Biografie-Kritik: Nobody’s Perfect: Billy Wilder – A Personal Biography, von Charlotte Chandler (2002) – 7/10

Die Autorin verbrachte viel Zeit mit Billy Wilder und protzt gern damit:

Billy Wilder and I frequently ate breakfast at the Beverly Hills Hotel

Sie stalkte auch andere A-Promis und erzählt gleich auf der ersten Seite, wie sie mit Groucho Marx um die Häuser zieht, rein zufällig Billy Wilder trifft und ein Interview klarmacht. Bei jedem Promi-Statement sagt sie „told me“:

Tennessee Williams told me… Audrey Hepburn told me… Tony Curtis told me… At lunch with Billy Wilder and I.A.L. Diamond… James Cagney told me… Henry Fonda told me…

Das Name-Dropping klingt penetrant. Die vielen Promi-Zitate über Billy Wilder (1906 – 2002) erscheinen weitgehend freundlich, das affirmative Zitat-Stakkato erinnert an ein Making-of auf Film-DVDs oder an eine arte-Kultur-Doku: die Akteure loben sich aufdringlich gegenseitig über den Klee. Kritisch klingt in diesem Buch nur Billy Wilder selbst (unter anderem über sich und über Marilyn Monroe).

Zu den lustigsten Passagen im Buch gehören die Erzählungen von Tony Curtis und Jack Lemmon, die in „Some Like it Hot” als Frauen auftraten: Wilder schickte sie in Verkleidung auf die Damentoilette im Filmstudio – würden sie als  Frauen akzeptiert?

Autorin Charlotte Chandler schreibt überaus flüssig (und unkritisch) in vielen kurzen Kapiteln – oft lustig dank Billy Wilder, gelegentlich berührend. Ernste, aber höfliche Kritik am Wilder-Film Spirit of St. Louis äußert nur ein anderer Regisseur, der diesen Stoff gern selbst verfilmt hätte. Meine Taschenbuchausgabe zeigt nur wenige Bilder direkt auf ungestrichenem Textdruckpapier.

Auf Dauer wirken die vielen Kapitelchen – ein Kapitel pro Film –  monoton. Man hat den Eindruck, Chandler hat zu jedem Film noch mehr Statements gesammelt und bringt trotzdem nur eine kurze, etwas zufällig wirkende Auswahl pro Film. Am Buchende irritiert  das ungewohnt lange Kapitel über Wilders Kunstsammlung.

Die Autorin Charlotte Chandler heißt bürgerlich Lyn Erhard und ist schon deshalb nicht mit Billy Wilders gelegentlichem Co-Autor Raymond Chandler verwandt. Charlotte Chandler biografierte auch viele andere Hollywoodgrößen.

Die beiden Wilder-Biografien von Hellmuth Karasek (1992) und Charlotte Chandler (2002) im Vergleich:

Gemeinsamkeiten: beide Bücher lassen sich sehr leicht lesen. Beide Autoren protzen mit der vielen Zeit, die sie mit Wilder verbrachten; nur Chandler zeigt auch ein Foto von sich und Wilder. Beide lassen Wilder ausführlich zu Wort kommen und sind nicht an scharfer Kritik oder äußerster Sachlichkeit interessiert. Viele Anekdoten erscheinen fast eins zu eins in beiden Büchern, vor allem in der jeweils ersten Hälfte. Kein Autor fragt, warum Billy Wilders Filme ab etwa 1960 weniger interessant wurden, ob er je ein wichtiges gedrucktes Buch plante oder welche Bücher ihn beeinflussten (abgesehen von solchen, die er verfilmen wollte). Beide beschreiben ausführlich die Versteigerung von Wilders Kunstsammlung; Chandler erwähnt Karaseks Anwesenheit bei der Versteigerung.

Unterschiede: nur Chandler interviewt noch viele andere Hollywood-Promis über Billy Wilder. Chandlers Buch liest sich wie ein kohärenter Lebenslauf, Karasek bringt ein Anekdoten-Sammelsurium. Chandler erzählt etwas mehr über den Menschen Wilder, kommt ihm aber auch nicht nah. Chandler erzählt Filminhalte eingerückt ausführlich im Lauftext; Karasek erzählt Filminhalte im Anhang knapper und mit Besetzungsliste – die kommt bei Chandler erst im Anhang. Karasek erzählt mehr über Wilders Zeit in Berlin ab 1945; nur Chandler redet über die letzten erfolglosen Wilder-Filme und Wilders Reaktion darauf.

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