Jesse (Ethan Hawke) und Celine (Julie Delpy) verbringen mit ihren Zwillingstöchtern einen Urlaub in Griechenland, im Kreis einiger Autoren, im Jahr 2012. Man redet und redet. Nichts passiert. Die Vorgeschichte der Figuren kennen wir bereits aus den aufeinander aufbauenden Filmen Before Sunrise (1994) und Before Sunset (2003). Jetzt sind sie weitere neun Jahre älter.
Rede-Fluss:
Es ist wieder ein Quassel-Film. Die Akteure reden permanent. Oft diskutieren sie clevere Ideen oder lustige Kleinigkeiten, die die Autoren vielleicht immer mal unterbringen wollten; gelegentlich wird es zu vulgär, aber meist ist es gut geschrieben – nicht witzig, ohne scharfe Pointen, aber intelligent kurios, sicher auch als gedrucktes Buch unterhaltsam. (Und übrigens jederzeit ohne Improvisation streng nach dem Drehbuch, das die Hauptdarsteller und Regisseur Richard Linklater gemeinsam geschrieben hatten.)
Es passiert wirklich nichts im Film. Die Schauspieler rekapitulieren zwar einige zurückliegende, bisher nicht bekannte Ereignisse. Und sie diskutieren ein paar Zukunftspläne, die sie dann teils wieder verwerfen – aber Handlung bleibt aus, abgesehen von Spaziergängen und Autofahrten.
Folge isolierter Szenen:
Es gibt schöne romantische Griechenland-Bilder aus Messenia und Kardamyli. Allerdings werden die Schauplätze der Reihe nach abgehakt:
- Der Flughafen.
- Eine lange Autofahrt.
- Die Umgebung des Autoren-Hauses mit einem Plausch auf Bänken und einem Weißwein-Dinner im Schatten der Mauer.
- Ein langer Spaziergang durch Felder und in ein Hafenstädtchen.
- Ein Hotelzimmer.
- Die Hafentaverne.
Nur: Es gibt keine Übergänge zwischen diesen Stationen (selbst wenn der Film nur vielleicht acht Stunden umfasst, sollte man Übergänge zwischen den Schauplätzen zeigen). Eine Station erscheint abrupt nach der anderen, ohne dass man die Darsteller wechseln sieht. Man denkt an isolierte, nur vage verbundene Episoden; so wie auch die Diskutanten im Film ein kurioses Thema nach dem anderen aufspießen.
Der Anfang ist beschaulich:
Eine Stunde lang ist alles Friede, Freude, Eierkuchen, auch wenn die Themen hier und da Konflikte hätten erzeugen können. Erst nach über 60 Minuten kommt tatsächlich ein ernsthafter Dissens auf. Drama und Bitterkeit entstehen, zunächst schön entwickelt, dann aber mit überraschenden Spitzen.
Es stört nicht nur, dass die Schauplätze block-artig aneinander gereiht werden: Das Hotelzimmer wirkt auch sehr künstlich wie ein Studio-Aufbau, man sieht kein Fenster und keinen Balkon. Erstmals in einem Film der Before-Reihe erscheint ein Schauplatz nicht authentisch und wie hermetisch von der Außenwelt abgeschnitten. Möglicherweise handelt es sich dennoch um ein echtes Hotelzimmer, und zwar eins, das Ethan Hawke tatsächlich im Westin Resort Costa Navarino bewohnte.
Das malerische Dichter-Haus:
Um so authentischer wirkt jedoch das Haus mit dem malerischen Weißwein-Dinner. Und es steht tatsächlich in Kardamyli und gehörte einst dem Autor Patrick Leigh Fermor. Der überließ es wohl dem Benaki-Museum, das es dem Filmteam zur Verfügung stellte. Eine Fermor-inspirierte Figur agiert auch im Film, ebenfalls “Patrick” genannt (Foto-Vergleich von Filmbild und Original).
Noch ein interessantes Detail: Ethan Hawke spielt den Schriftsteller Jesse Wallace und in Before Midnight sehen wir kurz die griechischen Übersetzungen seiner Bücher – der Name Jesse Wallace wirkt verblüffend fremd in kyrillischer Schrift (im Trailer oben kurz bei ca. 0:38 angeschnitten zu sehen, im Film noch etwas besser erkennbar (passende Trailer-Stelle anspielen)).
Parallelen zu den Vorgängerfilmen Before Sunrise (1994) und Before Sunset (2003), welche die Vorgeschichte dieser Figuren zeigen:
- viel Reden, wenig Handlung
- romantische, etwas zu malerische Schauplätze in Old Europe in schönem Licht (zuvor Wien und Paris, nun ein griechisches Örtchen am Meer)
- wie in Before Sunset, die Veränderungen der letzten neun Jahre und die aktuelle Lebensumstände werden per Dialog vermittelt
- ein langer Spaziergang, bei dem man das Paar frontal oder von hinten, aber nicht von der Seite sieht und bei dem sehr lange nicht geschnitten wird (davon sah man in den früheren Filmen viel mehr, doch diesmal gibt es noch eine entsprechende Episode im fahrenden Auto)
Unterschiede zu den Vorgängerfilmen:
- Before Midnight etwas vulgärer
- mit dem Hotelzimmer erstmals ein unrealistischer Schauplatz, der nach Studio riecht (auch wenn es wohl ein echtes Zimmer war, s.o.)
- anders als im zweiten Film wirkt Hawke nicht mehr schwächer und blasser als Delpy
- erstmals ernster Konflikt
- im ersten Teil von Before Midnight einige Nebendarsteller, kein reines Zwei-Personen-Stück mehr
- später im Film präsentiert Julie Delpys Figur erstmals eine harte, selbstbezogene, sogar streitsüchtige Seite; Ethan Hawke zeigt Resignation und bitteren Sarkasmus
Meine Bluray hatte ein siebenminütiges Making-of mit ein paar interessanten Einblicken. Man muss die Vorgängerfilme nicht unbedingt kennen, um das allseits hochgelobte Before Midnight zu verstehen. Anders als der zweite Film bietet Before 3.0 auch keine Rückblenden auf den Vorgängerfilm an. Wer allerdings Before Sunset, den zweiten Film sehen will, sollte unbedingt zuvor den ersten anschauen.
Warten wir also auf Before Noon, 2022, mit Julie Delpy und Ethan Hawke, Regie Richard Linklater. Oder klingt After Sunrise, 2022 besser?
- Before Sunrise, Before Sunset, Before Midnight – 1995, 2004, 2013: Drei Trailer hintereinander weg
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