spratts Sicht und der indischen BJP heute.

Kein Dschungelcamp:

Guha beschreibt überwiegend keine Einzelkämpfer und Rebellen im Dschungelcamp oder ähnliches, sondern privilegierte Establishment-Figuren und Parteipolitiker, die Indien von hohem Ross aus unabhängig machen wollten – mit Gremien, als Gandhi-Vertraute, mit politischen Gesprächen, Büchern, Reden, Gewerkschaftsaktivismus und Artikeln.

Das gilt insonderheit für die hochmögende Theosophie-Funktionärin Annie Besant. Buchprotagonist Horniman wird zwar vom englischen Vizekönig als ”adventurer unworthy of any sympathy” bezeichnet, ist jedoch ein etablierter Journalist, den die Engländer aus Bombay herauswarfen (der sich freilich unter abenteuerlichen Umständen wieder nach Indien hineinschmuggelte).

Die Keithans dagegen lebten auf dem Land, ebenso wie Samuel Stokes, der eine Inderin heiratete, auf dem Dorf lebte und dort so viel Gutes tat wie die Keithans, aber auf anderem Feld. Aber auch Stokes und Keithan publizierten pro indische Unabhängigkeit und trafen den Mahatma, genau wie Protagonistin Madeleine Slade, die Gandhis Vertraute wurde, in dessen Ashram lebte und seine Verdauung protokollierte. Sie unterstützte den Freiheitskampf scheinbar auch aus Gandhi-Anbetung, nicht nur aus eigener politischer Überzeugung. Slade und Stokes akzeptierten neue indische Namen. Alle arbeiteten zeitweise als Wander-Sozialarbeiter und -Entwicklungshelfer, gründeten Ashrams, sie förderten den Landbau in ihrer Region, führten selbst in fortgeschrittenem Alter ein Leben ohne westlichen Komfort und mit harten körperlichen Strapazen. Verblüffend tritt gegen Ende Richard Attenborough aufs Parkett, um sich von Hauptfigur Mira Behn, die mittlerweile in Österreich lebt, bei seinem Gandhi-Film beraten zu lassen.

Guha berichtet kaum, wie seine Akteure sich interkulturell zurechtfanden, z.B. auch in ihren gemischt-ethnischen Ehen – die großen politischen Linien und die Reaktionen der Kolonialmacht interessieren den Historiker viel mehr. Nur bei Philipp Spratt schreibt Guha ein paar Zeilen über dessen Zusammenleben mit indischer Frau und Schwiegermutter. Die wichtigste Figur neben den sieben “Rebels” ist Gandhi, den einige Buchakteure schon im Blick haben, während er noch in Südafrika lebt, und sie treffen ihn in Indien.

Indophilie:

Allen Ernstes sieht Guhas erste Protagonistin, Annie Besant,

in India’s greatness and in India’s Liberty the surest pledge for the progress of the world

Der zweite Protagonist, B. Horniman, schreibt an Gandhi,

if India remains true to the ideals of Satyagraha and Ahimsa, she will win the greatest victory for humanity that the world has seen in our time.

Nr. 3, Samuel Stokes, nennt Jesus und Gandhi in einem Atemzug. Auch Madeleine Slade und ihr Mentor Romain Rolland beten Gandhi ergeben an. Der marxistisch beeinflusste Philip Spratt ist nicht ganz so ergriffen.

Man hat den Eindruck, dass Autor und Gandhi-Biograph Guha die hymnische Gandhi-Verehrung mit besonderer Freude widergibt. Er zitiert auch die Kritik, die Hauptfigur Annie Besant öffentlich an Gandhi übt, schiebt aber einen Vergleich hinterher, der zugunsten von Gandhi ausgeht. Er betont sogar einen zeitlichen – indirekt vielleicht auch kausalen? – Zusammenhang zwischen Besants harter Gandhi-Kritik und der nächsten langjährigen Gandhi-Verhaftung. Scheinbar mit Genugtuung repetiert Guha, wie Gandhi Besant allmählich in der Congress-Führungsrolle verdrängte; und: Besant war

5 feet 2 inches tall (or short)

 Von Gandhi oder anderen Hauptfiguren hören wir solche Maßangaben nicht.

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