Buchkritik: Die schreckliche deutsche Sprache/The Awful German Language, von Mark Twain (ca. 1879) – 8/10

Der US-amerikanische Erfolgsautor Mark Twain (1835 – 1910) interessierte sich schon als Jugendlicher für die deutsche Sprache und verbrachte später zweimal mehrere Monate in Deutschland. In diesem knapp 35seitigen, hoch unterhaltsamen Essay schimpft Twain heimlich verliebt über alles Missliche im Deutschen: Bandwurmwörter, Bandwurmsätze, Bandwurmsätze mit trennbaren Verben und Klammerbemerkungen, absurde Genus-Zuordnungen, ständig wechselnde Endungen je nach Kasus, Genus und Numerus, kraftlose Kraftausdrücke.

Flüssig und herzhaft selbstironisch:

Twain schreibt flüssig, mit guten Beispielen, lustigen Veranschaulichungen und herzhafter Selbstironie. So heiße es sie/die Rübe, aber es/das Mädchen, solche irritierenden Geni listet Twain zuhauf. Gelegentlich übertreibt er es um des Effekts willen, seine Beispiele haben keinen Bestand: “die Engländerin” sei zu tautologisch und mit “the she-Englishwoman” zu übersetzen – nein.

Länger mokiert sich Twain über verwirrende eingeschobene Bemerkungen in Bandwurmsätzen, die er für typisch Deutsch hält. Genau diese Unsitte stört mich an vielen deutschen Romanen nach etwa 1955. Twain hat mich auch wieder daran erinnert, wie stark sich mein Blick auf die deutsche Sprache ändert, wenn ich sie Ausländern vermitteln will; das gilt für nicht-westliche Ausländer noch stärker.

Übersetzungsprobleme:

Ich hatte das blaue Pappbüchlein von Manuscriptum/Manufactum und habe dort den englischen Text gelesen, der ausgesprochen leicht fällt. Auf der gegenüberliegenden Seite erscheint jeweils die deutsche Übersetzung von Ana Maria Brock, die mir nicht immer zusagte (andere Ausgaben verwenden andere Übersetzer).

Teilweise lässt sich Twains Sprachwitz auch nicht adäquat übersetzen. So nutzt er die mehrfache Bedeutung des englischen “to decline” (u.a. deklinieren, ablehnen) für diesen Satz:

He would rather decline two drinks than one German adjective.

Da fehlt in der deutschen Übertragung zwangsläufig der halbe Witz.

Das Bändchen enthält auch Twains Struwwelpeter-Übersetzung nebst (besser) dem deutschen Original und unscharf reproduzierten Originalzeichnungen. Helmut Winter liefert im kurzen Nachwort ein paar interessante Details; so erschien Twains Aufsatz über die deutsche Sprache zuerst innerhalb seines Reisebuchs Bummel durch Europa.

Assoziation:

  • Mark Twain bloggte auch übers Italienische: Italian without a Master; Italian with Grammar
  • einen modernen Ausländer-Blick auf die deutsche Sprache liefert David Bergmann
  • ein humoristischer Twain-Zeitgenosse, Oscar Wilde, interessierte sich auch fürs Deutsche, jedenfalls lässt er seine Figur Cecily im Stück Ernst sein ist alles mehrfach Deutsch lernen

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