Rezension: The Short Stories of F. Scott Fitzgerald – A New Collection, Hg. Matthew J. Bruccoli (1989) – 7 Sterne

160 Kurzgeschichten soll F. Scott Fitzgerald geschrieben haben, dieser Band bringt 43 von ihnen auf gut 772 Seiten. Fitzgerald schrieb Kurzgeschichten meist, um schnelles Geld zu verdienen und freie Zeit für seine Romane zu gewinnen; er redete manchmal verächtlich über seine Kurzgeschichten-Arbeit, und manche Kritiker tun alle Kurzgeschichten als Kommerzware ab.

Doch Fitzgerald erzählt auch hier oft exzellent. Fitzgeraldologe Matthew J. Bruccoli, der die Auswahl zusammenstellte, lobt einige Kurzgeschichten ausdrücklich in seinen Begleittexten. Interessant auch ein weiteres kurzes Vorwort von Charles Scribner – sein Urgroßvater hatte Fitzgeralds erste Bücher bei Scribner herausgebracht.


Fazit:

Insgesamt eine starke Sammlung mit deutlichen Anklängen an – und Abweichungen von – Fitzgeralds bekannten Romanen. Die wiederkehrenden Themen und gleichbleibenden Längen wirken jedoch auf Dauer monoton, sofern man alle 43 Geschichten hintereinander liest.

Literaturwissenschaft:

Jede Kurzgeschichte leitet Bruccoli mit zehn bis 20 kursiven Zeilen ein. Er nennt den Erstveröffentlichungsort, meist eine Zeitschrift wie die Saturday Evening Post, oft das Honorar, und sagt, ob Fitzgerald die Geschichte schon in seine ursprünglichen Kurzgeschichtensammlungen aufgenommen hatte. Gelegentlich er gibt die Wertung anderer wieder, zitiert Fitzgerald zur Textentstehung oder wertet selber (“shows how Fitzgerald could rescue a stale plot through sheer good writing”, S. 481 über At Your Age). All dies kann die Wahrnehmung der direkt folgenden Geschichte beeinflussen.

In den ausgewählten Stücken schreibt Fitzgerald kaum unter seinem üblichen, hohen Niveau (in seiner Fitzgerald-Biografie nennt M.J. Bruccoli jedoch andere Kurzgeschichten, die er für schlecht hält). Fast immer wirkten die Geschichten bei mir nach und ich habe im Internet nach Kommentaren gesucht (teilweise gibt es Wikipedia-Einträge). Viele Kurzgeschichten wurden verfilmt, wenn auch heute nur Benjamin Button bekannt ist (die Verfilmung hat mit der Geschichte nur die Grundidee gemeinsam).

Ungewohnte Themen:

Anders als in allen Romanen verwendet Fitztgerald jedoch in einigen Kurzgeschichten auch fantastische Themen: Er erzählt den kuriosen Fall von Benjamin Button, der mit 70 auf die Welt kommt und dann immer jünger wird, so nonchalant, dass es ganz alltäglich klingt. The Diamond as Big as the Ritz klingt dagegen wie ein überdrehtes James-Bond-Exposee; es beginnt jedoch nach Fitzgerald-Manier mit den üblichen gutsituierten Studenten, ebenso wie die kurze Geistergeschichte A Short Trip Home. Auch Südstaatenatmosphäre breitet Fitzgerald deutlicher als in den Roman aus, so in The Ice Palace, The Jelly-Bean und The Last of the Belles (Südstaaten erscheinen sonst nur im Roman Die Schönen und Verdammten, dort weniger markant).

Ungewöhnlich auch die katholische Seelenpein in Absolution, die an die Gewissensnöte in Graham Greenes Das Herz aller Dinge erinnert (ein katholischer Geistlicher agiert auch in Fitzgeralds Diesseits vom Paradies/This Side of Paradise, 1920, aber weniger dramatisch). Die Geschichte Absolution gilt als Beschreibung von Jay Gatsbys Jugend, sie soll aus dramaturgischen Gründen nicht im Buch erschienen sein.

Die meisten Stücke beanspruchen 20 bis 30 der eng bedruckten, großen Seiten. Noch länger ist das fast novellenartige, sozialkritisch-realistische May Day, Überlänge hat auch The Rich Boy um einen halb unfreiwilligen Junggesellen.

Anklänge:

Das Buch bringt die Kurzgeschichten in chronologischer Reihenfolge, sie erschienen von 1920 bis 1940. Der Ton erinnert jeweils an Fitzgeralds Romane aus der entsprechenden Zeit:

So klingen die frühen Stories von Anfang der 1920er Jahre – etwa Bernice Bobs Her Hair – genauso pubertär-kokett wie Fitzgeralds erster Roman, Diesseits vom Paradies. Etwas später präsentiert Fitzgerald wieder seine selbstsüchtigen jungen Tussies, die wehrlose Männer in die Verzweiflung treiben. Kurzgeschichten, die parallel zum großen Gatsby (1925) und zu Zärtlich ist die Nacht (1934) entstanden, zeigen ebenfalls in Ton und Themen Anklänge an die Romane. Bruccoli nennt im Vorwort bereits Geschichten, die zu diesen zwei Romanen passen.

Erkennbar wird in der Zeitachse auch Fitzgeralds wachsende schriftstellerische Reife: Unterhaltsam und sehr atmosphärisch sind schon die ersten Stücke. Doch die Handlung dreht sich hier manchmal etwas abrupt, lappt ins Banal-Allegorische; die Dialoge sind zu geschriftstellert und einem Konzept untergeordnet (wie im dennoch vergnüglichen Offshore Pirate). Manche früheren Geschichten klingen übermütig, da macht sich einer einen Spaß. Spätere Geschichten wirken teils organischer, unaufdringlicher.

Wiederkehrende Themen:

Allerdings wirkt die Sammlung bei durchgehender Lektüre auch repetitiv: Die Männer haben stets vor dem ersten Weltkrieg in Harvard, Yale oder Princeton studiert; waren kurz bei der Armee; führen dann ein lebhaftes Leben im jazzigen New York der 1920er; trauern einer Frau nach, der sie teils nicht reich genug sind; Debütantinnen jonglieren ihre Galane auf Tanzbälle mit skurrilen Sitten, die Straßen von New York, respektable Nachbarn mit deutschen Nachnamen (einschl. Schnlitzer (sic)), Midwesterner going East, Dampfer going Frankreich – immer wieder das Gleiche, bis hin zur Länge (Fitzgerald schrieb für ein bestimmtes Zeitschriftenformat). Ab Ende der 1920er gibt es mehr scheiternde, alkoholisierte Männer; erst mit Fitzgeralds Krise ab den späten 30ern lesen wir ein paar deutlich abweichende Geschichten auch mit anderen Längen.

Besonders gründlich pflegt Fitzgerald Erinnerungen an die Schul- und Unizeit. Noch in den 1928er-Geschichten The Bowl und The Captured Shadow reminisziert er Jugenderinnerungen. The Bowl, über Uni-Sport-Gepflogenheiten, ist eine von drei Geschichten im Buch, die ich wegen kindischen Jugendmilieus abgebrochen habe; auch Basil und Cleopatra präsentiert eine ungute Mischung aus Collegesport und pubertären Wallungen.

Technisch gefallen mir die Kurzgeschichten von Maugham oder Jay McInerney besser – Fitzgerald findet schöne Formulierungen und Dialoge, wird nie redselig, aber der Aufbau der Erzählungen könnte noch besser sein (auch seine Romane glänzen nicht durch ihre Strukturen, vielleicht mit Ausnahme des Gatsby). Ich lese allerdings Kurzgeschichten nur, wenn mich der Autor zuvor als Romancier überzeugt hat, und kenne nicht viele Kurzgeschichten von unterschiedlichen Autoren. M.E. sollte man etwa fünf bis zehn Geschichten aus dem Fitzgerald-Band herausnehmen, er würde dann auch weniger schwer in der Hand liegen.


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