Kritik Hongkong-Memoir: Myself a Mandarin, von Austin Coates (1968) – 7/10

Fazit:

Austin Codes präsentiert interessante Konflikte aus dem ländlicheren Hongkong kurz nach 1949 – interessante juristische oder moralische Konflikte und Einblicke in ungewöhnliche Denkweisen. Er schreibt leicht lesbar, sogar gut und elegant, ist jedoch zeitweise selbstgefällig und paternalistisch, auch seine häufige Selbstironie klingt selbstgefällig.

Bezirksbürgermeister:

Autor Coates (1922 – 1997) arbeitete ab 1949 in der Verwaltung Hongkongs. Dann wurde er Special Magistrate von New Kowloon, quasi einer von drei Bezirksbürgermeistern Hongkongs (meine Paraphrasierung), der ländlichsten Region mit den New Territories, mit vielen Flüchtlingen aus Festlandchina – obwohl er nichts von englischem oder chinesischem Recht verstand. Auch ortsübliche Sitten waren ihm zunächst fremd, sagt er, während er sich in seinen Geschichten wiederholt rühmt, Denkweisen und Erwartungen zu durchschauen.

Eine Art Richter oder Mediator ist der Autor außerdem: er berichtet im Buch vor allem über Land- und Scheidungsstreit, gelegentlich beides in einem Fall; stehen Früchte auf dem Land, muss die Ernte abgewartet werden, bevor sich etwas ändern darf.

Verständnisvoll:

Austin Coates spottet immer wieder breit über sich und seine Kenntnislosigkeit. Über seine Gesprächspartner stellt er selbstgefällig immer wieder Mutmaßungen an, die sich später oft bestätigen – sagt er. Hier seine Spekulation über einen widerborstigen Vermieter:

Brought up by ahmas, I had said to myself, the instant I first saw him. Son of a third or fourth mother, I now mentally added. Brought up in a lonely house with high ceilings, perhaps; seldom seeing his father, and separated from his brothers… brought up alone in a world of neglected women… desiring power, but never having any.

Coates behauptet, er versteht diesen Mann besser als jeder Chinese, denn “Freud was not born in China”. Diesem Chinesen sagt er dann auch: 

”I understand you better now… you are not only inhuman, you are a fool.”

Solche Beleidigungen von Amts wegen erklärt Coates einige Kapitel später so:

My own technique… was to annoy them, even with abuse when necessary, until, aroused and coming to their own self-defence, they would sometimes involuntarily trick out some preciously needed fact… in a village court, why not speak in a village way?

Im vorletzten Kapitel extemporiert Coates allgemein über den interkulturell richtigen Umgang mit Chinesen und widerspricht dort allem, was er in den vielen Fallgeschichten bisher geschildert hat. Im letzten Kapitel erklärt der Autor dann selbst, sein 

confidence of judgement may have been considered excessive, particularly when coupled with his immediately infuriating capacity for having things his own way

Solomon Coates:

Zur Selbstgefälligkeit des Autors trägt bei, dass Coates über sich selbst – den Special Magistrate – mehrfach in der dritten Person redet:

The Special Magistrate had had his failures… but at the end of two years in office there was one point on which he felt he could certainly congratulate himself. He still knew nothing about law… The day came when the special magistrate – he will not be squeamish about it – outrivalled Solomon in his wisdom. By accident, of course.

Besonders selbstzufrieden klingt der Verfasser, wenn er komplizierte Fälle auf ungewöhnliche, nicht-westliche Art löst.

Chinesische Freunde:

Der Engländer Austin Coates redet, von postkolonialer Wokeness unangekränkelt, selbstherrlich arrogant über Hongkong-Chinesen, die ihre Fälle im Magistrat vortragen. Diese Chinesen lernen wir ein wenig kennen. Immer wieder auch erwähnt der Autor seine örtlichen, einheimischen Bekannten:

the numerous Chinese friends I had entertained at home… I already numbered among my Chinese acquaintances one or two leading actors and actresses

Aber über diese illustren Freunde erfahren wir rein gar nichts, und er zieht auch keine Vergleiche mit seinen Aufenthalten in Indien und anderswo in Asien. Kein Wort über sein Privatleben. Wiederholt erwähnt er “the staff” und deren Aufregung oder Erwartungen, stellt uns seine Angestellten aber nie vor, mit Ausnahme des Übersetzers Mr Lo. Wir erfahren auch nichts über Coates’ Haus und Leben auf einer kleinen Insel. Coates schlachtet vor allem das provinzielle Hongkong als Chinesenstadl aus.

Coates liefert aber auch interessante Einblicke in fremdartige Denkweisen und Gebräuche, in Feng Shui, Buddhismus, Taoismus und in die Zusammenarbeit mit chinesischen Angestellten. Und das Buch rundet sich zum Schluss unerwartet elegant, der Buchtitel erscheint verblüffend, aber passend im letzten Satz.

Interessant: Coates spricht nie von Briten oder Engländern, sondern von “Europeans”

Kühe und Frauen:

Nach einer länglichen Einleitung zur Geschichte Hongkongs und zum eigenen Weg nach Hongkong erzählt der Engländer Austin Coates seine kuriosesten Streitfälle, unter anderen:

  • Eine streunende Kuh frisst unerlaubt Gras aus dem Nachbardorf, doch letztlich grämt sich eine Erstfrau über die Zweitfrau ihres Mannes und will die Scheidung; wichtig ist hier auch, wer Söhne oder Töchter geboren hat, verstanden habe ich wenig
  • Ein Wasserkressezüchter hat ein Feld von einem Mann gekauft, dem es gar nicht gehörte; nun will der rechtmäßige Besitzer sein Land zurück; der Wasserkressezüchter will aber nicht weichen. Die Verhandlung darüber findet öffentlich statt mit 200 feindseligen Dörflern; der Autor findet eine versöhnliche Lösung, nicht nach den Buchstaben des Gesetzes, aber alle Seiten wahren ihr Gesicht
  • Im nächsten Streit geht es wieder um Landbesitz, der sich nicht durch Papiere beweisen lässt – und um eine schöne junge Frau, die von einem Kontrahenten zum anderen überläuft; zudem diskutiert der Autor innerchinesische Fremdenfeindlichkeit und wie sich ein Ungeborenes darauf auswirkt
  • Einen Bauer nutzt Land, das ihm nicht gehört; sein geplanter Rauswurf wird für kommunistische Propaganda ausgeschlachtet; er verlässt das Land erst nach einem weiteren schwer verständlichen und schlecht erklärten Schachzug des Autors
  • Ein buddhistischer Mönch beantragt die Genehmigung, einen Hang mit Bäumen zu bepflanzen – ganz im Sinn der Kolonialverwaltung; letztlich bezweckt der Mönch etwas anderes; der Hang liegt übrigens neben dem Kloster und hat eine schöne Aussicht
  • Ein Dorf und eine Minengesellschaft streiten sich Anteile an Quellwasser
  • Zwei Schwägerinnen streiten sich lauthals um den Besitz von drei Kühen, die man ja nicht 50:50 aufteilen kann
  • Die Hauptfrau des Mannes ist kinderlos, doch seine Konkubine gebar ihm einen Sohn und ist netter zum Verfasser; welche also darf bei diesem Mann wohnen bleiben und welche muss in ein anderes Dorf?
  • Scheidungswunsch nach 7 Jahren auf einem Boot, und mit einer Armada von Übersetzern
  • Jung-Mann und Jung-Frau schlafen auf entgegengesetzten Seiten einer löchrigen Holzwand; sie wird schwanger; die Eltern des Jung-Manns reden unverständlich blumig und verweigern eine Hochzeit

Assoziation:

Bücher bei HansBlog.de:

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

 

Nach oben scrollen