Mein persönliches Fazit zu Collected Stories oder A Curtain of Green:
Es gibt zwei Highlight-Geschichten voll drolligem Dialog, für die allein der Kauf lohnt (egal ob Collected Stories oder A Curtain of Green). Ein paar weitere Geschichten fand ich ok, und viele haben mich gar nicht angesprochen – zu elegisch, zu gruselig.
Mundart:
In den besten ihrer frühen Stories schreibt Eudora Welty (1909 – 2001) sehr unmittelbar und präzise und spießt Südstaaten-Mundart und Kleinbürgerdenke teils mit groteskem Humor auf. Teils ist sie auch elegisch und rätselhaft, und die Protagonisten reden Oxford-Englisch.
Oft nur als Nebensatz oder Zeitungsnotiz gibt’s Gewalt: Vater will Tochter die Kehle aufschlitzen, Mann schießt Ehefrau ins Bein, Flaschen treffen auf Köpfe. Wiederkehrende Motive sind auch Jahrmärkte, Kuriositätenschauen, Handelsvertreter, staubige Landstraßen, Kleinstädte.
Lektürepolitik:
Mit ihrem derben Südstaatendialekt sind die besten Kurzgeschichten schwerer für mich zu lesen als andere englische Belletristik (William Faulkner habe ich ganz aufgegeben), aber sehr unterhaltsam. Zudem will man nicht alle 42 Stories hintereinander lesen.
Ich habe also jeweils zwischen anderen (meist deutschsprachigen) Sachbüchern oder Romanen ein paar Weltygeschichten eingeschoben, dann wieder etwas anderes gelesen. Nach Vorab-Recherchen und/oder kurzem Anlesen habe ich einige Geschichten ganz ausgelassen (s.u.).
Selbst bei den Geschichten, die ich nur anlas, würde ich sagen: Jedes Wort sitzt, die Erzählstimme ist perfekt, zumal für eine Debütantin – aber sie trifft nicht meine Vorlieben. Letztlich habe ich nach den frühen Geschichten aus A Curtain of Green noch einiges angelesen und dann gar nichts mehr vollständig gelesen, weil ich nicht immer erst ausprobieren wollte, ob sich das Einlassen auf eine neue Story tatsächlich lohnt (ich kenne nur das engl. Original und kann die Eindeutschung nicht beurteilen).
Ich musste das Buch The Collected Stories zweimal gebraucht bestellen. Die Penguin-TB-Ausgabe mit dem grünlich-weißen Anwesen auf dem Titel (Druckjahre jew. für mich nicht eindeutig erkennbar, Druckort hier Singapur) zerfiel alsgleich in Einzelseiten. Die Penguin-Ausgabe mit Welty-Gesicht in Rahmen (Druckort UK, evtl. 1989 gedruckt) hielt sich etwas besser. Diese Enttäuschung bringt mich nicht zum e-book. Beide Bände haben ein kurzes 1980er-Vorwort von Eudora Welty, aber sonst keine Einführung.
- Eudora Welty bei Amazon
Die Geschichten aus A Curtain of Green (1941, dt. Ein Vorhang aus Grün):
Wiki zu dieser frühen Sammlung, mit Links zu einigen Einzelgeschichten-Wikis. NYTimes-Rezi. Deutsch bei Amazon.
- Petrified Man: Erstfassung 1937. Maulfaul vergifteter Tratsch auf Südstaaten-Amikanisch bei der Friseuse. Kleine Leute pompös. Semi-empörte Blicke über Bande. – 9/10 Sterne – Hab’ ich gekichert. Scheinbar passiert nix, und nachher will man’s gleich nochmal lesen, weil sich unverhofft ein kleiner Krimi herausschält. Wie Theater oder Hörspiel. Welty verbrannte die Erstfassung, nachdem sie abgelehnt wurde (Quelle), und musste später aus dem Kopf neu tippen. Vielgedruckt.
- Why I Live at the P.O.: Kurioser Familienzank, sehr vergnüglich in starker Mundart. Welty macht die Geschichte unübersichtlicher als nötig (z.B. tragen Figuren missverständliche Eigennamen wie Sister oder Papa-Daddy). Die Autorin steigt abrupt ins Geschehen ein, wie ein Liveausschnitt, Hintergründe werden teils nicht erklärt. – 8/10 – Sehrvielgedruckt. Wiki
- Lily Daw and the Three Ladies: Geistig Zurückgebliebene will fahrenden Musiker heiraten, soll aber in Heim verfrachtet werden. – Drollige Kleinstadtszenen, etwas grotesk, etwas Grauen hintergründig, wie öfter. Kleinstadtkulisse, Heirat, ein Demenzfall und ein außerörtliches Irrenheim erinnern vag an Weltys Kurzroman The Ponder Heart.– 7/10
- Death of a Traveling Salesman: Herzkranker alleinstehender Handelsreisender hat Autopanne, muss/will bei Einödbauern übernachten. – 7/10 – etwas elegisch, atmosphärisch dicht; erstaunlich, dass dies ihre erste Geschichte überhaupt war; noch plastischer sind vielleicht nur Weltys Fotobände aus der Depressionszeit; deutliche Parallelen zum Protagonisten von The Hitch-Hikers (s.u.); auch Film.
- A Piece of News: Frau liest in Zeitung, ihr Mann habe sie angeschossen, doch das stimmt nicht. Ihre Gedanken wandern, ihr Mann trifft ein. – 6/10 – Etwas elegisch, ungewöhnlicherweise nur zwei Figuren nur im Privatbereich
- The Hitch-Hikers: Alleinstehender Handelsreisender nimmt zwei Tramper mit. In der Geschichte geht’s um Mord, um Frauen, um Gesöff, aber der Hauptfigur ist alles egal, sehr seltsam. So wichtig wie die Menschen sind ein alterschwacher Collie und eine herrenlose Gitarre. – 6/10 – Auch Theaterstück und Film (1989); deutliche Parallelen zum Protagonisten von Death of a Traveling Salesman (s.o.).
- The Key: Angespanntes Publikum im Bahnhofswartesaal. Zwei Taubstumme reden in Gebärdensprache, für andere unverständlich, entwenden Mann Schlüssel. – 5/10 – Interessante Idee, doch unverständliche Entscheidungen der Akteure, teils sehr elegisch, evtl. symbolbeladen. – Verfilmt in Gebärdensprache 1996 (IMDB).
- Keela, the Outcast Indian Maiden: Zwei Weiße reden über einen Schwarzen, der daneben steht und zuvor auf dem Jahrmarkt eine Lebendhühner fressende Indianerin spielte. – 4/10 – Ich kann nicht viel damit anfangen. Der Rassismus im Text wird vermutlich realistisch gezeigt, nicht verherrlicht.
- The Powerhouse: Über einen Jazzmusiker, teils interessante Slangdialoge unter Musikern, aber auch unbehaglische Darstellung afroamerikanischer Physiognomie und erratische Themensprünge im Dialog. Nicht vollständig gelesen.
Einiges aus den Collected Stories las ich nicht, weil weithin kein Dialog zu erkennen (zu elegisch) oder weil der Dialog spärlich und in Oxford-Englisch war – ein Absturz nach dem leckeren Südstaaten-Gekauder der Top Stories. Bei anderen Geschichten warnte mich schon das Internet: zuviel Symbolismus, zuviel Southern Gothic, Anlehnung an Mythen oder Politiker, die ich nicht kenne.
Aus der Sammlung A Curtain of Green las ich darum nicht: Clytie, A Worn Path, The Whistle, Flowers for Marjorie, Memory, Old Mr. Marblehall, A Curtain of Green, A Visit of Charity und nur ausschnittweise The Powerhouse.
Nach einigen Recherchen habe ich aus den weiteren Geschichten in The Collected Stories – also früher drei einzelne Geschichtenbände und zwei bisher nicht in Buchform erschienene Geschichten – einiges angelesen und abgebrochen und vieles weitere gar nicht probiert.
Assoziation:
- Südstaaten-Pidgin mit frz. Louisiana Creole in den Kurzgeschichten von Kate Chopin
- Der starke, semi-groteske Mundart-Dialog fast wie im Theater in Weltys frühen Stücken erinnert deutlich an Lena Christ, v.a. an Rumplhanni, sowie an frühe Naipaul-Stücke, v.a. Miguel Street
- Die Dialoglastigkeit einiger Geschichten erinnert an Kurzgeschichten von Dorothy Parker
- Wegen der spröden US-Provinz in grauer Vorzeit momentweise Truman Capotes Kaltblütig
- Die Südstaaten-Atmosphäre in frühen Stücken erinnert an Carson McCullers Ballade from traurigen Café
- Mark Twain
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- Weltywiki deutsch, englisch
- Übersichtliche Welty-Biografie
- Langes Weltynterview in Paris Review
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“Harold Pinters Kaltblütig” ist von Truman Capote
Auweia, Danke, ich korrigiere es.