Film
-
Doku-Kritik: Betrug (2018, von David Spaeth) – 8 Sterne – mit Video
Diese Dokumentation fasziniert inhaltlich und gestalterisch. Sie berichtet von einem Eltern-geführten Kindergarten im reichen München-Schwabing; ein neu hinzugekommener Vater wird Kassenwart und stiehlt tausende Euro. Die anderen Eltern merken es erst, als er sich selbst offenbart – und fast muss der Kindergarten schließen. Es ist eine dieser Langformat-Dokus mit Kino-Ambitionen, in denen keine Stimme aus dem Off die Hintergründe erklärt; man hört nicht einmal Fragen des Interviewers. Fünf, sechs Elternpaare auf ihren Sofas und der Betrüger – ebenfalls auf seinem Sofa – reden in die Kamera. Der Betrüger, „Basti“, wirkt dabei ehrlich, betroffen und reflektiert. Die Elternpaare erscheinen ebenfalls reflektiert, kaum empört, und ähneln sich scheinbar: zurückgenommene Gestik, unaufdringlich gutsituiert,…
-
Kritik Dokumentation: Deportation Class – 7 Sterne – mit Video
Die Doku zeigt zwei albanische Familien ohne Aufenthaltsberechtigung in Deutschland. Sie werden unerwartet frühmorgens von der Polizei geholt und nach Albanien ausgeflogen. Im letzten Filmdrittel sehen wir das neue Leben der Abgeschobenen in Albanien. Die Doku von Carsten Rau und Hauke Wendler liefert unvertraute Einblicke: Besprechungen bei Polizei und Behörden, Eindringen der Polizisten in die Wohnungen der abzuschiebenden Albaner, die Fahrzeuge Richtung Flughafen, Anwaltskanzleien, die Gymnasialklasse eines abgeschobenen Mädchens und schließlich die neuen Unterkünfte in Albanien. Nur aus dem Flugzeug gibt es keine Bilder. Mit diesen Szenen macht sich die Doku verdient, auch wenn unklar ist, ob die Albaner bei der überraschenden Abschiebung und in Unterhose gefilmt werden wollten. Dass…
- Deutschland, Deutschland-Film, Film, Gut, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Komödie, Spielfilm
Kritik TV-Komödie: Lychees weiß blau (1998) – 7 Sterne
16jährige Thailänderin wird als Sexsklavin nach DE entführt, rettet sich aber in ein hinterwäldlerisches Oberbayerndorf. Dort weckt sie Beschützer-, Begatter- und Abwehrinstinkte – und irgendwann mischen sich Tempel- und Blasmusik. Das ist eine naive Heimatkomödie, noch weniger realistisch als möglich, aber nicht extrem grell oder extrem kitschig. Einige Dörfler haben das Herz liebenswert am rechten Fleck, die Bösen sind nicht allzu böse, und man kann ein bisschen Thai lernen (v.a. mit eingeblendeten Untertiteln). Wer nicht zufällig ein Herz für Thailand, Oberbayern und den VW Polo B hat, gewinnt den kleinen Streifen womöglich gar nicht lieb. Selbst schuld. Auf Amazon: Bücher über Thailand, Südostasien, ganz Asien Viele Hauptakteure bei diesem Projekt…
-
Kritik Kinokomödie: Das Mädchen Rosemarie (1958, mit Nadja Tiller, Mario Adorf) – 7 Sterne – mit Videos
Was sind die Herren Generaldirektoren und Industriebarone doch für lächerliche Hurenböcke in dieser frechen Schwarzweißsatire von 1958. Mit schwarzen Benzen und unerträglich selbstgefälligem Mundwerk walzen sie im spöttisch choreografierten Gänsemarsch durch die deutsche Wirtschaftswunderkulisse. Sie verfallen verständlicherweise dem hinreißenden Callgirl, das Nadja Tiller mit Verve und konservativem Sexappeal auf die Leinwand stöckelt. Das ist alles sehr dick aufgetragen, teilweise zu pompös, aber es macht Laune – auch wegen des fast blasphemischen running gags auf Kosten eines standing Religionsapostels. Einige chansonesk-dreigroschige Singspiele verstärken den Kleinkunstcharakter der Inszenierung. Nadja Tiller beherrscht den Film souverän vom Anfang bis zu seinem und ihrem Ende. Aber es gibt noch viele andere Charakterköpfe. Ich meine weniger…
-
Kritik Kinokomödie: Wir sind die Neuen (2014, von Ralf Westhoff) – 7 Sterne – mit Trailer
Drei Ü50-Altrocker bilden aus Geldgründen eine alternativ angehauchte WG. Schnell kommt’s zu Konflikten mit der WG aus dem 3. Stock – drei spießige, karrieregeile Studenten, examens- und beziehungsbedingt am Rand des Nervenzusammenbruchs. Regisseur und Autor Ralf Westhoff (Shoppen, Der letzte schöne Herbsttag, Wie gut ist deine Beziehung) lässt kein Klischee aus und schert sich nicht um Realitätsnähe. Und trotzdem ist das eine schnelle, vergnügliche Komödie: Zum einen spielt die Ü50-Riege herzerwärmend gut, vor allem Gisela Schneeberger und Heiner Lauterbach. Außerdem gibt’s ein paar herrliche Einzeiler (wenn auch teils unrealistisch gut getextet). Für eine deutsche Produktion insgesamt nicht übel, und die hauptberufliche Kritik war angetan (außerdem mit Michael Wittenborn, Claudia Eisinger,…
-
Kritik Politik-Spielfilm: Im Schatten der Macht (2003, von Oliver Storz) – 7 Sterne – mit Video
Der Film erzählt in zweimal knapp 90 Minuten, wie Bundeskanzler Willy Brandt 1974 wegen der Guillaume-Spionageaffäre und Frauengerüchten zurücktreten musste. Das ist spannend zumindest für alle, die mit den Vorgängen noch vertraut sind. Allerdings: Regisseur/Autor Oliver Storz und Produzentin Regina Ziegler dramatisieren übertrieben. Ständig erscheinen selbstwichtig zerfurchte Gesichter in Nahaufnahme und Halbdunkel, hinter spiegelnden Scheiben und Rauchschwaden; auch die Ministerzimmer liegen stets in unnatürlichem Halbdunkel; Agenten treffen sich in strömendem Regen auf nächtlichen Parkplätzen; schwarze Benze gleiten staatstragend durch graues Land. Jazzgröße Klaus Doldinger liefert einen vielstimmigen, hochwertigen Soundtrack, der jedoch zu oft und zu dräuend erklingt; dazu kommen eindrucksvolle, gut geplante Kamerafahrten; Noir in Bonn? Interessant: Willy-Brandt-Sohn Matthias Brandt…
-
Kritik Bayernkomödie: Was weg is, is weg (2012) – 7 Sterne – mit Video
Die Komödie vom oberbayerischen Land erinnert deutlich an Rosenmüller-Filme, aber auch an die Streifen der Serie Beste Zeit. Christian Lerch, Drehbuchautor bei Markus Rosenmüller, hat bei Was weg is, is weg Regie geführt und das Skript geschrieben. Und er hat es überfrachtet: Es gibt immer neue Nebenhandlungen – ein Onkel im Koma, ein Bruder mit Dachschaden, ein abgetrennter Arm, Kontaktabbruch Sohn-Eltern, Anti-Atom, ein Pleite-Kneipier. Langeweile kommt bei den vielen absurden Wendungen nicht auf, auch nicht bei den Spritztouren im orangen BMW durch Felder und Wälder. Lerch zeigt seine Akteure ein klein bisschen zu dümmlich, vor allem die Jungwirtin, die im knappen Aerobicdress durch den gesamten Film muss. Die Kamera macht…
-
Rezension TV-Spielfilm: Endlich Urlaub! (2005, mit Hannes Jaenikke, Heikko Deutschmann, Sonja Kirchberger) – 7 Sterne
Zwei Berliner Paare mit Kindern treffen zufällig vor dem Griechenland-Flug aufeinander und beharken sich schon beim Check-in. Doch es kommt noch schlimmer: Wirklich rein zufällig landen beide Paare im selben Ferienhaus, es wurde aus Versehen doppelt vergeben. Daraus entsteht eine gutbürgerliche Degeto-deutsche Rom-Kom oder ein Ferienstadl ganz klassisch mit verwechselten Schlafzimmertüren und Fast-Ehebrechern unterm Bett. Ingesamt drei Paare aus zwei Generationen rüttelt dieser Hellas-Trip durcheinander. Trotzdem ist das ganz vergnüglich, vor allem dank pfiffiger Dialoge und teils netter Schauspieler. Es schmalzt über weite Strecken nicht zu arg, die Klischees bleiben noch im Rahmen (außer bei den rustikalen griechischen Vermietern und beim Finale), und die Teenager bringen eine frische Note rein.…
-
Filmkritik: Der Vorleser (2008, mit Kate Winslet) – 7 Sterne – mit Video
Was für eine Story: Zeitgeschichte, Drama, Moral, ein Gerichtsfall, mehrere Jahrzehnte, unterschiedliche Gesellschaftsschichten, Liebe, Sex und Weltliteratur als Teil der Handlung. Großes Kino. Aber dann: Aufdringlich herb-schöne Menschen in aufdringlich historisch schöner Kulisse aufdringlich apart-schön eingekleidet; aufdringlich schön gefilmt und farblich nachbearbeitet; in melo-schöner Streichertunke ertränkt, die unschön aufdringlich nie verstummt (mit Kate Winslet, Ralph Fiennes, David Kross, Bruno Ganz, Karoline Herfurth, Regie Stephen Daldry). Spannend ist es trotzdem, und ergreifend manchmal auch. Gehobene Hollywood-Schmonzette, nein, mehr, Hollywood-Kunsthandwerk vom Allerfeinsten aus dem Hause Weinstein Company. Hintergründe: Wikipedia ᛫ IMDB
-
Filmkritik: Wellness für Paare (2016) – 7 Sterne – mit Trailer & Presse-Links
Der Ton dieser improvisierten Paargespräche klingt sehr natürlich, wie im echten Leben. Inhaltlich gilt das nicht ganz: Nach kurzem Geplänkel purzeln die Lebenslügen nur so heraus, im forcierten Tempo, allerseits: Verschwiegene Affäre, verschwiegene Pleite, verschwiegene Ängste, verschwiegener Ärger, drängender Kinderwunsch; diese reality ist äußerst scripted. Einige Figuren spielen auch zu kabarettistisch, andere scheinen momentweise über sich zu grinsen oder bei Gefühlsausbrüchen verzweifelt nach Verbalisierbarem zu ringen. Trotzdem ist der Film interessant und hat mich jederzeit bei Laune gehalten (mit Anke Engelke, Sebastian Blomberg, Bjarne Mädel, Anneke Kim Sarnau, Devid Striesow, Magdalena Boczarska, Martin Brambach, Katharina Marie Schubert, Michael Wittenborn, Gabriele Schmeide). Vieles erinnert an den ebenso improvisierten 2014er Vorgänger Altersglühen…
-
Kritik TV-Spielfilm: Zur Hölle mit den anderen (Deutschland 2018) – 7 Sterne – mit Presse-Links
Zwei junge Paare treffen sich zum gemütlichen Sonntagnachmittag und beginnen schon bald mit verletzenden Bemerkungen. Dabei werden auch die eigenen Ehepartner nicht verschont. Die ARD-Produktion bleibt ernst und verzerrt nicht ins grell Komödiantische, Groteske. Die Auseinandersetzungen und Aussprüche tun richtig weh. Allerdings wirkt nicht alles ganz realistisch: Eine Frau stillt ihren Vierjährigen öffentlich und läuft danach noch mit der Milchpumpe am Busen herum. Alle sagen ausgesprochen harte, unhöfliche Dinge, gehen aber nicht auseinander. Der ganze Film spielt in einem Einfamilienhaus und könnte auch auf der Theaterbühne stattfinden. Die Schauspieler agieren stark, dabei läuft zuviel Klimpermusik (Mira Bartuschek, Britta Hammelstein, Felix Schmidt-Knopp, Holger Stockhaus, Regie Stefan Krohmer, Buch Nicole Armbruster). „Schmerzhaft…
- Afrika, Bayern, Deutschland, Deutschland-Film, Dokumentation, Europa, Film, Gut, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Nigeria
Rezension Deutschland-Nigeria-Doku: Cool Mama (2017) – 7 Sterne – mit Video
Die Deutsche Ann geht eine Beziehung mit dem Nigerianer Akin in Deutschland ein. Sie erfährt irgendwann, dass er zusätzlich Frau und vier oder fünf Kinder in Nigeria hat. Sie besucht seine Familie – und holt sie schließlich nach München. Sie leben in einer teils offenen Dreier-Beziehung, mit Zweckehen und Zweckscheidungen. Amazon-Werbelinks: Ganz Afrika | Südafrika | Kenia | Marokko Peter Hellers Doku begleitet alle Beteiligten über etwa acht Jahre, von 2006 bis 2014 (mit ein paar Bildern von 1986 und 1996; Erstausstrahlung 2017 bei 3sat). Die Verhältnisse verschieben sich mehrfach, doch Eifersucht ist kaum im Spiel – alle können über das Dreieck reden. Es geht um Liebe, Freundschaft, Alleinsein, Familienbande…
-
Filmkritik: Heute nacht geht was, 100 pro (dt. Komödie 2001) – 7 Sterne
Zwei Jungtwens stromern durch die Münchner Nacht, voll mit Testosteron und anderen verheerenden Drogen. Sie treffen auf schöne Frauen und ein paar Fäuste. Morgens um neun auf einem Vorort-Bahnhof ist alles vorbei. Die Handlung hat ein paar flotte Wendungen, an anderen Stellen hakt und und rumpelt es. Egal: Ken Duken und Luca Verhoeven spielen mit lässiger Chuzpe, der ganze Film hat viel Ironie, viel München-Flair und wenig Selbstmitleid (auch mit Mavie Hörbiger, Gisela Schneeberger, Max von Thun und Otto Sanders Stimme; Regie, Buch und Nebenrolle Simon Verhoeven mit seinem ersten Langfilm, der Sohn von Michael Verhoeven und Bruder von Luca Verhoeven). Der alberne Streifen floppte an der Kinokasse und bei…
-
Kritik: Die letzten Gigolos (Kreuzfahrt-Doku 2014) – 8 Sterne – mit Kritiken & Video
Die Doku aus der Reihe Das kleine Fernsehspiel begleitet zwei soignierte „Gentleman Hosts“ (Gäste-Betreuer) auf dem Kreuzfahrtschiff MS Deutschland (von Regiedebütant Stephan Bergmann, geb. 1980). Wir lernen nicht nur zwei gepflegte, graumelierte Herren mit riesigem Kleiderschrank kennen, sondern blicken auch in die Seelen der älteren alleinstehenden Damen; sie gehören offenbar zur typischen Kreuzfahrtklientel und hadern damit, dass ihre Chancen auf dem Datingmarkt ab einem bestimmten Alter stark sinken. Das kleine Fernsehspiel des ZDF steht oft für hohe Qualität und die Reihe hat weitere Dokus über Alleinstehende, etwa Biete/Suche (2015) zum Thema Online-Dating oder Dorf ohne Frauen über einsame serbische Bauern. Die letzten Gigolos gefiel mir aus mehreren Gründen besonders gut:…
-
Rezension deutsche Komödie: Nach Fünf im Urwald (1995, mit Franka Potente) – 8 Sterne – mit Video
Die Komödie um große und kleine Kleinstadtspießer mit großen und kleinen Träumen, die plötzlich kiffen, untertreibt auf ganzer Linie: Unglamouröses, aber sehr lebensechtes Personal; hintergründiger Witz, der sich nicht aufdrängt, sondern schön langsam zündet; selbst wirklich groteske Szenen ohne Schrillität. Nicht nur Franka Potente spielt unterkühlt und gut als Teenagerin mit Träumen, auch ihre Filmeltern Axel Milberg und Dagmar Manzel agieren sehr präsent, sehr realistisch und doch einen unterhaltsamen Tick weit filmi. Lachhaft: So viele Komödien öden mich an, sog. Comedy widert mich an. Aber hier habe ich wirklich oft laut gelacht, mitunter mit Verzögerung. Zu deutlich satirisch erscheint nur der verklemmte Abiturient. Klischiert wirkt auch die altkluge kleine Schwester…
-
Kritik TV-Spielfilm: Silberhochzeit, mit Iris Berben (2006) – 7 Sterne – mit Presse-Links
Professoren, Autoren, Anwälte, ein Versicherungsmensch und ihre Partnerinnen: Sieben gutsituierte, langjährige Freunde feiern Silberhochzeit in einer repräsentativen Altbauwohnung. Doch schon mit dem ersten Gast beginnt die Schlacht der verbalen Heckenschützen. Aus Sticheleien werden zügig handfeste Beleidigungen und empörende Offenbarungen. Das Ganze erinnert deutlich an einen späteren Film des Regisseurs Geschonneck, an Südstadt mit Anke Engelke und Andrea Sawatzki, mit seinen ausgedehnten Tafelrunden teils auch an Die Notlüge. Opulent: Das Fernsehspiel Silberhochzeit ist opulent ausgestattet: Verpflegung à la Essen & Trinken, Ambiente à la Schöner Wohnen, und alles in Kamera cremoso; dazu deutsche S-Klasse-Schauspieler inklusive Iris Berben, Corinna Harfouch, Matthias Habich, Axel Milberg, Ulrich Noethen und Gisela Schneeberger (Regie Matti Geschonneck,…
-
Rezension Agrar-Doku: Die schöne Krista (2013) – 7 Sterne – mit Video
Krista gewinnt deutsche und europäische Schönheitswettbewerbe. Dabei sieht sie so aufgepumpt aus wie ein Bodybuilder, der ins Anabolika-Fass fiel: Krista ist eine allzu dralle, überpralle Holstein-Kuh, und der Film portraitiert den Agrarbetrieb von Kristas Besitzern, Janine und Jörg Seeger. Die Regisseure Antje Schneider und Carsten Waldbauer liefern gute, aber unaufdringliche Bilder. Jazzpianist Rainer Brüninghaus steuert ein paar weniger auffällige Instrumentalstrecken bei (beim Schönheitswettbewerb muss Brüninghaus schweigen: der Veranstalter beschallt Mensch und Tier mit Wagners Zarathustra). Versteigerungen und Tierkliniken: Wie in vielen abendfüllenden Dokus gibt es keinen Sprecher aus dem Off, nicht mal Interviewfragen. So bleibt manches unerklärt. Ganz zum Schluss erscheinen ein paar Texttafeln. Interessant die Einblicke in Versteigerungen und…
- Asien, Deutschland, Deutschland-Film, Dokumentation, Film, Gut, Hot Country Entertainment, Interkulturell
Rezension Deutschtürken-Doku: Wir sitzen im Süden (2010) – 7 Sterne – mit Kritiken & Video
Die 88minütige Doku porträtiert vier Deutschtürken, die in Deutschland aufwuchsen und dann in einem Istanbuler Callcenter arbeiteten – wo sie Anrufe aus Deutschland auf Deutsch beantworten. Einige dieser Deutschtürken haben einen deutschen Pass, wollen aber gar nicht mehr nach Deutschland. Andere wurden in Deutschland geboren, gingen dort zur Schule, haben aber keinen deutschen Pass mehr und sehnen sich fieberhaft zurück nach Almanya. Zwei der vier Darsteller wurden als Jugendliche regelrecht von Deutschland in die Türkei entführt: Die türkischen Eltern nahmen sie aus Deutschland zu einem „Besuch“ in der Türkei mit – doch dann wurde der Pass ungültig gestempelt, und es gab kein schnelles Zurück, und ein dauerhaftes schon gar nicht.…
-
Doku-Kritik: Die Hochstapler (Deutschland 2007) – 7 Sterne – mit Video & Links
Vier gutsituierte deutsche Betrüger erzählen in langen, ruhigen Interviews, wie sie reiche Leute um Millionen erleichterten. Alle konnten exzellent schauspielen – glaubten manchmal selber an ihre vorgetäuschten Rollen. Man fragt sich freilich, ob sie hier vor der Kamera nichts als die Wahrheit erzählen, zum Beispiel über ihre traurige Kindheit. Fast alle Interviewszenen sind unangenehm knapp und allgemein zu dunkel beleuchtet, vielleicht um die düsteren Charaktere zu betonen. Die Aussagen werden unterbrochen von seltsamen, überflüssigen Szenen mit aufdringlicher (preisgekrönter) Musikuntermalung: beleuchtete Fenster, ein Aktenkofferträger unterm Baum, stets auffallend körnig und leicht farbverfremdet, öfter in Zeitlupe. Direkt nachgespielt wird nichts in „Die Hochstapler“ (Buch und Regie Alexander Adolph für den BR). Einige…
-
Rezension Ruhrpott-Spielfilm: Die Abfahrer (1978, Regie Adolf Winkelmann, mit Detlef Quandt; mit Szenen) – 9 Sterne
Der Film hat eine ganz seltene Frische und Unmittelbarkeit. Unterstrichen durch dezidiert unglamouröse Darsteller und Kulissen, ungehobelten Ruhrpottslang, hautnahe Kamera und die erdige, rockig-bluesige Musik der „Schmetterlinge“. Die Laiendarsteller bringen’s: Zahlreiche Mitspieler sind echte Laien, so die Charaktere in der Kneipe, die Brummikapitäne auf dem Rastplatz oder die Frauen im Eckladen, unter ihnen die Mutter des Regisseurs Adolf Winkelmann mit Küchenkittel und AOK-Brille. Vor den Dreharbeiten wurde vier Wochen lang geprobt, unplausibel Klingendes umgeschrieben. Keine Dortmunder Hausfrau, kein Dortmunder Stadtteilmacker klang danach so echt wie die Dortmunder Hausfrauen und Stadtteilmacker aus den „Abfahrern“. Der schließlich festgeschriebene Text wirkt immer noch wie improvisiert – und hat darum eine Lebensnähe, Dichte und…
-
Rezension Deutschland-Spielfilm: Soul Kitchen (2010, Regie Fatih Akin; mit Trailer) – 8 Sterne
Der Film hat Tempo, der Film hat lauter coole Figuren mit ganz viel roher Energie und keine einzige Fehlbesetzung, der Film hat heiße Musik am laufenden Meter (etwas weniger wäre mehr gewesen), der Film hat einen vergnüglichen Skype-Dialog, der Film hat überhaupt eine gut gebaute, wenn auch gelegentlich märchenhafte Handlung. Soul Kitchen hat aber auch sehr viel Typisches von Regisseur Fatih Akin: schräge nicht-etablierte 30er in Hamburg, stolz präsentierte Vulgaritäten (hier fast zu charmant für Akin, und die schicken Koch-Bilder waren zu mainstream). Voilà. Ich konnte kaum die Pausetaste drücken. Akins Bester. Weitere gute Multikulti-Komödien aus Deutschland: Kebab Connection und Salami Aleikum.
- Deutschland, Deutschland-Film, Film, Gut, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Iran, Komödie, Spielfilm
Rezension deutsche Iraner-Komödie: Salami aleikum (2009) – mit Trailer – 8 Sterne
Fantastische, kunterbunte Multikulturkomödie – warmherzig, charmant, politisch, satirisch, schnell, bizarr, stilistisch halsbrecherisch unberechenbar, voll verblüffender Einfälle, trockener Dialoge, schwungvoller Akteure, schmissigem Perserpop und mit einer raffiniert gestrickten Handlung, die unterschiedlichste Motive lässig zusammenführt: Zu den Themen zählen Exilpersertum, DDR-Doping, textiles Werken, Schafzucht, Ostalgie und chinesische Wirtschaftshegemonie. Wohltuend dabei: Salami (2009) ist keine „deutsche Comedy“ – der Film verzichtet vollständig auf Vulgäres, Ordinäres und sinnfreies Vakuum, ist viel hintergründiger als der aufdringlich ulkige Titel. Stilmix mit Selbstironie: Nicht nur das Ende erinnert an einen Bollywoodfilm, auch die Tanz-Traum-Sequenzen voller Schmalz mit Selbstironie lassen an Hindi-Musicals denken – auch wenn Mumbai mit weit mehr Aufwand, Schönheit und weniger (oder besser getarnter?) Computertricks…
-
Rezension Deutschland-Spielfilm: Westwind (2011) – mit Trailer – 8 Sterne
Schönes, zartes Jugenddrama um zwei DDR-Schwestern, die vielleicht via Ungarn nach Westdeutschland fliehen möchten. Meist unaufgeregt, mehr Atmosphäre als Handlung, und doch stellenweise nervenzerfetzend. Liebenswerte Hauptdarstellerinnen, die natürlich und sensibel agieren; ansprechende Kameraarbeit ohne visuelle Angeberei. Die Autoren mühten sich nicht immer um Plausibilität, dadurch verliert die Geschichte für mich etwas an Gewicht. Gelegentlich hört man zu viele Streicher.
-
Rezension Bayern-Bauern-Doku: Das Ei ist eine geschissene Gottesgabe (1993) – 8 Sterne
Zu Besuch bei Sophie Geisberger, 78, Bäuerin auf einem Einödhof im Tölzer Land, zwischen Wolfratshausen und Penzberg. Wir sehen sie im Stall, im Garten, in der Küche, im Schlafzimmer, in der Kirche und beim Gebet in der eigenen Kapelle. Zusätzlich lernen wir zahlreiche Ausländer kennen, die dort einquartiert sind, unter anderem Tschechen und Türken, sowie ein paar Deutsche. Auch zwei Taubstumme im Rentenalter leben dort; und ein Cellist, der so spielt, als ob er auch seit Geburt taubstumm sei. Amazon-Werbelinks: Bayern-Bücher | Gerhard Polt | Oskar Maria Graf | Ludwig Thoma | Lena Christ Unmittelbare Bekanntschaft: Die Kamera ist nah dran an der Bäuerin, und die redet frei von der…
- Asien, Deutschland, Deutschland-Film, Europa, Film, Gut, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Reise, Spielfilm
Rezension Deutschland-Türkei-Spielfilm: Auf der anderen Seite (2007, Regie Fatih Akin) – mit Trailer & Making-of – 8 Sterne
Sechs Menschen aus der Türkei und aus Deutschland wechseln das Land, verändern ihr Leben, ohne dass sie es erwarteten. Der Film spielt in beiden Ländern. Zu den Themen gehören auch Kriminalität, Terrorismus, Zweistaatlichkeit. Mehrfach gehen Filmfiguren, die schon lange nach einander suchen, achtlos aneinander vorbei, weil sie sich nicht erkennen – stets packend, aber nicht effektheischend inszeniert. In einigen Teilen des Films wird Türkisch oder Englisch gesprochen, dann gibt es Untertitel. Der vielfach gelobte und ausgezeichnete Film fesselt fast über die vollen 1:55 Stunden. Einige Elemente des Cannes-prämierten Drehbuchs sind freilich weit hergeholt, der Ablauf mit den Wechseln zwischen den Ländern wirkt etwas schematisch. Wichtige Ereignisse kündigt Autor und Regisseur…
-
Rezension deutsche Quassel-Komödie: Shoppen (2006) – mit 2 Videos – 7 Sterne
Zwischendurch kam ich mir auch veräppelt vor: Ein Kinofilm praktisch ganz ohne Location: spielt angeblich in München, doch meist nur in der Halle. Und ohne Star: die je neun Frauen und Männer erhalten scheinbar gleichviel Leinwandzeit, niemand sticht heraus, niemand fällt deutlich ab. Die Musik kommt aus dem Automaten, der Sprecherton ist teilweise schlecht. Zur Entschädigung gibt’s interesantes Personal und gute Dialoge: Viele kurze, pointierte Wortwechsel mit kernigen, mitunter bösartigen Schlusssätzen und überraschenden Enden. Gutes Buch: Also, die Komödie ist gut geschrieben. Und manche Filme der Kategorie Dialogmarathon würde ich sogar lieber als Roman lesen, zum Beispiel Woody Allen, SatC oder die Before-Serie. Doch hier für Shoppen macht das Filmmedium…
-
Rezension deutsche Komödie: Herr Ober! (1992, mit Gerhard Polt) – mit Video – 7 Sterne
Bösartige und gut durchdachte Komödie – jeder Satz hat eine zweite Bedeutung, die erst später offenbar wird. Menschliche Besonderheiten spießt Gerhard Polt (Buch, Hauptdarsteller, Mit-Regie) ohne Schrillheit und nicht extrem realitätsfern, aber mit eifriger Böswilligkeit auf. Sehr genau, sehr fein. Selten, dass mir ein deutscher Film so gut gefiel (weitere Favoriten sind die frühen Filme von Adolf Winkelmann, aber es gibt auch weitere sehenswerte Spielfilme aus Bayern). Gute Schauspielkunst fast durch die Bank, Christiane Hörbiger als herrische Gemahlin brilliert furchterregend, auch wenn ihr Wienerisch nicht ganz ins Miesbacher Land passt. Die Parodien auf Poetentum und TV-Idiotie erscheinen zu aufdringlich. Amazon-Werbelinks: Bayern-Bücher | Gerhard Polt | Oskar Maria Graf | Ludwig…
-
Rezension deutsche Komödie: Bella Vita (2010, mit Andrea Sawatzki) – mit Video – 7 Sterne
Schön gefilmt, wenn auch teils aufdringlich edel und katalogig; das gilt auch für mehrere Nebendarsteller, die – wie sogar der Berliner Kiez – etwas klischiert-frisiert auf den Bildschirm gelangen. Die ausdrucksvolle und präsente Andrea Sawatzki dominiert den Film, und das ist auch gut so. Toll aber auch Lotte Flack als genervte Teenagerin. Das Drehbuch liefert vielleicht zwei Volten und zwei kluge Sprüche zuviel, es funkelt aber trotz vieler Versuche nur gelegentlich. Insgesamt gute Unterhaltung.
-
Rezension Tanz-Film: Pina (Bausch), Regie Wim Wenders (2011) – mit Trailer – 7 Sterne
Die Tänze, wenn dieser Ausdruck das Gezeigte nicht schon zu sehr einengt, berühren elementar, auch wenn ich nicht sagen kann warum. Ich habe auch nicht verstanden, warum jeweils Erde oder Wasser durch den Raum und über die Akteure flog. Die Musik behagte mir selten. Weggucken war trotzdem keine Option. Ich erinnere mich an keinen Dokumentar- oder Konzertfilm außer vielleicht Work Hard – Play Hard, bei dem mir die Kamera so gut gefallen hat: Die Bilder sind ruhig und perfekt komponiert, ohne hektisches Kreisen und Schnittorgien; man studiert in Ruhe Konstellationen auf der Bühne und sieht dann wieder Gesichter in Großaufnahme. Einige Tanzszenen sind reizvoll und ohne Effekthascherei in die Wuppertaler…
-
Deutsche Komödie rezensiert: Sex Up – Jungs haben es auch nicht leicht (2003) – mit Trailer – 7 Sterne
Sperma. Erbrochenes. Darmwinde. Mackersprüche. Die deutsche Komödie müffelt streng nach Jungmännersekreten und bringt doch frischen Wind ins WoZi des Betrachters. Gefurzt wird, gehobelt, hohl palavert und doof vorverurteilt – gut amüsiert habe ich mich trotzdem: Die Darsteller nehmen sich selbst nicht ernst und die Zauberblume mit der Hammerwirkung sieht aus wie chinesisches Plastikspielzeug. Die Hauptakteure denken immer nur an das eine, doch der Film zeigt nicht, wie sie zum Ziel gelangen. Das Etikett Sexfilm taugt darum gar nicht. Trotzdem würde ich den Streifen nicht Zwölfjährigen zeigen. Szenenweise amüsieren die Dialoge, und dann tischen Regie und Buch Ideen auf, die zu skurril scheinen, zu abstrus, um es in einen Kinofilm zu…
-
Deutsche Komödie rezensiert: Fliegende Fische müssen ins Meer (2011, mit Meret Becker) – mit Trailer – 7 Sterne
Originelle Filmsprache mit Selbstironie, gebrochener Realität und kuriosen Traumszenen. Witzige Einfälle und Sätze. Meret Becker spielt, damit es lustig wird, eine dumme Nuss, die man nicht ernst nehmen kann. Doch Elisa Schlott als ernsthafte Teenagerin ist eine Wucht. Solch glühende Augen. Lächelt sie eigentlich mal? Überhaupt kein Film von der Stange, und bei Arte sehr gut aufgehoben. Ich persönlich wäre indes auch mit weniger Tattoos/Zigaretten/Tabuwörtern ausgekommen.