Romankritik: Redhead by the Side of the Road, von Anne Tyler (2020) – 7/10

Das ist schön menschlich und alltäglich, ohne haarsträubende Zufälle oder Ausgeflipptheiten. Doch die Dialoge klingen teils zu filmreif oder bedeutungsvoll, ebenso wie einige Details – angefangen bei der Souterrainwohnung mit den Fensterschlitzen.

Ein Beispiel: Kurz bevor der vermeintliche Sohn auftaucht, träumt die einsame Hauptfigur von einem Baby. Später wird uns explizit erklärt, dass aus diesem Traum ein Kinderwunsch spricht; viel zu aufdringlich.

Was mich wunderte: Das Buch stammt von 2020, und es gibt in der Geschichte Smart-Home-Geräte. Trotzdem ist mehrfach von Modems die Rede – stammen die nicht aus einem früheren Jahrhundert? Es gibt Netflix, und gleichzeitig verbringen die Hauptfiguren gern Zeit auf dem Sofa mit einem Stapel Zeitungen; ist das nicht auch ein anderes Jahrtausend? Hauptfigur Micah joggt angeblich in Jeans oder „cut-offs“, echt jetzt?

Die Sprache ist wie immer unauffällig brauchbar, ein Baby nennt Ann Tyler zu Beginn des zweiten Kapitels mehrfach “it“. Verblüffend: dieser kurze, vielgelobte Roman der Erfolgsautorin, ihr 23., erschien offenbar nicht auf Deutsch.

Assoziation:

  • wie in den Reisen des Mr Leary (Accidental Tourist, 1985) und anders als in Im Krieg und in der Liebe fokussiert dieses Buch von Ann Tyler auf einen kleinen Personenkreis in einem begrenzten Zeitraum (abgesehen von den üblichen Rückblenden)
  • die nüchterne Cass in diesem Buch, Partnerin der Hauptfigur, erinnert deutlich an die nüchterne zweite Partnerin der Hauptfigur im Tyler-Roman Im Krieg und in der Liebe, und beide sind Lehrerinnen
  • Auf jedem Buch von Ann Tyler steht ein Lob von Nick Hornby, und dieses hier erinnerte mich am ehesten an Hornby
  • Irgendwie dachte ich, dieses Buch ist eine Kaufhausversion von Alice Munro
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