Gemeinsame Eigenschaften der Geschichten:
graue, traurige, ältere Gestalten (“his wasted features and old man’s bloodshot eyes“); Rückblicke voll resignierter Melancholie; ödes irisches Landleben, in dem Konventionen streng befolgt werden; schlechte Zähne; relativ kurz, so dass die Geschichte in den New Yorker passt; makellos elegant fließender, oft wehmütiger Ton
In einem Totenhaus – 7,5/10 (engl. Sitting with the Dead):
Zwei katholische Schwestern besuchen die einsame Landfrau, deren Mann soeben verstarb. Ein zähes Gespräch mit Anspannung und Enthüllung.
Knapp und plastisch skizziert William Trevor eine beklemmende Atmosphäre, frustrierende Lebensläufe, in sich verschlossene Griesgrame. Spröde und gut.
Assoziation: Die Iren bei Colm Tóibín, aber Trevor ist noch spröder.
Traditionen – 4/10 (engl. Traditions):
Küchenmagd im Jungsinternat wird sexueller Gunsterweisung verdächtigt; sie soll zudem sieben unklar sprechende Dohlen abgemurkst und andere Missetaten begangen haben.
Die Geschichte spielt in einem muffigen Internat; sie hat praktisch keinen Dialog und einen aufdringlich raunenden Erzählton; sie ist voll unbestätigter Gerüchte; die Gerüchte über die lüsterne Küchenmagd kolportiert genüsslich der alte Herr Trevor. Sprachlich makellos, aber inhaltlich gefällt mir all das nicht; Engländern und Iren geht es womöglich anders. Warum druckte der New Yorker diese Geschichte?
Ein Abend zu zweit (engl. An Evening Out) – 7/10
Eine Partnervermittlung bringt zwei Mittelalte in einer Theaterbar zusammen. Bald wird klar, er will sie in zweierlei Hinsicht ausnutzen; der Leser bleibt dran, weil er den Ausgang erfahren möchte.
Schöne Beobachtungen, präzise (wenn auch nicht erfreuliche) Atmosphäre; die Geschichte ist etwas zu banal auf Spannung konstruiert, auch wenn das Ende genau diese Erwartung zu veräppeln scheint.
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Graillis’ Erbschaft (engl. Graillis’s Legacy) – 6,5/10
Alter einsamer Bibliothekar geht zu einem Rechtsanwalt; er will formell die Erbschaft ablehnen, die ihm seine einstige (platonische?) Geliebte und Geistesverwandte vermachte. Auch wenn Geliebte und Ehefrau verstorben sind, will er nicht den Anschein eines zurückliegenden Ehebruchs erwecken.
Gedanken, Reminiszenzen, verkrampfte Manöver, ein bisschen Whisky. Atmosphärisch, traurig, ein bisschen öde.
Rose weinte – 6/10
Tutor diniert mit Familie einer erfolgreichen Schülerin. Die denkt daran, dass ihr Tutor allwöchentlich von seiner Frau betrogen wird – nur ein Stockwerk über dem Privatunterricht.
Zunächst ungewöhnlich lebhafte Hauptfiguren, eine wohltuende Abwechslung im Vergleich zu den sonstigen Trevorschen Trantüten – auch wenn sie nur verkrampft eine Rolle spielen. Das öffentliche Ehebruch-Szenario wirkt nicht plausibel, das Mitgefühl der Schülerin Rose mit ihrem gehörnten Tutor erscheint melodramatisch.
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Das große Geld, engl Big Bucks (1997) – 7,5/10
Junger Mann zieht aus trostlosem irischen Kaff in die USA, um Arbeit zu suchen; später will er seine irische Verlobte heiraten und sie mitnehmen.
Melancholisch, trostlos, schön. Die Atmosphäre wirkt so archaisch, dass die Fernseher und Flugzeuge im Text als Fremdkörper erscheinen. Wie immer makellos elegant geschrieben und hochatmosphärisch, mit knappen, punktgenauen Dialogen. Der wiederkehrende Suffkopp in der Dorfkneipe klingt mit seinen Kommentaren wie ein griechischer Chor. Überraschend, dass die junge Frau letztlich stärker ist als der Mann, der sich in den USA durchschlägt. Ein verblüffendes Bild: Die zwei Felsen im Meer vor der Küste des Dorfs, aus dem schon viele Auswanderer nach Westen zogen, heißen Big Bucks.
Assoziation: auch Colm Tóibín erzählt von irischer Auswanderung in die USA, doch bei allem Muff klingt er lebendiger
Die Musik des Tanzlehrers, engl. A Dancing-Master’s Music – 6/10
Brigid ist Hausmädchen in einem Herrenhaus. Den Klavierabend eines reisenden Tanzlehrers vergisst sie auch nach Jahrzehnten nicht.
Wehmütig stimmungsvoll, markante Hausdiener-Charaktere und ihr Zusammenleben mit wenigen Worten skizziert. Doch nichts passiert. William Trevor malt nur eine Stimmung, selbst wenn diese Geschichte viele Jahrzehnte umspannt. Das wirkt wie die Vorstudie zu einem Roman, oder wie eine Schreibübung.
Assoziation: ich fühlte mich etwas erinnert an die Hausbediensteten aus Strindbergs Fräulein Julie
Seitensprung (engl. A Bit on the Side) – 7/10
Eine mehrjährige ehebrecherische Beziehung geht zu Ende. Sie hat sich scheiden lassen, er ist noch verheiratet.
Ein wehmütiger Text, eher ein säuselndes Lied, ein malerisch verschwommenes Stimmungsbild, kaum Handlung. Wie immer perfekt formuliert. Englischer Volltext hier.
Anmerkungen des Rezionärs:
Nach Triggerwarnungen las ich acht der zwölf Geschichten aus diesem Band, und zwar im englischen Original, ich kann also nicht die Eindeutschung durch Brigitte Jakobeit bei Hoffmann und Campe beurteilen. Meine Wertungen für diese acht Geschichten haben den Durchschnitt 6,44/10.
Assoziation:
- William Trevors Kurzgeschichten aus After Rain klingen ähnlich
- Muffiges Irland, jedoch etwas lebendiger, und Auswanderung, beschreibt auch Colm Tóibín
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