Kritik Kurzgeschichten: We Move, von Gurnaik Johal (2022) – 4/10 Sterne

Sein nächstes Buch sollte Gurnaik Johal ganz in Amritsari-Punjabi schreiben, mit Einsprengseln in Hindi und Marathi zwecks Multikultur. Er sollte es mit weiteren Sikhismus- und Pogrom-Hintergründen spicken und jeden, der die Lektüre verweigert, anklagen.

Gurnaik Johal schreibt lakonisch über Inder (oder Indischstämmige?) im Londoner Stadtteil Southall in Flughafennähe. Teils schildert er junge, schon etablierte Paare; teils ältere, sehr traditionelle Herrschaften; sowie junge Männer und Frauen, die gerade erst eintreffen und sich einfinden müssen. Überwiegend spielt die indische – genauer: – Punjabi-Herkunft eine Rolle, wegen Heimwehs, Start im neuen Land, Erinnerungen, Fremdenfeindlichkeit oder Kulinarik.

Einige der besten Geschichten könnten auch unter Weißen spielen, so

  • das erste Stück Arrival um ein junges Paar, das vorübergehend ein verlassenes Auto zur Verfügung hat,
  • der Text um eine Hausbesichtigung nebst Einbrecher nebenan,
  • die Geschichte The Turn um ein Paar, dessen Tochter und einen weiteren Mann oder
  • die Titelgeschichte um zwei einst alleinerziehende Mütter und ihre erwachsenen Kinder

Wiederkehrende Themen sind homosexuelle Liebe unter jungen Männern und Frauen, indisches Essen und indische Gastronomie in England und USA sowie Flugzeuge am Himmel und im Kinderzimmer.

Lapidare Enden:

Die Sehrkurzgeschichten enden meist nach vier bis acht Seiten – auch, weil Johal sie wohl nach dem ersten Schreiben dramatisch kürzte, mitunter bis zur Unverständlichkeit. Speziell die lapidaren Enden verstand ich nicht immer. Die meisten Geschichten erzählt Johal chronologisch; ein Text jedoch schildert drei mehrfach wechselnde Zeitebenen zwischen 1972 und 1980. Einer springt durch mehrere Jahrhunderte auf wenigen Seiten. Selbst die Johal-Fanboys vom Guardian (zwei Rezensionen, ein banales Interview) finden eine Geschichte

oblique to the point of obscurity.

Vier Johal-Geschichten erzählen – nicht chronologisch – von der selben Familie, die Titel lauten Chatpata: Kaam, Chatpata: Ahankar, Chatpata: Moh und Haven Green.

Highlight für alle Rezensenten einschl. Hans D. Blog ist die Aufmachergeschichte Arrival – sie wirkt runder als alle anderen (Volltext hier). Sie schmeißt auch nicht mit unerklärtem Hindi, Marathi und Punjabi um sich und erlaubt keinen Rückschluss auf die Qualität der weiteren Stories. Darum bekam sie wohl einen Preis und verspricht weit mehr, als die weiteren Texte einlösen können.

Pooni, pagh, parathe:

Gurnaik Johal verknappt nicht nur oft bis zur Unverständlichkeit – so bekam ich bei der Geschichte The Piano kein Bein auf den Boden –, er nutzt auch wenig bekannte indische, Punjabi- oder Marathi-Ausdrücke, die in meiner englischen Hardcover-Ausgabe nicht erklärt werden, z.B. allein in der Geschichte “Chatpata: Kaam”:

pooni… XFC… pagh… parathe… atta… saag… kaam… dahi… achar… chaat-wallahs… nagar kirtan… imli water… pindh

Diese relativ lange Geschichte mischt sehr disparat Kulinarik, jugendliche Homosexualität in der indischen Provinz und die Ausschreitungen gegen Sikhs 1984.

Andere Geschichten kredenzen dann noch unerklärt kabaddi, avsose, parshaad, seva, bibiya, simran, tava, parshaad, sabzi, shabads, daree, gol gappe, chaat, bhurta, dhol sowie

srishti, sthiti, samhara, tirobhava, anugraha

Tun Johal und sein Lektorat (?) dem Leser damit einen Gefallen? Zwar heißt es im Buch:

the goreh actually like to see some apneh

Aber das gilt nicht für unverständliche Vokabeln.

Teils bezeichnen die o.g. Ausdrücke Speisen, wie der Zusammenhang zeigt, andere beziehen sich auf Rituale oder auf Bezeichnungen für Weiße vs. Inder.

Mata Khivi:

Eine Geschichte erzählt anderthalb Seiten über Mata Khivi, “one of the Guru’s wives” und dann seitenlang über die Greuel im Goldenen Tempel. Zusammen mit einigen hermeneutischeren Geschichten oder zumindest Geschichten-Enden wirkt das arrogant bis verächtlich. Vielleicht richtet sich ja der Text auch bewusst an In(si)der, Indien- oder besser Punjab-Versteher, die wie Gurnaik Johal die Ausdrücke “1984” und “genocide” bewusst direkt hintereinander schreiben.

Nicht freundlicher wurde meine Meinung, als ich auf zwei kurze Geschichten stieß, die Johal ohne jeden Absatz druckt.

Assoziation:

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