In Italien, USA und Frankreich tafelt, bechert und palavert Lawrence Osborne mit Star-Winzern, aber auch mit weniger bekannten Bauern und Landwirten, die nebenher eigene Tropfen keltern, sowie mit ein paar Beratern und Importeuren. Gastronomen oder Endverbraucher kommen kaum zu Wort (Osborne sieht sich selbst als weniger erfahrener Endverbraucher). Portugal, Deutschland, Österreich, Südafrika, Chile, Argentinien, Neuseeland oder Australien figurieren nicht (auch nicht Spanien mit dem nach dem Autor benannten Osborne-Sherry, immerhin auch eine Art Wein).
Nebenher vermittelt der Autor plaudernd Grundkenntnisse über Anbaumethoden oder Geschmacksrichtungen, vor allem über die Unterschiede zwischen europäischen, amerikanischen und australischen Weinen und Geschmäckern und wie man “Terroir” festmachen kann. Ausführlich redet Osborne zudem über das sich wandelnde Vokabular der Weinkoster und über den einflussreichen Experten Robert B. Parker. Insgesamt entsteht ein vergnügliches, exzellent geschriebenes Reisereportagebuch über eine scheinbar durchgehende Reise.
Zwei Dinge fallen auf:
- Osborne maßt sich kaum Expertise an, will Neues lernen und verschmäht jedes kennerhafte Geraune. Erst gegen Ende gibt er sich als zumindest “accidental connoisseur”. Und:
- Das Buch ist verblüffend lustig. Osborne schildert viele prägnante, äußerst vergnügliche Dialoge. Ein Beispiel für seine Unschuldsmiene bei Verkostungen – der Winzer fragt (S. 97):
“What do you taste?”
“Grapes,” I said.
“Good, good. That’s what’s in it!”
Ich habe immer wieder gelacht,
auch wenn manche Dialoge schon einen Tick geschriftstellert klingen, mitunter die wohlfeile Winzerromantik zu dick aufträgt. Natürlich trifft Osborne in den Weinkellern viele amüsante Käuze, die US-Winzer kamen oft auf Umwegen ins Geschäft: einige studierten Philosophie oder Naturwissenschaften; in Italien und Frankreich stößt Osborne überwiegend auf langjährige Weinbauern. Meine englische Taschenbuchausgabe hat keine Fotos und keine Landkarten.
Seine mitunter sich selbst und andere verachtende Attitüde aus Büchern wie Bangkok Days oder The Wet and the Dry bleibt hier im Accidental Connoiseur meist unterm Teppich; nur im ersten Italien-Teil liefert Osborne auch regelrechte Karikaturen mit einer Note Verachtung im Abgang.
Osbornes Bücher Bangkok Days und The Wet and the Dry sind weitaus schlechter als Accidental Connoisseur; alle drei Bänden werden grobe inhaltliche Fehler vorgeworfen. Die Detailkritik am Accidental Connoisseur findet sich auf wine-economics.org bei Richard E. Quandt und bei Amazon.com-Leserkritiker K.M. Pollard.
Assoziationen:
- Wegen der Art, herumzureisen und lange Gespräche reportageartig atmosphärisch dicht wiederzugeben: die islamischen und die indischen Reisebücher von V.S. Naipaul
- Die anderen Alkohol-Bücher von Lawrence Osborne, The Wet and the Dry und Corks and Screws
- Der Wein-Snob-Roman Bordeaux: Ein Roman in vier Jahrgängen von Paul Torday (2008)
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