Kritik Roman: Der große Gatsby, von F. Scott Fitzgerald (1925, engl. The Great Gatsby) – 8 Sterne – mit Hintergründen, Links & Video

Der Roman wurde zum Klassiker, wenn auch erst Jahrzehnte nach dem Erscheinen und nachdem der Autor sich totgesoffen hatte. F. Scott Fitzgerald erzählt von männlichen Männern in New York 1922. Sie sind reich, sie sind mächtig, sie sind hartleibig. Sie nehmen sich, was sie wollen: Häuser, Frauen, Fassaden, Imperien, noch mehr Frauen, Wasserflugzeuge, neue Namen. Sie gehen über Leichen, doch das nicht ohne Stil.

Manchen haben sich hochgearbeitet, den amerikanischen Traum umgesetzt, andere erbten, wieder andere täuschen nur vor. Es riecht nach Rasierwasser, Zigaretten und Whiskey (auch wenn Ich-Erzähler und Gatsby, anders als ihr Umfeld und ihr Erfinder, nicht viel trinken). Erst allmählich zeigt sich, dass Fitzgerald hier auch Beziehungsdramen und einen Kriminalfall ausrollt.

Eminent lesbar:

Wenig pompös ist (neben ein paar mausgrauen Kleinverdienern) nur der Ich-Erzähler, die unwichtigste Figur im Gefüge. Für ihn findet Fitzgerald einen durchgehend ruhigen, knappen, unaufgeregten, eminent lesbaren Ton – der auch darüber hinwegtäuscht, dass der Roman sehr langsam in Gang kommt und Gatsby erst nach vielen Seiten erscheint. Dies ist F. Scott Fitzgeralds dritter Roman, und hier läuft er zu Bestform auf; die hatte sich im zweiten Teil des Vorgängers, Die Schönen und Verdammten von 1922, schon angedeutet, und diesmal verzichtet Fitzgerald noch auf Feuilleton und reduziert aufdringlich Autobiografisches. Die späteren 1,5 Romane sind wieder deutlich schlechter.

Der kurze Roman spielt nur in New York, in den teuren Vorstädten East Egg und West Egg und auf den Straßen und Bahnstrecken dazwischen – räumlich fast so kompakt wie eine Kurzgeschichte, und zeitlich nur über gut drei Monate verteilt. Es gibt nur wenige Rückblenden; ein paar Dinge erzählt Fitzgerald allerdings verspätet oder vage.

Bedeutungsvoll:

Fast jeder Satz scheint eine besondere Bedeutung zu tragen (und Fitzgeraldologe Bruccoli liefert im Band F. Scott Fitzgerald’s The Great Gatsby: A Literary Reference viele faszinierende Erklärungen, Hintergründe und Abbildungen; dazu kommt reichlich weitere englische Sekundärliteratur zu diesem Roman). Gelegentlich erinnert das Buch an Geschichten von Patricia Highsmith, so mit den wohlhabenden Amerikanern, die auf einem Alkoholfilm ihr dolce far niente zelebrieren und einem Übeltäter, der zunächst unbesorgt weiter das Dasein genießt.

Interessant: Jay Gatsby ist nicht die unbestrittene Hauptfigur. Drei weitere Akteure spielen ebenfalls wichtige Rollen, dazu kommen bedeutetende Nebenakteure. Fitzgerald schildert kunstvoll spannungsgeladene Gespräche in Dreier- oder Fünfergruppen – die Anspannungen gehen allein aus den Dialogen hervor, Gefühle und Gesichtsausdrücke muss der Autor gar nicht mehr beschreiben.

Für Schüler:

Ich hab’s auf Englisch gelesen, kann also die vielen deutschen Übersetzungen nicht beurteilen. Ich hatte eine ungekürzte englische Schul-Ausgabe des deutschen Klett-Verlags: Auf jeder Seite werden zehn oder 15 Vokabeln erklärt – die meisten kannte ich, für einige Erklärungen war ich dankbar (für mich enthalten alle Fitzgerald-Romane im Englischen etwas mehr unbekannte Vokabeln als der Durchschnitt meiner englischen Lektüre). Außerdem bringt das schmale Taschenbuch eine Zeittafel und paar kurze Aufsätze zu Fitzgerald, seiner Zeit und der 1974er-Verfilmung.

M.E. ist der Roman freilich für Schüler ungeeignet. Wer ihn liest, sollte schon als Erwachsener Erfahrungen in der erwachsenen Berufswelt gesammelt haben. Andererseits bietet der Roman gute Grundlagen für Diskussionen über Moral und sogar über den unmittelbaren Inhalt, denn Fitzgerald drückt manche Dinge nur indirekt oder verschleiert aus. Der Anhang liefert bereits ein paar Fragen für jedes Kapitel – so wie die book circle-Anhänge bei aktuellen englischen Roman-Taschenbüchern.

Und eben weil der Roman etwas mysteriös, sehr gut und auch sehr kurz ist, habe ich ihn gleich zweimal hintereinander gelesen. Beim zweiten Mal war es wie ein neues Buch.

Die bekanntesten Verfilmungen:

Gatsby lebt sehr stark von der ruhigen Stimme des Ich-Erzählers, eine Nebenfigur in der Handlung. Wie viele Kritiker beider bekannnter Verfilmungen anmerken, lässt sich dieser Ton nicht auf der Leinwand umsetzen; die Kinofassungen haben also eine andere Stimmung als der Roman.

Freie Assoziation:

  • Der kurze Roman Katz und Maus von Günter Grass: Beide Bücher haben einen Ich-Erzähler als Nebenfigur; die Hauptfigur heißt der große Gatsby bzw. der Große Mahlke; beide Bücher sind in etwa gleich lang und die Figuren haben einen vage ähnlich großen räumlichen Bewegungsradius.
  • Ein kleines Romänchen in luftig-leichtem, eindrucksvollem Stil mit einem diffusen Ich-Erzähler sowie Sinistrem im Hintergrund – das klingt auch nach Vivek Shanbaghs Ghachar Ghochar

  • Amazon.com: 4,2 von 5 Lesersternen, 5447 Stimmen
  • Amazon.de: 4,2 von 5 Lesersternen, 42 Stimmen (es gibt weitere Stimmen zu weiteren Ausgaben)
  • Goodreads: 3,86 von 5 Lesersternen, 2148710 Stimmen (jeweils September 2015)


Bücher bei HansBlog.de:

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

 

Nach oben scrollen