Erster Leseeindruck: Atatürk: Eine Biographie, von Klaus Kreiser

Über Atatürks Eltern erfahren wir fast nichts. Doch gleich auf den ersten Seiten (nach Inhalt, Vorbemerkung und Vorwort) extemporiert der Autor gut sieben Seiten lang Schall und Rauch: er bespricht die wechselnden Namen und Titel seines Protagonisten – u.a. Mustafa Kemal Pascha Atatürk Bey Büyük Gazi Necât Münci, und weitere.

Turkologisch:

Dabei rauscht Orientalist Kreiser durch das ganze Atatürkleben und verwirrt mit Turkologischem:

In einem Bericht von Ağaoğlu Ahmed Bey (1869 bis 1939), einem aserbaidschanischen Intellektuellen, der in türkische Dienste getreten war, las man im Jahr 1926: “An seine Exzellenz, unseren Retter, den großen Gazi Mustafa Pasa.” Münci ist mit dem Wort necât in der Bedeutung “Erlösung”, “Befreiung” verwandt. Beide Begriffe gehen auf eine gemeinsame arabische Wurzel zurück. Mustafa Kemal gebrauchte necât…

Wie kann man so in eine populärwissenschaftliche Biografie einsteigen? Wenn überhaupt, sollte Kreiser die Erklärungen dann liefern, wenn die Namen tatsächlich im Lauf des Atatürklebens aufkommen. Und nicht en bloc als Einstieg in die Biografie. Doch fast entschuldigend heißt es schon auf der ersten Seite des Haupttexts:

Der Leser einer Atatürk-Biografie hat Anspruch auf eine kleine Namenskunde und eine Erklärung der verschiedenen Titel

Und das, noch bevor die Hauptfigur im Buch auch nur geboren ist.

Auf Seite 29 ist Atatürk immerhin schon in der Schule, das muss ungefähr 1892 sein (Jahreszahlen als lebende Kolumnentitel fehlen), doch in einen einzigen Absatz packt Kreiser hier noch Snippets aus “1925”, “1924” und “1926”.

Auch sonst verliert Kreiser sich gelegentlich in Details, beschreibt etwa Geschichte und Kulisse der Ausbildungsorte Atatürks zu tiefgehend.

Karten und Listen:

Die Beck-Hardcover-Ausgabe zeigt vorne und hinten eine doppelseitige Türkeilandkarte – zweimal genau dieselbe, eng gefasste Region in den Jahren 1924 und 1938. Die Karte zeigt nicht mal Atatürks Geburtsort, das Izmir “gegenüberliegende” (Seite 22) Thessaloniki, geschweige denn den ebenfalls interessierenden Balkan.

Das Buch liefert mehrfach Tabellen, etwa mit Atatürks Schulnoten; die sind oft exzellent, aber Kreiser sagt überwiegend nicht, wie stark sich Atatürk (mutmaßlich) vom Klassendurchschnitt abhob.

Auch sprachlich war ich unterwältigt, etwa hier auf Seite 33 (kursiviert wie im Buch):

Obwohl den Sultan-Kalifen, der sich in seinem Palast förmlich selbst interniert hatte, nur wenige Auserwählte beim freitäglichen selamlık zu Gesicht bekamen, war seine Verehrung Pflicht aller Untertane

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