Kritik Jugendmemoiren: Das deutsche Krokodil, von Ijoma Mangold (2017) – 7 Sterne – mit Video

Kulturjournalist Ijoma Mangold schreibt über seine deutsche Kindheit mit deutscher Mutter und abwesendem Vater aus Nigeria. Die Geschichte reicht bis in Mangolds viertes Lebensjahrzehnt, bleibt aber stets im Privatbereich – von seinem Beruf als Top-Kulturjournalist hören wir nichts.

Mangold hat dunklere Haut und krauses schwarzes Haar. Er liefert über weite Strecken einen allgemeinen Bericht über Jugend in den 1970ern, 1980ern, ohne interkulturelle oder fremdenfeindliche Noten. So steht auf Seite 99 meiner 2017er-Rowohlt-Hardcover-Ausgabe:

Dass ich exotisch aussah, schien an der Schule niemand groß zu bemerken… Meine fremdländische Aura… wurde gar nicht wahrgenommen.

Mangold führt dies vor allem auf das entspannte Heidelberger Klima zurück, bei dem Bildung mehr als Blut zähle. Er liefert allemal viele interessante Kindheitsgeschichten und spezielle Beobachtungen.

Leicht und flüssig:

Unter anderem nennt Mangold, Jahrgang 1971, diverse Begriffe, die er als Kind nicht verstand, so etwa “ohne Gewähr” – und ich meine, ich hätte an diesem Ausdruck einst auch geknabbert. Etwas stört mich der leicht kindlich-altkluge Ton der Kindheitskapitel. Das Buch liest sich gleichwohl flüssig, ist frei von Feuilletonistenhuberei und altklugen Verallgemeinerungen.

Ausführlich und mit süffiger Selbstironie beschreibt Mangold seine Oberstufenzeit als selbststilisierte, elitäre Geistesgröße gemeinsam mit ein paar Mitschülern; dazu zählen auf jeden Fall auch die schönsten Mädchen der Schule. Trotzdem berichtet er viel von Reisen und Theater-AG und vom “Distinktionsstreben” (S. 167) – nicht jedoch von pubertären Liebeswallungen; nanu?

Zudem liefert Mangold interessante Passagen über seine ungewöhnliche, alleinerziehende Mutter mit intellektuellen, bohèmehaften Zügen. Sie wählt SPD, bildet sich zur Kinderpsychologin fort und arbeitet zwei Jahre in einer US-Kirchengemeinde; sie drangsaliert den Junior immer wieder mit der Mahnung “Kind, du musst kommunizieren” (S. 59).

Out in Africa:

Nach dem Abitur verbringt Mangold selbst sieben Monate in den USA, besucht dann seinen Vater in Nigeria; erst in diesen Passagen befasst er sich fast widerwillig mit der “Rassenfrage”. Das lange Kapitel über die Nigeria-Reise ist interessant – Mangold meidet Touristisches, schildert strikt nur persönliche Beobachtungen und verzichtet auf Wiedergabe von Lexikonwissen, so soll es sein. Aber er beschreibt das Land konsequent aus Sicht eines Deutschen: keine zwei Herzen schlagen in seiner Brust, und so ehelicht er auch weder die angebotene nigerianische Klopapierfabrikantentochter noch übernimmt er die Klinik, die ihm sein Vater überschreiben möchte.

Nach dem Tod seiner Mutter macht Mangold Entdeckungen, auf deren Basis er seine früheste Kindheit und die kurze Beziehung der Mutter zum afrikanischen Vater teils neu bewerten muss. Teile der ersten Kapitel verlieren damit ihren Wahrheitsgehalt.

Diese Entdeckungen stammen aus nachgelassenen Briefen und aus Gesprächen mit einer Freundin der Mutter. Die neuen Informationen erhielt Mangold erst, als die frühen Buchkapitel schon geschrieben waren.

Meines Erachtens hätte er die ersten Kapitel umschreiben und damit gleich zu Buchbeginn den korrekten Ablauf schildern sollen – vielleicht unter Erwähnung seiner jahrelang falschen Wahrnehmung. Stattdessen schildert Mangold erst ausführlichen einen bestimmten falschen Ablauf, dann 200 Seiten später gegen Buchende seine wenig interessante Detektivarbeit mit Brieflektüre und Gesprächen, dann setzt er die Ereignisse der ersten Seiten neu zusammen. Mir ist das zu umständlich; dem Autor erspart es freilich Schreibarbeit und es bringt etwas Drama ans Buchende.

Freie Assoziationen:

  • Jugendmemoiren eines Halb-Afrikaners gibt es auch von Barack Obama, mit ein interessanten, fast aufdringlichen Parallelen: die Mütter weiße Freigeister mit sozialer Ader; die Väter akademisch erfolgreiche Afrikaner mit politischen Funktionen in Afrika; Begegnungen mit Halbschwestern in Deutschland, die später nach England ziehen; die Reise ins Land des Vaters; für Obama ist die Ethnizität jedoch weitaus wichtiger als für Mangold; Mangold geht zwar vorübergehend auf Obama ein, erwähnt dessen erfolgreiche Jugendmemoiren jedoch mit keinem Wort – verblüffend
  • Im deutschen Literaturbetrieb gibt es weitere Promis mit einem afrikanischen Elternteil, u.a. René Aguigah (DR Kultur) und die Autorinnen Olivia Wenzel, Jackie Thomae und Melanie Raabe. Raabe sagte im DR-Kultur-Interview (im Audio), dass ihre dunklere Haut in der Kindheit ähnlich wie bei Ijoma Mangold kaum eine Rolle spielte. Schlechtere Erfahrungen machte die Afro-Deutsche Ika Hügel-Marshall (bei Amazon)

 

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