Romankritik: Letzter Schrei, von Jay McInerney (1998, engl. Model Behavior) – 7 Sterne – mit Presse-Links

Fotomodels, Schauspieler, Magazinjournalisten und Kurzgeschichtenschreiber ringen auf aalglattem New Yorker Parkett um Liebe und Aufstieg. In Jay McInerneys hochglanzpolierter Schreibe reden sie überaus witzig, smart und zynisch – und sehen sich selbst auch so. Um kulturelle Anspielungen sind sie nicht verlegen.

Man übersieht vor Vergnügen fast die Abgründe von Egoismus und Amoral. Die urbane Intelligentsia erfreut sich an Zigaretten, Alkohol und allerlei Illegalem ebenso wie an klugen Stripperinnen. Intensiv lieben heißt bei McInerny ganz viel rammeln.

Anklänge:

Die Assoziationen kommen schnell – an die Serie Sex and the City oder an McInernys eigenes Erfolgsdebut Ein starker Abgang/Bright Lights, Big City sowie an seine Schicksen aus Ich nun wieder, Story of my Life (1988) – ebenso wie die Bezüge zu McInerneys Beziehungen mit Linda Rossiter und Fotomodell Marla Hanson. Eine (vermutlich) Prada tragende Teufelin taucht im Letztem Schrei auch auf.

Gelegentlich steuert Jay McInerny krass gegen seinen eigenen Strom, lässt den Hauptdarsteller weinen oder seine traurige Schwester umarmen – Momente in einem zynischen Traktat, die keine Gefühle erzeugen können. An einigen Stellen ist der Roman entschieden unrealistisch.

Kurzgeschichten als Zugabe:

Ich hab’s auf Englisch gelesen – O-Titel Model Behavior – und kann die deutsche Übersetzung nicht beurteilen. Mein (sehr billig gemachtes) US-Taschenbuch von Vintage Contemporaries enthält zusätzlich sieben Kurzgeschichten à zehn bis 20 Seiten, teils mit autobiografischem Hintergrund, die offenbar in der deutschen Romanausgabe fehlen. Diese und andere Kurzgeschichten erschienen 2001 erneut in McInernys Kurzgeschichtensammlung für den britischen Markt, How It Ended.

Die Kurzgeschichten aus Model Behavior setzen die Themen des Romans fort: Intelligente, arrivierte Menschen konsumieren Bewusstseinsveränderndes und fühlen sich einsam; denken an Selbstmord; Zigaretten; Bücher und Filme; New York und Los Angeles; Beziehungen. Ein oder zwei Kurzgeschichten wirken fast wie herausgekürzte Teile des Romans Letzter Schrei/Model Behavior oder des früheren McInerney-Romans Brightness Falls.

Alle Kurzgeschichten klingen jedoch weniger scharf als der Roman, ein oder zwei erscheinen nicht ganz abgerundet, vielleicht weil die Autobiografie zu stark hineinwirkte. So haben einige Stories mehr Milieuschilderung als Handlung und Dialog. Man denkt, dass McInerney hier vielleicht nur eine einzelne Anekdote zur Geschichte aufgejazzt hat (weitere, etwas gefälligere Kurzgeschichten legte McInernery 2006 in The Last Bachelor vor).

Letzter Schrei erschien 1998. Bis dahin hatte McInerny an einigen kleineren Filmen mitgewirkt, nach 1998 verzeichnet IMDB jedoch keine Filmaktivität mehr (Stand August 2015). Hat er sich mit seiner zynischen Darstellung von Hollywood-Produzenten und -Regisseuren (vor allem in den ergänzenden Kurzgeschichten der englischen Ausgabe) zu unbeliebt gemacht?

“So many one-liners, it’s like reading a string of pearls…” – die Kritiker:

Ich habe keine interessante deutschsprachige Rezension gefunden, bei Amazon.de hat die deutsche Fassung im August 2015 nur eine einzige, meine Rezension. So wenig bemerkenswert ist das Buch doch gar nicht, speziell im Vergleich zu deutschsprachigen Autoren.

Amazon.com Editorial Review:

Readers familiar with Jay McInerney’s Bright Lights Big City may feel a sense of déjà vu when reading Model Behavior…

Publishers Weekly:

McInerney impresses here with his trenchant humor and keen eye for detail, as he vengefully skewers the New York literary scene

Independent (auch mit Hintergründen zu Romanentstehung und McInernys Privatleben):

There are so many one-liners, it’s like reading a string of pearls… This latest book is beautifully phrased, with a particularly neat finale


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