Die Autorin ist “Malerin, Familientherapeutin und systemische Supervisions- und Institutionsberaterin“. Ihr überraschender Ansatz hier jedoch:
Ich stellte nur zwei Fragen. Wie bist du aus der Türkei ausgewandert und wie war es dann in Deutschland für dich?
Tiefgang entsteht so nicht, viele Frauen berichten nur rund zwei Seiten lang, eine Bahar gar nur Belangloses auf knapp eineinhalb Seiten. Rolltreppen und Flugzeuge werden erstbestiegen, und einige Gesprächspartnerinnen konnten kurzum so gut Deutsch, dass sie im Betrieb dolmetschten.
Und, ja, die Autorin sprach nur mit Frauen, was aus dem Titel nicht hervorgeht. Sie interviewte laut U4 “ihre Freundinnen“, auch das nicht ansatzweise repräsentativ, und man meint, ihre Gesprächspartnerinnen seien von Anfang an relativ gut situiert und sprachgewandt gewesen.
Scheinbar kamen alle diese Frauen zwischen 1967 und 1975 nach Deutschland, meist mit dem Flugzeug, ein paar Mal im Zug voll hübscher junger gesprächiger Frauen, einmal im “Mercedes”, einmal
drei Tage in einem VW, mit vier Personen und ebenso vielen Säcken mit Bohnen, Reis, Kichererbsen und Okraschoten
Schlimm war die Voruntersuchung durch deutsche Ärzte in Istanbul. Die erste Unterkunft in DE war stets spartanisch, egal ob privat beschafft oder von der Firma gestellt. Eine Türkin wurde aus diesem Grund sogar Maklerin, kaufte später eine Eigentumswohnung und sagte voraus, dass keine zurückkehren werde. Die Erinnerungen an die meisten Lehrer, Nachbarn und Chefs sind gut – wurden schlechte Erlebnisse verdrängt oder verschwiegen? Oder gab es sie wirklich kaum?
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Ein paar Berichte sind deutlich länger, handeln aber nicht nur von Migration, sondern unabhängig davon vom Alltag in Deutschland oder in der Türkei. Emine auf Seite 101 sagt frei heraus, dass sie sich an ihre Einreise nicht erinnert; sie will aber “über meine Arbeit in einer Frauenfabrik” reden und produziert alsdann lauter Allgemeinplätze wie in einer Rede zum 1. Mai. Thema verfehlt.
Das Buch beginnt auch nicht wie auf dem Umschlag versprochen mit einer “Geschichte vom Ankommen“, sondern mit anekdotenreichen Istanbul-Kindheitserinnerungen von Autorin Sevim Çelik-Lorenzen (*1961) – arm, aber glücklich, so klingt das, ziemlich harmlos, mit selbst erlegten, selbst gerösteten Spatzen und Privatschaf Fatma, das belegt rund 17 von netto rund 107 locker bedruckten Seiten mit allerlei Tippfehlern. (Der redaktionelle Text beginnt auf Seite 7 und enthält ein paar eingestreute, teils doppelt verwendete SW-Fotos (Seite 28/29, S. 93/94).)
In diese hingehuschten Kindheitserinnerungen packt die Autorin en passant tolle Erlebnisse und Figuren, die ein eigenes Buch hergeben könnten – die Geschichten passen nur nicht in ein Buch über Aus-/Einwanderung.
Ein anderer längerer Buchteil scheint wieder von der Herausgeberin selbst zu stammen (ich weiß es nicht genau), steckt aber zunächst voll enttäuschender Verallgemeinerungen:
Mit der Zeit veränderten sich die Menschen in der alten Heimat, und die Migranten veränderten sich ebenso, ohne sich dessen bewusst zu werden…
Dem folgen erste interessante, mild exzentrische Nachbarschaftskontakte in Berlin, von denen ich gern mehr gehört hätte.
Aber nicht nur in der Istanbuler Kindheit ist alles Friede, Freude, Eierkuchen, Freundschaft und Zusammenhalt; auch ihre Interviewpartnerinnen bezeichnet die Autorin mehrfach solidarisch als “diese wunderbaren Frauen”, und sie schwärmt von ihren Kolleginnen an den Löttischen bei Siemens, aber auch von deutschen Ingenieuren, Chefs und Lehrern.
Trotz aller Schwächen hat das Buch bewegende Momente von Fremdheit, Ungewissheit, Trennung und Wiedersehen.
Assoziation:
- Die netten, harmlosen Abenteuer der kleinen Sevim im Istanbuler “Armenviertel unterhalb von Şişli” erinnern vage an die ebenso niedlichen, tiefgangfreien und mild exotischen Lausdirndlgeschichten von Lena Christ. Sie erinnerten mich auch an den Istanbul-Roman von Orhan Pamuk
- Bei den Ankünften in Deutschland denkt man natürlich an das Deutschlandmärchen von Dinçer Güçyeter
- Die schlichten, teils verklärenden Minimemoiren erinnern an die von Ulrike Siegel gesammelten Dorf-Geschichten
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