Lese-Eindruck: Ein Mann fürs Haus, von Nina Stibbe (2014, engl. Man at the Helm)

Gleich auf den ersten Seiten hatte ich Bauchschmerzen vor Kichern und Lachen, das gibt’s ganz selten. Die Szenen sind teils zu cartoonhaft, aber es gibt drollige Einzeiler.

Das Vergnügen legte sich schnell. Ich brach ab etwa auf Seite 70, das tue ich sonst nicht, aber YOLO. Warum feiern Profikritiker das Buch als Spaßkanone – haben sie nur die ersten Seiten gelesen?

Unrealistische Kinder:

Es ist ein alter Kniff, eine Neunjährige altklug brabbeln zu lassen, schon wird’s lustig. Doch die Kinder hier reden so weit über ihren Altershorizont hinaus, dass Stibbe besser in der dritten Person erzählt hätte, oder sie hätte die Kids 14 und 16 Jahre alt gemacht. So vergleicht die neunjährige Ich-Erzählerin nebenbei

all the tunes that women like her played (Chopin, Beethoven etc.) plus the lesser-known but much nicer Clementi

Und ihre elfjährige Schwester sagt:

If they haven’t experienced the hell and high water of family life, they might go to the bad with the shock of it

Das klingt wie ein Zitat, aber Nina Stibbe (*1962) nennt keinen Ursprung dazu. Unentwegt reden die Kinder wie Erwachsene, auch bei der Suche nach einem Mann für ihre Mutter. Ebenso wenig glaube ich, dass eine Neunjährige realistisch handschriftliche Briefe im Namen ihrer Mutter schreiben kann.

Durch die Kinderperspektive hat das Buch keine ernsthafte Psychologie oder Liebes-Dialoge, nur ein paar zu altkluge Bemerkungen über

inviting our schoolteachers to have sex with our mother,

hoho.

Stibbe sagt erst im Lauf der Geschichte, dass sie 1968 beginnt. Sie verrät auch (innerhalb meiner Leseprobe) nicht, wann die Ich-Erzählerin ihre Geschichte erzählt, in welchem Alter – sie erzählt offenbar als Erwachsene.

Auch anderes lässt Stibbe aus, doch der Mut zur Lücke war zu groß: So fehlen die ersten Monate im neuen Dorf – nur der Einzugstag kommt vor, und dann ist die Familie auch schon ein paar Monate da.

Wir hören damit rein gar nichts von den Erfahrungen der drei Kinder in der neuen Dorfschule, sehr seltsam bei einer neunjährigen Ich-Erzählerin mit zwei Geschwistern.

Spätere Teile der Handlung wirken unrealistisch und zusammengewürfelt, wie eine sehr heterogene Anekdotensammlung, und keinesfalls immer auf die Männerbeschaffung konzentriert. Kann ein Hund einen Kuchen aus der Bäckerei klauen?

Zur Übersetzung:

Ich kenne nur das engl. Original, und mir gefielen dort sehr kompakte Einzeiler wie:

Mrs Hillward (who was named Marjorie before margarine had become the norm, she said, and wished either she hadn’t or it hadn’t)

Ich war interessiert, ob Übersetzer Marcus Ingendaay diesen Satz ähnlich kompakt eindeutscht. In einer Online-Leseprobe fand ich’s:

Marjorie stammte, wie sie sagte, aus einer Zeit vor dem Aufkommen von Margarine und wünschte, eines von beidem hätte einen anderen Namen erhalten.

Ich weiß, welche Fassung mir besser gefällt.

Ich finde auch den deutschen Titel nicht ideal, statt “Ein Mann fürs Haus” hätte ich “Ein Mann im Haus” genommen (auch das trifft die gewünschte Bedeutung nicht ganz). Der Buchtitel wird im Roman aufdringlich oft wiederholt, und jedes einzelne Mal passte “Ein Mann im Haus” besser als das verwendete “Ein Mann fürs Haus” (aber das habe ich in der dt. Fassung nicht überprüft).

Die deutsche Fassung erhält auch auffällig schlechtere Nutzerwertungen als die englische (Stand Februar 2022):

Ob es an kulturellen Unterschieden liegt, oder auch an der Übersetzung?

Sprache:

Stibbe schreibt zu Beginn knapp und konkret, z.B.

She even put a finger to her lips.

Die Autorin

  • sagt nicht, was die Geste bezweckt (es heißt, sei leise, man weiß es aus dem Zusammenhang)
  • sagt nicht einfach allgemein, dass die Kinder zur Ruhe aufgefordert wurden, ohne die Geste zu konkretisieren

Stibbe beschreibt allein die konkrete Handlung, der Leser denkt mit. So soll’s sein. Verblüffend, dass die neunjährige Ich-Erzählerin genau über solche Erzählhaltungen doziert:

Terence Rattigan, who didn’t do as much explaining and yet revealed so much. Our mother did rather spell things out and her characters occasionally broke the fourth wall ((sprechen zum Publikum)), which I considered cheating

“Cheating” ist es wohl auch, eine Neunjährige so reden zu lassen.

Manchmal wird die Autorin zu aufdringlich, wenn sie etwa den Buchtitel “Man at the Helm” viel zu oft im Lauftext wiederholt – genau einmal nennen, das wäre cool gewesen.

Die vielen Klammerbemerkungen strengen nur noch an:

We (eventually) realized we were expected to…

Assoziation:

  • entfernt die Adrian-Mole-Bücher von Sue Townsend: ebenfalls naiv lustig in England in etwas derangierten Familien
  • die ironisch selbstmitleidigen Theaterszenen der Familienmutter erinnerten mich vag an Norah Ephron
  • Nina Stibbes Vorgängerbuch Love, Nina könnte in die gleiche Richtung gehen (Erinnerungen eines Au-pair-Mädchens bei einer reichen Familie)
  • Love, Nina erhielt Lob und ein BBC-Drehbuch von Nick Hornby, der manchmal ein bisschen wie Stibbe schreibt (oft besser)

 

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