Romankritik: Zwischen den Palästen, von Nagib Machfus (1956, Kairoer Trilogie Teil 1) – 7/10

In der siebenköpfigen Familie von Abd al-Gawwad laufen verschiedene Vorabenddramen parallel ab:

  • Jasin will nicht, dass seine geschiedene Mutter wieder heiratet und ihn so enterbt;
  • der Herr des Hauses steigt einer üppigen Tänzerin nach, dann der verwitweten Nachbarin;
  • und sein Sohn Jasin bespringt alles, was vorn und hinten drall ist – Gattin, Musikantin, Hausmagd, ob fett, ob schwarz;
  • Sohn Fahmi will die hübsche Nachbarstochter ehelichen, doch was wird Vater dazu sagen? Später wird er zum Revoluzzer.
  • die goldlockige Aischa schmachtet einen Militär aus der Ferne an, der prompt einen Antrag übermittelt, doch was sagt wiederum Vater dazu?
  • Lästermaul-Tochter Chadiga mit der dicken Nase kommentiert alle Scharaden genüsslich und möchte zeitlich vor der jüngeren, aber gefragteren Aischa in den Hafen der Ehe einfahren.

Machfus‘ kredenzt große fette Hochzeiten und leckere Skandälchen. Frauen sind hier teils Heilige oder Hure, treu sorgende Mutter oder kalt kalkulierende Tänzerin – so un-woke und misogyn textet Nagib Machfus, dass er 1994 zurecht in Kairo niedergestochen wurde.

122 Seiten Nichts:

Viel Drama also, doch bis Seite 122 passiert nichts. Der 1988 nobilitierte Autor liefert zunächst nur Verallgemeinerungen und Mikroszenen einer siebenköpfigen Familie, plus Bedienstete und Nachbarn – Alltag im Haus, im Geschäft oder auf dem Schulweg. Dabei stellt Nagib Machfus (1911 – 2006, auch Nagib Mahfuz, Naguib Mahfouz) die Familienmitglieder hier gekonnt vor. Er verzichtet jedoch über die ersten 122 Seiten weitgehend auf Dialog und Handlung – sehr mutig, und ein schlechterer Schreiber hätte längst meine Aufmerksamkeit vergeigt.

Erst ab etwa Seite 122 kommen zwei Romanzen zaghaft in Gang: ein Sohn des Hauses tauscht Blicke mit der jungen, schönen Nachbarin Marjam, und der Herr des Hauses, immer sehr pro Wein, Weib, Gesang, bespeichelt die dralle Tänzerin Zubaida; die beiden raspeln ebenso höflich wie zweideutig mehrere Festmeter Süßholz – hochvergnüglich.

Monomanisch:

Bei allen interessanten Einblicken und Komödien langweilen doch:

  • wieder und wieder fegt der despotische Familienvater alle Vorschläge und Träume seiner Frau und Kinder vom Tisch, und sie fügen sich schafbrav, weil “die Demut gegenüber den Männern zur Religion gehörte und als Dogma betrachtet wurde”; zugleich ist der fette Tyrann im Kreis seiner Spezln und Kunden ein Ausbund an freundlicher Jovialität, bei Frauen ein Sexberserker
  • wieder und wieder und wieder äußern die Akteure ihr Vertrauen darin, dass der Allmächtige ihnen beisteht und  ihr Glück garantiert
  • die monomanisch treu ihrem Gott im Himmel und ihrem Gott im Haus ergebene Hausfrau Amina

Ungefähr bis Seite 450 von 686 spielt Politik kaum eine Rolle. Dann folgt ein Kapitel lang ein politisches Gespräch, und danach bleibt Politik wichtig – mit verwirrend vielen Namen, einem seitenlang zitierten politischen Schreiben, kolonialpolitischen Wirren, Soldaten auf der Straße, nächtlichen Verhaftungen, Zwangsarbeit, Demos.

Zuvor hatte der Roman überzeugend soziale, kulturelle, seelische und religiöse Sphären ausgeleuchtet – die Politik ist für meinen Geschmack zu viel, selbst wenn es um die Revolution von 1919 und Machfus’ persönliche Erinnerungen geht, selbst wenn nun ein paar interkulturelle Begegnungen anstehen. Zum Glück vergeht sich Jasin zwischendurch mal wieder an einer Dienerin.

Sprache:

Die Übersetzung von Doris Kilias (Mutter von Jenny Erpenbeck) klingt oft angemessen mild historisch und deftig, nur gelegentlich fragwürdig oder falsch:

…beschwörte er sie ((S.239))… unbewußt beschwörte er sich das Bild dieser Frau herauf ((Seite 525))… trügte ihn sein Gefühl nicht ((S. 527))…  “wer bist du eigentlich, um alles mögliche beschließen müssen zu meinen” ((S. 316))… Fahmi nickte verneinend ((S. 581))… sie gehen beide in die gleiche Schule ((S. 644, Unionsverlag-Taschenbuch, offenbar 1. Auflage 1996))…

Die gedrechselten Höflichkeitsformeln, diplomatischen Phrasen und Beschwörungen der Protagonisten klingen noch im Deutschen ölig-schön elegant – wie gern würde ich das gekonnte Parlando auf Arabisch lesen. Es stört mich gar nicht, dass nur hohle Floskeln erklingen:

Das war nicht von Herzen gekommen, vielmehr hatte seine Zunge ihn sagen lassen, was sich in einem solchen Moment gehörte.

Mein deutscher Text verwendet zu viele Personalpronomina, so dass nicht immer ganz klar ist, wen der Autor meint. Wer ist ”er“? Vielleicht ist das im arabischen Original klarer, allerdings gibt es das Problem bei vielen Romanen. Eine Lösung, die Übersetzerin Doris Kilias jedoch offenbar nicht wählte: man setzt statt des ”er“  den Eigennamen oder ein Substantiv ein, um den Bezug zu verdeutlichen; so geschah es in den Jane-Austen-Übersetzungen von Eva Leipprand.

Assoziation:

  • Die Tänzerin und Liebesdame Zubaida und ihre komfortablen, orientalischen Umstände erinnern an die Tänzerin Saeeda Bai aus dem indischen Roman Eine gute Partie/A Suitable Boy von Vikram Seth und entfernt an die Tänzerin Chandramukhi aus dem indischen Roman und Verfilmungen von Devdas
  • Buch-Übersetzerin Doris Kilias im Nachruf ihrer Tochter Jenny Erpenbeck

Wie geht es weiter:

Recherchen überzeugten mich, die weiiteren Teile der Kairoer Trilogie nicht zu lesen. Doch ich musste das Schicksal der Protagonisten bis zum Ende von Band 3 kennen. Also schickte ich folgende Frage an mehrere KIs:

Ich las den Roman „Zwischen den Palästen“ von Nagib Machfus. Das ist der erste Teil einer Trilogie, doch die Teile 2 und 3 möchte ich nicht mehr lesen. Trotzdem möchte ich wissen, wie es mit den Protagonisten weitergeht. Bitte sage mir mit jeweils 3 bis 8 Sätzen, was aus den folgenden Personen wird. Du kannst dabei spoilern und muss nicht genau erklären, ob etwas in Band 2 oder 3 passiert; ich will diese Bände ja nicht lesen, ich will nur das Schicksal der Personen bis zum Ende von Band 3 kennen:

  • Der Familienvater Abd al-Gawwad
  • Amina
  • Aisha
  • Chadiga
  • Kamal
  • Yasin
  • Zainab, Ex-Frau von Yasin (bei der Scheidung schwanger)
  • Das Kind von Yasin und Zainab
  • Umm Hanafi (langjährige Dienerin der Familie)
  • Umm Marjam, die Ältere (Nachbarin)
  • Umm Marjam, die Jüngere (Tochter, Nachbarin)
  • Zanuba, die Lautenspielerin
  • Zubaida, Sängerin und Tänzerin

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