Romankritik: Tiefe Wasser, von Patricia Highsmith (1957, engl. Deep Water) – 9 Sterne – mit 2 Videos

Highsmith macht alles richtig: Die Sprache ist jederzeit uneitel im Dienst der Geschichte. Sie verzichtet auf Dramatisierung, düstere Andeutung, Zeitsprünge, schreibt strikt chronologisch und ohne bizarre Zufälle. Sie erzählt bruchlos aus Perspektive der Hauptfigur. Das Ende bleibt fast bis zur letzten Seite völlig offen.

Im Zentrum steht ein scheinbar freundlicher, aber innerlich zynischer Familienvater. Er beobachtet die außerehelichen Flirts seiner dümmlichen Gattin kalt lächelnd und kredenzt noch Drinks dazu – nicht ohne maliziöse Aperçus. Er streut sogar, ein gesuchter Rivalenmörder zu sein.

Seine Gedanken und Gewohnheiten und die verunsicherten Reaktionen der Umwelt schildert Patricia Highsmith (1921-1995) in diesem relativ frühen Roman sehr überzeugend klar und unaufdringlich, ohne jede Effekthascherei.

Zwar gibt es Kriminalfälle, doch Highsmith beschreibt im ersten Drittel nur Kleinstadtleben und Kleinstadtbürgerdenken. Die Autorin zeigt die dümmliche Ehefrau Melinda Van Allen sehr frauenfeindlich, dafür gehört Patricia Highsmith an den Internetpranger; so darf man nur über Männer schreiben.

Die Geschichte wurde mehrfach verfilmt:

  • 1981 mit Jean-Louis Trintignant und Isabelle Huppert (Wiki)
  • 1983 fürs ZDF mit Peter Bongartz, Klaus Wildbolz und Sky du Mont
  • 2020 von Adrian Lyne mit Ana de Armas und Ben Affleck (IMDB)

Freie Assoziation:

  • Highsmiths talentierter Mr Ripley, der nach einer Straftat ebenfalls frei herumspaziert (und kurz zuvor entstand)
  • Die hübsche Fassade einer bürgerlichen, freiberuflich arbeitenden Kleinfamilie mit Sozialleben, kultiviertem Geschmack und gutbesuchtem Barschrank – wie in Patricia Highsmiths Ediths Tagebuch (1977). Dieser Roman, wie viele andere und wie auch Tiefe Wasser, zeigt zudem einen reuelosen Übeltäter, der unter Verdacht, aber (zunächst) nicht in Schwierigkeiten gerät
  • (1977)
  • US-Vorort- und -Kleinstadtszenen nach dem 2. Weltkrieg u.a. bei Richard Yates (v.a. Zeiten des Aufruhrs)
  • Wegen der US-Kleinstadt, wegen des uneitlen Erzählens und wegen der grundlegenden Plotlinien: Bellas Tod von Georges Simenon
  • Einige einige weitere Nicht-Maigret-Romane von Georges Simenon wegen der Vor- und Kleinstädte und wegen des unaufdringlichen Tons, u.a. Sonntag (in Südfrankreich); Highsmith wirkt jedoch subtiler als Simenon
  • Eine kalte US-Kleinstadt und dubiose Todesfälle hat auch Stephen Kings Dolores Claiborne

Dieser Beitrag enthält bezahlte Zusammenarbeit mit Audible.

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