Rezension Andalusien-Buch: Last Days of the Bus Club, von Chris Stewart (2014, 4. Teil der Reihe “Driving over Lemons”) – 7 Sterne

In Andalusien war ich auch mal.

Chris Stewart erzählt weitere Geschichten seines Auswanderer-Lebens: Der Engländer wohnt seit 20 Jahren mit Frau und Kind auf einer entlegenen Farm in den andalusischen Alpujarras. Mit Driving over Lemons und zwei Nachfolgebänden landete er große Erfolge.

Und hier im vierten Teil (erschienen im Juni 2014) geht es in gewohnter Manier weiter: Chris Stewart spottet über sich selbst, über den Blick der Spanier oder seiner Teenager-Tochter auf ihn, er erzählt mit Wärme und Sinn für die treffende Pointe. Ich habe von Anfang an gekichert und konnte bis zum Buchende kaum aufhören. Die Vorgängerbände muss man nicht unbedingt kennen.

Der titelgebende Bus Club ist eine Versammlung von drei Vätern, die ihre Kinder an der Haltestelle des Schulbusses absetzen und anschließend noch einen Schwatz halten oder Schafe tauschen. Weil die Sprösslinge kurz vor dem Schulabschluss stehen, heißt das Buch Last Days of the Bus Club (dieser Titel erinnert vage an den des vorhergehenden Bands, The Almond Appreciation Society).

Die Themen in diesem Buch:

  • gesprächige Nachbarn halten Stewart auf dem Weg zum Zahnarzt auf; doch wenn er ihre Geschichten ordentlich zu Papier bringen will, erzählen sie alles ganz anders – und weniger spektakulär
  • als bekannter Schriftsteller soll er einen Vortrag an der Schule seiner Tochter halten
  • TV-Koch Rick Stein filmt bei Stewart (das Ergebnis erscheint im Video oben – der Film wirkt weitaus entspannter als Stewarts Schilderung der Dreharbeiten, diese Schilderung ist aber lustig zu lesen)
  • Ferienjob als 16jähriger auf einer englischen Baustelle (wie schon im letzten Buch bringt Stewart auch England-Erinnerungen unter)
  • mehrfach Stress mit spanischer Bürokratie
  • Hühnerzucht (erinnert etwas an die Hühner-Passage aus Victoria Tweads Andalusien-Buch Chicken, Mules and Two Old Fools)
  • Besuch bei einer Dorfheilerin
  • Juror bei einem Kochwettbewerb
  • Dasein als Biofarmer
  • englische Schulklasse besucht Stewarts Hof
  • Schäden durch dramatischen Regen
  • Mittelspanien-Reise mit einem Agrarunternehmer
  • Hauptredner bei der Feria seiner Gemeinde
  • Auftritt bei einem dörflichen Buchklub

Wie immer gibt es keine Chronologie: Stewart erzählt einzelne Geschichten, die nicht miteinander verbunden sind und zeitlich nicht genau eingeordnet werden (sein Verlag: “His latest crop of anecdotes… an unqualified hoot”).

Philosophen und Schafe:

Als “life’s bold original” wird Stewart auf dem Buchcover vorgestellt. Ein Original ist er ohne Frage, doch “bold”?

Das passt nicht ganz. Stewart schreibt selbst auf Seite 75, dass er Wettbewerb nicht mag, er sieht sich

“with the idlers, the dreamers, the wanderers and philosphers”.

Auch nach Jahrzehnten als Bauer bewahrte Stewart einen künstlerisch distanzierten Blick auf sein Leben. So muss er seine Schafe einmal einer Strapaze unterziehen und freut sich hernach:

“(They) instantly forgot the whole wretched episode. An endearing quality of sheep is that they harbour no grudges, which, for a sheep farmer, is a great convenience.”

Erinnerung an Michael Jacobs:

Dieses Buch widmet Stewart dem Anfang 2014 verstorbenen Spanien-Autor Michael Jacobs. In einer Geschichte fahren die beiden als Juroren zu einem Kochwettbewerb, der etwas unangenehm alkoholisch und gefräßig endet. Das erinnerte mich an die Kritik des Independent zu Jacobs’ Buch Between Hopes and Memory, A Spanish Journey:

“The worst part of the book is Jacobs’ persistent flirtation with the picaresque. There is something faintly embarrassing about his frequent nights on the tiles, spent with companions hazily alluded to”

Jacobs hatte in seinem Between Hopes and Memories, A Spanish Journey auch über Stewarts Heimat geschrieben, die Alpujarras. Stewart selbst kam dort nicht vor, Jacobs schildert die Region jedoch bereits als Zufluchtsort für Ausländer und konvertierte Moslems.

Jacobs’ reist in Between Hopes and Memories auf den Spuren alter spanischer Dichter, erzählt mit vielen historischen Details. Vielleicht wollte Stewart es ihm nachtun, als er in einer Episode in Lorcas Geburtsort Fuente Vaqueros anhält – doch dieser kurze Abschnitt ist besonders unergiebig.

Kritik:

Bei aller Unterhaltung: Stewart hat nun viel Routine und mancher Absatz wirkt ein bisschen plaudertaschig und kalkuliert anekdotig. Gelegentlich produziert Stewart rhetorische Fragen, nie ein Zeichen für wünschenswerte Sprachökonomie.

Speziell der Aufsatz über den Kochwettbewerb ist zu lang und ansatzweise pubertär. Und Stewart hatte schon im Einstieg zu dieser Geschichte verkündet, dass er noch Material für ein paar Artikel brauchte – hier breitet er es aus, zu breit.

Öfter mischt Stewart zwei unterschiedliche Themen in ein Kapitel, die nicht so gut harmonieren und einzeln kaum bestehen, aber auch gemeinsam nicht ganz rund wirken. Manche Geschichte endet ohne rechte Pointe (enttäuschend, wenn man Stewarts Sinn für trockene Pointen kennt und schätzt).

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Vokabelprobleme:

Einmal mokiert Stewart sich über ein Vokabelproblem – die Sache hätte sich erledigt, wenn er den Begriff kurz nachgeschlagen hätte. Und zumal, es geht um die spanische Übersetzung des englischen “co-education”, die richtige Antwort kann sogar ich mir denken.

Das Buch hat auch mehr Vulgarität als frühere Stewarts und wiederholt sagt er peinlich selbstgefällige Sätze, will sich damit aber über sich selbst lustig machen. Seine Frau heißt meist “the Wife” (sic) oder auch Santa Ana.

Wirklichen Tiefgang gibt es nicht, wir lernen kaum Spanier näher kennen (sieht man von ein paar Witzfiguren ab); doch das Buch liest sich runter wie ein sortenreines andalusisches Natives Olivenöl Extra und amüsiert über weite Strecken.

Stewart erzählt, wie er wiederholt Lesern seiner Bücher begegnet. Etwas überraschend loben sie ihn alle und eine begeisterte Stewart-Leserin bei einer Behörde verspricht ihm Unterstützung. Das erinnerte mich etwas an Mein anderes Leben von Paul Theroux, auch er trifft immer wieder zufällig auf Leser.

Stewarts Last Days of the Bus Club hat etwa 35 teils amüsante Schwarzweißfotos, jeweils eine halbe Seite groß. Einige davon kehren farbig und klein auf den inneren Umschlagseiten wieder.

Andere Stimmen:

Sidney Morning Herald:

“In its most schmaltzy passages, the book resembles a somewhat self-satisfied, self-absorbed occasional letter from a sort-of-friend… Stewart can make a fair bit out of not much at all… He lacks pomposity, he does not bang on at length about local genealogy or geology, he seems genuinely fond of his family

Inthenickioftime:

“Now I don’t think that Chris Stewart’s life is any funnier than mine. It’s just that he spins a great yarn; he would make a fabulous dinner-party guest! … Chris’ writing is hilarious… The author is not laughing at other people, though – his humour is self-deprecating, poking fun at his own shortcomings”


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