Romankritik: Im Krieg und in der Liebe (engl. The Amateur Marriage), von Anne Tyler (2004) – 7/10

Anne Tyler schreibt hochatmosphärisch, mit packenden Details und kleinen, intimen Konflikten. Sie schildert kleine Leute aus den Vororten. Sie schreibt meist hochgradig realistisch und nüchtern, ohne bizarre Zufälle, nur bei der Suche nach dem verschwundenen Kind wunderte mich zeitweise etwas.

Sie verzichtet auf dräuende Andeutungen oder Symbole und vorahnungsvolle Träume. Sie verallgemeinert nicht und fasst nicht zusammen, sondern liefert plastisches Szenen. Der englische Buchtitel erscheint paraphrasiert, aber nicht wortwörtlich auf den letzten Seiten der englischen Ausgabe – perfekt. Der Roman rundet sich gefällig, aber nicht aufdringlich gefällig.

Die Hauptfiguren reden allerdings gelegentlich zu clever geschriftstellert – unterhaltsam, aber nicht so realistisch wie das biedere Mittelschicht-Milieu im Roman erwarten lässt.

Von Kapitel zu Kapitel überspringt Anne Tyler mehrere Jahre und Kindsgeburten, ich vermisste Jahreszahlen als lebende Kolumnentitel wie in einer Churchill-Biografie. Gelegentlich blendet sie zurück in frühere Kapitel, die eigentlich auserzählt schienen, und liefert interessante Details nach.

Hier passiert nicht viel. Die Dramen köcheln unterm Deckel. Spannend bleibt es aber wegen Fragen wie: Kriegt sie ihn? Kriegt er sie? Verlässt sie ihn? (Diese Fragen gelten mehrfach im Lauf eines Lebens.) Explodiert der Konflikt mit der Schwiegermutter? Was wird aus dem abtrünnigen Kind?

Kleinere Beschwerden:

  • Ungefähr zur Buchmitte gibt es etwa ein Kapitel lang einen gefährlichen Flirt, von dem später nichts mehr zu hören ist.
  • Fast am Buchende gibt es ein Date, bei dem die Akteure zu deutlich konstruiert aneinander vorbei reden
  • Auf der Suche nach dem verschwundenen Kind scheinen die Akteure nicht energisch genug
  • Die Erzählerin verwendet mal die Perspektive von Pauline, mal von Michael. Speziell aus Paulines Sicht erzählt sie in sehr lebendigem Ton und man möchte mehr über die Erzählerin wissen, aber sie hat keine eigene Rolle in der Handlung
  • Vielleicht beschreibt sie die wechselnden Produkte, Moden und Geisteshaltungen beim Gang durch die Jahrzehnte etwas zu aufdringlich

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