Rezension: Seeds of Fiction – Graham Greene’s Adventures in Haiti and Central America 1954 – 1983, von Bernard Diederich (2012) – 6 Sterne – mit Presse-Links

Der weitgereiste Time-Journalist, Haiti- und Mittelamerika-Kenner Bernard Diederich (*1926) lebte vor allem auf Haiti, in Mexiko und Miami. Er begleitete Graham Greene (1904 –1991) ab 1954 über Jahrzehnte auf vielen Reisen in der Region und lieferte ihm viele Gesprächspartner zu, einschließlich einiger Machthaber. Auf den ersten 150 von 300 Seiten berichtet Diederich über Haiti und Graham Greene; die zweite Buchhälfte handelt von Reisen und Begegnungen vor allem in Panama und am Rand in Nicaragua und Kuba. Dabei zitiert Diederich immer wieder aus Greenes Briefen an ihn. Diese Briefe zeigte er dem Greene-Biografen Norman Sherry nicht (Quelle).

Haiti:

So wie Diederich es darstellt, erwärmte er Greene erst für die Idee eines Haiti-Romans, um Aufmerksamkeit auf das unter François Duvalier (“Papa Doc”) leidende Land zu lenken.

Diederich berichtet über Haiti und Greene noch ausführlicher als der amtliche Greene-Biograf Norman Sherry, vor allem über Greenes 1965er-Besuch in der Dominikanischen Republik mit einer dreitägigen Fahrt entlang der haitianischen Grenze. Dabei reportiert Diederich banalste Kleinigkeiten bis hin zur binnengereimten Pinkelpause à trois (“each chose a tree to…”, S. 76) und “bowel movements” (S. 196 in der Hardcoverausgabe des Peter Owen-Verlags). Angeblich strich Diederichs Sohn “many destracting details that had overloaded earlier versions of this book” (S. 7). Doch Seeds of Fiction ist immer noch überfrachtet (s.z.B.S. 76, S. 196).

Auch Greene selbst hielt Diederichs Schreibstil für zu detailliert. Greene kommentierte Diederichs Somoza-Buch so (S. 245):

I found that you went into too great detail and there were too many quotations from speeches etc., which were repeated over and over again.

Dazu Diederich (S. 246):

Graham’s editorial suggestions were of immeasurable value. He was correct… ((The Somoza-book)) did well, even in the United Kingdom.

Der Erfolg des lt. Greene überladenen Somoza-Buchs ermutigt Diederich vielleicht, auch Seeds of Fiction zu überladen. Außerdem berichtet Diederich über viele Seiten von blutigen Coups und Intrigen auf Haiti, mit denen Greene nichts zu tun hatte, selbst wenn Spurenelemente davon später in Greenes Haiti-Roman Die Stunde der Komödianten/The Comedians (1966) auftauchten. Viele dieser Geschichten hatte Diederich zuvor bereits in Artikeln und Büchern verarbeitet. Diederich erzählt auch, wie die Tontons Macoutes ihn und seine haitianische Familie mehrfach bedrohten und zur Ausreise zwangen – dramatischer Stoff.

Diederichs Buch erscheint rund zwei Jahrzehnte nach Greenes Tod und drei Jahrzehnte nach der letzten Begegnung der beiden Männer. Trotzdem gibt Diederich viele Gespräche verbatim wieder – er sagt, er habe die Dialoge sofort niedergeschrieben; mindestens einmal lief ein Tonband mit (S. 241).

Warum wartete Diederich so lange mit dem Greene-Buch? Vielleicht auch wegen dieses Glaubens: “a journalist should not become the story” (S. 7). Oder weil nach Norman Sherrys erschöpfender Biografie ja eigentlich alles (Wichtige) gesagt war? Vielleicht ging Diederich der Haiti-Teil auch zu nah – Diederich, seine haitianische Frau und seine Kinder befanden sich mehrfach in der Hand der Tontons Macoutes, mussten fliehen, Verwandte und Freunde  zurücklassen, Diederich hatte jahrelang Albträume (S. 291).

Panama:

Die zweite Buchhälfte beginnt mit Panamas Herrscher Omar Efraín Torrijos und dessen Auseinandersetzung mit den USA, bis er schließlich Graham Greene kennenlernt; Time-Journalist Diederich ist als Vermittler und teils als Übersetzer dabei. Diederich erzählt hier auch, wie Greene ihn auf den Besuch des Greene-Biografen Norman Sherry vorbereitete (S. 174f, aber der Sherry-Besuch selbst erscheint nicht mehr) und wie Greene mit panamaischem Pass in die USA reist.

Nach etwa 70 Seiten lernt Greene nicaraguanische Sandinisten in Panama kennen und reist schließlich mehrfach nach Nicaragua. Flüchtig trifft Greene in Diederichs Buch auch Manuel Noriega, Daniel Ortega, Gabriel Gárcia Márquez und Fidel Castro.

Aus den Begegnungen auf dem mittelamerikanischen Festland machte Greene jedoch anders als bei Haiti, Kongo, Sierra Leone oder Vietnam nie einen kompletten Roman; er schrieb laut Diederich lediglich ein erstes mittelamerikanisches Romankapitel, das liegenblieb, und veröffentlichte das Erinnerungsbuch Getting to Know the General über Torrijos.

Panama steht bei Diederich im Vordergrund des zweiten Buchteils. Gegen Ende des Buchs besucht Diederich dann Greene in Antibes, trifft auch Greenes Partnerin Yvonne Cloetta und schildert Greenes bescheidenes Leben. Bizarr: Ganz in der Nähe wohnt exiliert  Jean-Claude “Baby Doc” Duvalier, der beide Männer einst bedroht hatte. Didier zitiert hier auch einen der wenigen bekannten Greene-Kommentare zum ersten Band der Greene-Biografie von Sherry, die bereits zu Greenes Lebzeiten erschienen war. Diederich liefert noch einige Updates zu Haiti und Panama, beschreibt Greenes Tod 1991 und endet überraschend bewegend und poetisch rund.

Ehrfürchtig:

Diederich redet fast durchgängig fast ehrfürchtig über Greene. Er schildert ihn als sehr politisch engagiert, kampflustig gegenüber Unterdrückern, schelmisch, nimmermüde auf Alkohol und Reise-Abenteuer aus und sehr auf Privatsphäre bedacht. Das Thema Frauen spart Diederich weitgehend aus. Fast zu oft betont Diederich, wie Greene immer wieder Probleme mit seiner kleinen Minoxkamera hat (eine Kamerablockade erwähnt Greene auch selbst in seinem Kongo-Tagebuch In Search of a Character).

Aus den zitierten Greene-Briefen wird deutlich, wie Greene Diederich immer wieder freundlich zu mittelamerikanischen Treffen drängte, die zu Greenes Terminen, Reisen und Interessen passten; Greene äußert regelmäßig ein routiniert höfliches und auffällig oberflächliches Interesse an Diederichs Angelegenheiten. Erst nach zweieinhalb Jahrzehnten erwägt Diederich erstmals, Greenes Aufforderungen nicht zu folgen.

Bemerkenswert: Über den Herrscher Torrijos, dem Greene so betont herzlich verbunden war, sagt Diederichs kein schlechtes Wort. Er zitiert aber gegen Ende ein langes, vernichtendes Fremdurteil von John Dinges über Torrijos (S. 252f). Über Greenes Torrijos-Buch Getting to Know the General äußert sich Diederich distanziert, und er zitiert ausführlich mehrere, auch kritische Rezensionen von Auslandskorrespondenten.

Magazinprofi Diederich schreibt flüssig, aber glanzlos, ein paar Dinge wiederholt er unnötig. Diederich zeigt sehenswerte, wenig bekannte SW-Fotos von Greene in Mittelamerika. Die zwei Vorwörter von Pico Iyer und Professor Richard Greene (nicht verwandt mit dem Dichter) interessieren begrenzt.

Meine Hardcover-Ausgabe enthält noch ein Stichwortverzeichnis und eine schlecht gezeichnete und schlecht reproduzierte Haiti-Karte. Nützlich gewesen wäre auch eine Mittelamerika- oder zumindest Panama-Karte.

Pressestimmen:

Publishers Weekly: a finely crafted reflection on his years traveling with famed novelist Graham Greene… Graham’s exuberance is captured thrillingly…

Reuters: In preparing his book Diederich drew on 132 letters from Greene, as well as dozens from Greene’s mistress, Yvonne Cloetta…

The Times: This fascinating new book… isn’t by some closeted academic but a sharp-eyed fellow-adventurer.

PopMatters: Seeds of Profound Disappointment… this is only of interest to the most die-hard of Greene’s readership

Wall Street Journal: …breaches the walls protecting Greene’s detached persona and gives us the novelist at unguarded moments.

Americamagazine.org: with a discrete respect for his subject… 8sn’t interested in adding to the speculations about Greene’s affairs, drinking, suicidal tendencies

World Literature Today: a story that might have been twice as good at half the length.” This might also apply to Seeds of Fiction… Diederich admits to being in awe of his subject…

Pressestimmen mit Besuch bei Diederich in Florida:

Ian Thomson im Spectator: Diederich commends the ‘pixie sense of humour’ in Greene and his fascination with what lay outside his class and culture… pages of mesmeric detail…

Miami New Times: The one thing that predominates — both on ((Diederich’s)) shelves and in conversation — is literary legend Graham Greene…

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