Roman: Der irdische Amor, von Hans-Ulrich Treichel (2002) – 3 Sterne

Lange habe ich keinen Roman in deutscher Sprache, von einem deutschen Autor gelesen. Denn mein Klischee war immer: Die Deutschen schreiben nur über Schreibblockaden in Berlin, über Selbstbefriedigung und pubertäre Erektion, zwingen verkrampft ihre eigene ephemere Biographie ins Buch – ohne den Willen zu unterhalten und eine stringente Geschichte zu erzählen, ohne mal jenseits des eigenen Habitats zu recherchieren. (Ja, “recherchieren”.)

Danke Ulrich Treichel, danke Suhrkamp Verlag, Sie haben mein Klischee bereichert: Treichel schreibt zwar auch über Schreibblockaden in Berlin. Doch Held Albert leidet nicht an einem blockierten Jahrhundertroman, sondern nur an einer nicht in Gang kommenden Studienarbeit. Ansonsten beäugt Albert, ein wehleidiger, verklemmter Pubertant, gern Frauen in halb-intimen Momenten durch Türschlitze oder Löcher in der Zeitung.

Hochinteressant und relevant:

Auch der Rest, hochinteressant und relevant: Selbstbefriedigung, pubertäre Erektion, die scheinbar private Biographie ins Buch gezwängt. Ich weiß nicht, ob hier nun tatsächlich Treichels Jugend abläuft (zumindest hielt sich Treichel wie sein Albert in Berlin und Italien auf).

Aber die Zeitachse liefert dem Romanautor in den ersten zwei Buchdritteln keinen Halt: er springt von einer Frau zur anderen, vom Boxen zum Judo zum Laufen ins Schwimmbad, von Rom nach Berlin ins Osthessische (sic), vom Internat zur Uniprüfung, von Malern zu Philosophen, vor und zurück, von town zu town, von Fraun zu Fraun (ja, sogar Thommie Bayer ist besser).

Beliebige Schnipsel einer beliebigen Biographie:

So wirkt Der irdische Amor nicht wie ein klug konzipierter Roman – sondern wie Fetzen einer tatsächlichen 08/15-Biographie mit den handelsüblichen Zufällen, Planlosigkeiten und sinnfreien Abbrüchen. Gut, Treichel unterbricht die Geschichte von Elena oder die von Katharina oder die vom bösen Platzwart immer dann, wenn es ein bisschen spannend wird (wenn Elena Alberts Piepmatz im Park auspackt).

Dann schwenkt er zu einem anderen Thema, das seinen Sinn streift – aber rechtfertigen diese aufdringlichen Cliffhanger schon die Bezeichnung “Roman“? Erst im letzten Drittel kommt chronologische Ordnung in die zuvor lose gestreuten Episoden.

Soviel zur Sprache:

Man kann das konsterniert, aber glatt runterlesen, Leipzigschreibprofessor Treichel schreibt unauffällig, sprachlich unambitioniert und gelegentlich liegt die Grammatik daneben, es gibt kleinere Widersprüche, wo war der Lektor, Treichel war doch selber einer, aber was soll’s, nur bei ein paar komplett kunsthistorischen Seiten hielt mich gar nichts mehr.

Wörtliche Rede schreibt Treichel kaum, markante Dialoge nie, kein Charme, kein Pep, keine Prägnanz (ist das verpönt?), alles klingt wie rückblickend im Nuschelton heruntergeleiert. Ich sah keine Ironie, keinen Witz, nur Jämmerlichkeit (Treichel ist kein David Nicholls). Nein, und wäre dieser Roman im Präsens erzählt, er würde auch nicht lebendiger. Das Ganze erinnert traurig an Treichels möglichen Schüler Christopher Kloeble.

Feuilletonisten und Amazonkunden loben den Roman meist.

Von Liebeskummer, aber auch von langweiligen Filmen wie Stalker bekommt Albert Hautausschlag, Kratzanfälle, braucht Cortison. Solch phyischen Furor erzeugt der Irdische Amor bei mir nicht.

Freie Assoziation:

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