Memoirenkritik: Der Herausgeber (2016), von Irma Nelles – 5/10

Geschickt vermischt Irma Nelles  Privates, Spiegel-Interna und bundesdeutsche Zeitgeschichte. Schon als Kind hörte sie Vater und Lehrerin ehrfürchtig von Rudolf Augstein reden.

Sie beginnt mit dem Tod Rudolf Augsteins und springt dann in ihre Kindheit; so macht man das in modernen Büchern. Sie schreibt gefühlvoll und sehr menschlich, wahrt Takt, ohne Schwieriges komplett auszusparen. Fast wundert man sich, dass diese gute Frau, Tochter eines altkatholischen Pfarrers, so lange beim Spiegel, und vor allem beim Krokodil Augstein, durchhielt.

Irma Nelles (1946 – 2024) beschreibt einen unberechenbaren, selbstherrlichen, teils schwächlichen, bierschluckenden Großmacker mit dem EQ eines Ziegelsteins, und doch wirkt es nicht völlig unverständlich, wenn sie sich ihr Leben von ihm einrichten und seine verbale Übergriffigkeit schlicht abperlen lässt. Die gelernte Grundschullehrerin hat ein großes Herz auch für erwachsene Kleinkinder, eine people pleaserin par excellence.

Nach der frühen Scheidung und einem ersten Job beim Spiegel in Bonn spielen ihre zwei Kinder keine Rolle mehr im Buch; ein Lebenspartner scheint zu existieren, bekommt aber nicht mehr als ein oder zwei Erwähnungen. Man könnte sich von Nelles zugelabert fühlen, aber sie berichtet so zurückgenommen, so komplett auf Augstein fixiert, und schält ihm selbst nach der größten verbalen Zumutung noch ein Ei (Hühnerei).

Fassungslos machte mich der Satz des schwerkranken Augstein 1999:

Das Internet wird der neue Faschismus…es ist ein ungeheueres Machtinstrument. Irgendwann wird es jemanden geben, der es für seine Zwecke missbraucht.

Politisch bringt das Buch gar nichts, medienhistorisch sehr wenig. Sprachlich ist es bieder, und die Phrase

Rudolf stellte sein rechtes Auge mittig

langweilt spätestens bei der 30.  Wiederholung

Es gibt  keinen Handlungsbogen, nur als Schlüssellochblick hat das Memoir seinen Reiz. Politik erscheint nur am Rand als Kulisse, ein klein wenig mehr Bedeutung haben redaktionelle Abläufe, ansonsten Rudolf, Rudolf, Rudolf, und praktisch keine Irma.

Assoziation:

Bücher bei HansBlog.de:

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

 

Nach oben scrollen