Buchkritik: Die Erben der Tante Jolesch (1978), von Friedrich Torberg -7/10

Im Vorwort erklärt Friedrich Torberg ausführlich, dass dieser Band dem ersten Jolesch-Erfolgsband inhaltlich und stilistisch sehr ähnelt. Dazu gehören auch Nachträge und Korrekturen zum Vorgänger, samt seitengenauen Querverweisen. Torberg liefert sogar gleich die Verrisse mit, mit denen die Zeitungsschreiber sein Konzept verdammen könnten.

Vom Hundertsten ins Tausendste:

Wie schon im Vorgängerband begreint Friedrich Torberg die häufigen Themen -, Szenen- und Personalwechsel im Buch und erheischt Entschuldigung für den

von mir in Eigenproduktion erzeugten Konflikt, für den ich schon in der “Tante Jolesch” mehrmals die Nachsicht des Lesers erbitten mußte und der mir auch jetzt wieder arg zu schaffen macht, nämlich: wie die Fülle des Materials, mit dem ich’s zu tun habe, am besten zu ordnen und zu präsentieren wäre. Es ist, bei aller Wesensgleichheit seiner Substanz, doch ein recht divergentes Material, an dessen Nahtstellen sich zahlreiche Anschlüsse und Übergänge anbieten – ohne daß ein richtig zwingender darunter wäre. Zwar hat die Gefahr, vom Hundertsten ins Tausendste zu geraten…

Und:

Mein abermals zur Erfolglosigkeit verurteiltes Bestreben, irgendeine Ordnung in diese Aufzeichnungen zu bringen, verteilt sich auf drei erfolglose Ansätze: nach thematischen, personellen und zeitlichen Gesichtspunkten.

Sprachlich:

Trotz der typischen und selbst erkannten Weitschweifigkeit schreibt Torberg ein leicht altmodisches, sehr gefälliges und bestens lesbares Doppelrahmstufe-Deutsch mit wenigen Ausnahmen wie

bis zu seinem 1969 erfolgten Ableben… ein Gegenstand der Ernstnahme… exzellierte… erfolgte die Antwort… ein versöhnlicher Hinblick auf inzwischen erfolgte Wiedergutmachungen veranlaßt mich…

Und wie jeder (Deutsche jedenfalls) weiß, heißt es “Zeitenwende”, doch Torbergs Kapitelüberschrift lautet “Die Zeitwende”.

Trotz fast durchgehend sprachlicher Brillanz gelingen Torberg auch unangenehme Fehler, so auf Seite 74:

Hier könnte die Geschichte enden, tut es ((sic)) aber nicht

Unglücklich formuliert fand ich Torbergs Hoffnung, die wenigen Zeilen über ihn selbst mögen (S. 78)

nicht in Selbstbespiegelung und Selbstgefälligkeit entarten (sic)

Wie im Vorgängerbuch unterläuft ihm gruseliges Koppel-s, hier auf Seite 119f und Seite 203:

Ausnahmsfälle… Ausnahmsfall… Anerkennungsspendern

Bekannte Leute:

Das “Erben”-Buch bringt also gutteils Anekdoten der Protagonisten aus dem ersten Jolesch-Buch, etwa Franz Molnar (wieder sehr ausführlich), Egon Friedell, Alfred Polgar, die Werfels, Max Reinhardt und mein Favorit, der schlampige Advokat Hugo Sperber, bzw., wie Torberg natürlich schreibt, Dr. Hugo Sperber. Etwas kompliziert begründet Torberg indes, warum er von Karl Kraus allerlei weiß, aber wenig druckt: Torberg habe von Kraus

noch etliches mehr zu berichten, was auf vorgefaßten Unglauben stieße, obwohl es authentisch ist. Vielleicht findet sich’s in meinem Nachlass.

Erstmals im zweiten Band erscheinen Julius Epstein, Joachim Ringelnatz, Herbert Rosendorfer, Ephraim Kishon, Arthur Schnitzler (Schnitzler-Anekdote 2 von 2 ist ein Highlight), Sigmund Freud, Martin Buber.

Ein neues Thema im zweiten Band erkennt man schon an der Kapitelüberschrift “Sport“. Hier schildert Torberg ausführlich, welche jüdischen Vereine und Sportler einst Topleistungen brachten; dass Sportvereine konfessionsgebunden sind, diskutiert er nicht. Er berichtet viele krude bis komische Beispiele von Antisemitismus unter Zuschauern und eigene Erlebnisse als Top-Wasserballer in Wien und Prag. Humor und Verzweiflung mischen sich in Fluchtgeschichten aus der Emigration.

Authentisch erfunden:

Mehr als im ersten Band berichtet Torberg von Umständen der Emigration – teils dramatisch – und äußert sich öfter stramm anti-links. Ein paar Anekdoten klingen so blass, dass sie herausredigiert gehören. Viel öfter habe ich laut gelacht.

Wie im ersten Band schreibt Torberg auch Erfundenes, ohne es als solches zu kennzeichnen – ein Mangel. Seine ausgedachten Anekdoten stünden, so Torberg treuherzig auf Seite 72,

auf der Basis sachkundiger Erfindung… ((weswegen)) auch die erfundenen Geschichten in gewissen Sinn authentisch sind

Assoziation:

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