Henry (Mitte 50, frühpensionierter Bankfilialleiter) und Tante Augusta (75) begegnen sich nach Jahrzehnten wieder. Sie reisen mit dem Zug von London über Paris nach Istanbul; später treffen sie sich in Paraguay erneut. Henry ist dezidiert dröge, die alte Dame flamboyant und etwas rätselhaft.
Gepflegtes Parlando:
Greene schrieb Die Reisen mit meiner Tante, engl. Travels with my Aunt, zur eigenen Unterhaltung (Quelle), mehr als seine anderen Romane. Der gepflegt langweilige Ich-Erzähler parliert in gepflegt unterhaltsamem Ton, auch die Dialoge klingen gefällig (ich kenne nur die englische Originalfassung und kann die Eindeutschung nicht beurteilen). Der ganze Roman wirkt gediegen und wohlkonstruiert – und ermüdet doch auf Dauer:
- zu viel Komik möchte Greene aus der Kombination alte Dame/amouröse Abenteuer herausschütteln;
- zu sehr betont er die Geheimnisse, die sie umranken, und zu deutlich weist er auf die Lösung der Mysterien hin, nur der Ich-Erzähler scheint nichts zu merken;
- zu oft trifft der betont konservative, steife Ich-Erzähler auf unkonventionelle Typen und Situationen, die seine Contenance auf die Probe stellen (dies erinnert etwas an die Komik in Greenes Kurzgeschichtenband Leihen Sie uns Ihren Mann?);
- manche Anekdote flicht Greene zu lose ein, als Erinnerung aus alten Zeiten oder als Erzählung von Zufallsbekannten, sie fügen sich nicht bündig in die Erzählung;
- mitunter weidet er sich zu sehr an mild sexuellen Tönen (der Ich-Erzähler ist immerhin Mitte 50, Autor Greene war bei der Niederschrift über 60);
- die immer wiederkehrende Figur Wordsworth ist sicher als running gag gedacht, ermüdet aber auf Dauer mit Pidgin-Englisch und immer überraschendem Erscheinen
- einige Zufälle und Wiedertreffen sind zu unwahrscheinlich, aber das gehört wohl zu einer Boulevardkomödie (in Romanform), die ohnehin keiner ernst nimmt.
Erheiternd amüsant:
Man liest es heiter amüsiert, doch Spannung oder Begeisterung entstehen nicht. Insgesamt denkt man fast an einen komischen Stummfilm, oder an eine harmlose Klamotte aus den 60er Jahren.
Tatsächlich wurde der Roman 1972 von George Cukor verfilmt und erhielt einige Preise. Wegen der über lange Seiten statischen Schauplätze liegt auch ein Theaterstück nah – es wurde 1989 uraufgeführt.
- Englische Wikipedia: Travels with My Aunt als Roman, als Film, als Theaterstück
- Die Verfilmung: 6,4 von 10 Publikumssternen auf IMDB, nur 40 Prozen Kritikerzustimmung bei Rotten Tomatoes (bei kleiner Basis; mit engl. Kritikerzitaten)
- Auf HansBlog.de: Lustige Romane, England-Romane
Freie Assoziationen zu anderen Romanen:
- Towards the End of the Morning von Michael Frayn und Mr Stone And The Knights Companion von V.S. Naipaul wegen der distinguiert englischen Angestellten-Atmosphäre auf vielen Seiten von Travels with my Aunt
- Die Zugreise-Bücher The Great Railway Bazaar und Ghost Train to the Eastern Star von Paul Theroux wegen der Zugfahrt London-Istanbul
- Andere Romane von Graham Greene wie Das Herz aller Dinge, wegen der Anspielungen auf Katholizismus
Interessante Kritikerstimmen:
…locker angelegten Gaunerspäße…
Extremely entertaining and often very funny… can be seen as just such deliberate self-parody… a tour of Greeneland conducted by a genial, comic and nostalgic guide
Overdoes the Roman Catholic references and the grammar is questionable at times, but it remains a fun read…
Travels with My Aunt is well worth the fare… While the eventual outcome of the story is obvious to the reader from the start, Greene weaves a tale of wanderlust, loyalty and self-discovery that kept me hooked until the final page – and beyond… It’s the subtlety of Henry’s awakening to the world, to the potential of a life well lived, that I enjoyed. As Greene gradually unveils the decades and escapades that chart Aunt Augusta’s life, the previously indistinct and forgettable Henry begins to unfurl and take shape before our eyes
Whilst it wasn’t my favourite read of all time it is a bloody clever book indeed… Could have just been a really entertaining and quirky read, and in many ways it remains that, there is just a little bit of a forced feeling of an author wanting to be deemed worthy that dampens it on occasion and makes the book feel much longer than it is.
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