Der Autor liefert gefühlsechte Einblicke in alltägliche Mittelschicht in einem Wohnblock in Mumbai – mehrfach lustig, skurril, momentweise berührend oder verstörend. Es gibt ein paar Auswanderer in New York und Toronto, keine Hauptfigur, keine arrangierte Ehe und nur einmal (verhinderte) Liebe.
Rohinton Mistry bringt zu viele indische Wörter, und ich kann nicht einmal die Sprache benennen, ein Glossar fehlt in meiner englischen Faber-Taschenbuchausgabe.
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Beschreibung:
Kritiker reden von elf verbundenen Kurzgeschichten, ich bezeichne Rohinton Mistrys Erstling als Roman. Daran ändert auch nichts, dass einige Kapitel einen auktorialen, andere wechselnde Ich-Erzähler haben, sogar in einfacherem Englisch.
Manche Kapitel enthalten zu viel Beschreibung, Rückblende oder Erzählung von Cricket; die wenigen Dialoge klingen gestochen scharf, aber der Autor geizt damit.
Auf der Buchrückseite lobt der Guardian:
Mistry’s joyful notation of the world reminds us that description is one of fiction’s first and gravest tasks
Nach diesem Blurb fürchtete ich zu viel Beschreibung, zu wenig Handlung und Dialog; so kommt es auch in vielen Kapiteln, die gleichwohl hohe erzählerische Qualität offenbaren.
Weltlich:
Die indischen Mittelschichtfiguren sind äußerst weltlich: Frauen gönnen sich sonntags zwei Finger Whisky mit dem Eis, das sie im Kühlschrank der Nachbarin deponieren. Sie hören “Für Elise” und “The Blue Danube”:
„Strauss!“
Sie heißen Jacqueline, werden aber Jaakaylee genannt.
Flüssigkeiten, Feststoffe, Aromen:
Weit mehr als Hans D. Blog mag Autor Rohinton Mistry (*1952) fiese Flüssigkeiten, Feststoffe, Aromen und Derbes – lustvoll beschreibt er den Matsch erschlagener Ratten, Betelsaftspuckattacken auf Festgewänder, widerliche Pannen auf dem Klo, klebriges Sperma, Hundekot, Verwesungsgeruch menschlicher Leichen, lautes Hochziehen und Ausstoßen von Speichel, indisch Hocken auf Westklo samt ersehntem „Crappus Non Interruptus”, Unangenehmes in den Wellen von Chaupatty Beach, Menstruation, ferngesteuert stuhlgangauslösende Implantate, Achselschweiß, Darmwinde (mehrfach), überlaufende Gullis.
Überwiegend Männer ab etwa 13 sind oft notgeil, halten Taschenlampen unter Schülerinnenröcke, rubbeln sich gegenseitig in schwuler “masturbatory partnership” im verdunkelten Klassenzimmer, analysieren „the tip of my member”, verfolgen im Schwimmbad “the straying curls of brown pubic hair“; Ehemänner beäugen verstohlen gut gebaute Zugehfrauen; Ehefrauen reden beim Kondolenzbesuch über Penisrekonstruktion in China – die frischgebackene Witwe freut sich über die Abweichung von der Trauerroutine; Schülerinnen rutscht zufällig der Rock hoch. (Lustiger fände ich das aus der Feder einer Frau.)
Wie immer in Filmen und Büchern aus Indien und Afrika verblüfft die Rüdheit der Figuren. Sie halten ihre eigene Meinung unangenehm hoch und scheuen darum nicht die Einmischung in Angelegenheiten anderer – Horror.
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Mäkeleien:
Das Geisterkapitel wirkt konstruiert: eine Zugehfrau wickelt sich gegen die Nachtkälte auf dem Balkon in ein Betttuch und wird von fern für einen Geist gehalten, nachdem zuvor lange von Geistern geredet wurde.
Im Kapitel „The Paying Guests“ schreibt Mistry zeitversetzt und mit dräuenden Andeutungen – billige Spannungstricks, die er sonst souverän meidet. Zudem ist hier eine Hauptfigur ernsthaft verrückt (selbst für indische Verhältnisse), das kratzt am realistischen Gesamteindruck der Handlung. Womöglich entstand dieses Kapitel in einer anderen Schaffensphase als die übrigen.
Das Kapitel „Squatter“ besteht nur aus Geschichten, die ein selbstgefälliger Bewohner im Innenhof den Jugendlichen erzählt, im Mittelpunkt eine Geschichte über Probleme der Inder mit westlichen Klos.
Der indische Indien-Verächter Jamshed in der Auswanderergeschichte “Lend me your Light” ist zu plakativ (hoffe ich)
Assoziation:
- von fern Salman Rushdies Kurzgeschichte über zwei Mittelschichtnachbarn in Chennai
- der Wohnblock (chawl) im Indien-Roman Ernste Männer bzw. Genie ist relativ von Manu Joseph (2010, engl. Serious Men)
- die indische Mittelschichtfamilie und ihr Wohnblock im Hindifilm Taare Zameen Par – Ein Stern auf Erden (2007, mit Aamir Khan); der Außenseiterjunge dort erinnert zudem an Mistry’s verträumten Jehangir aus dem Kapitel The Collectors.
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