Kritik Sachbuch: Leeres Spanien, von Sergio del Molino (2016) – 3/10

In Andalusien war ich auch mal.

Nach dem Vorwort für die deutschen Leser sind dies die ersten zwei Motive von La España vacia:

  1. Urlaubsfahrt durch das ländliche Wales (sic)
  2. das Wort “Gabel” in europäischen Sprachen (sic)

Interessant. Etwas später geht es um die Aufteilung Frankreichs in Departements – all das vor dem ersten Wort über Spanien heute.

Von Hölzchen auf Stöckchen:

Auch später schweift Molina oft ermüdend ab, erklärt seine Herkunft väterlicherseits, aber auch mütterlicherseits, und doziert ausgiebig über die Nachteile der Mercatorprojektion auf Landkarten, die Finnland unrealistisch größer als Spanien erscheinen lasse, bespricht Dunkel- und Isolationshaft, das spanische Königshaus im 19 Jahrhundert, die Indigenenverfolgung in Nord- und Südamerika im 19 Jahrhundert, argentinischen Tango.

Der erste neue Absatz auf Seite 265 beginnt:

Dayna Kurtz, eine ausgezeichnete Soul-Sängerin aus New York, ist in ein abgelegenes Haus in Arizona gezogen, um dort…

🥱

Selten habe ich etwas so Unfokussiertes gelesen und so wenig verstanden, wie ein Buch dieser Art in Deutschland (also nicht in Spanien meine ich) gefeiert werden kann. Eigentlich verstehe ich das Lob in Spanien auch nicht. Es gibt kein Portrait einzelner einfacher Leute aus dem leeren Spanien (nur ein paar Mörder und Provinzregenten) und kein Porträt einer Region (abgesehen von Las Hurdes, weil Buñuel dort einen Film drehte, der nach Darstellung von del Molino alles verfälschte und deshalb nach Meinung von Hans D. Blog viel weniger Zeilen verdient hätte).

Andererseits liefert Molino gelegentlich interessante Landkarten und Tabellen, denen wir etwa entnehmen, dass gut 53% der spanischen Landfläche zum “leeren Spanien” gehören und nur knapp 16% der Spanier beherbergen.

In der eigentlich interessanten Tabelle mit Einwohnern und Flächen  europäischer Länder fehlt jedoch der interessanteste Wert, Einwohner pro Quadratkilometer; überraschend ergänzt Molino diesen Wert auch nicht im Lauftext, wo er seine Tabelle ausführlich diskutiert.

In der “Danksagung” redet del Molino von

all meinen unausgegorenen literarischen Vorhaben…, auch in diesem Fall…, als ergäben sie tatsächlich Sinn.

Sprachlich:

Über ein Buch von 1593 sagt Molino:

Man kann das Buch auch heute noch lesen, schließlich ist es recht kurz, und dennoch zieht sich die Lektüre, weil seine Sprache so geschwollen und affektiert daherkommt.

Was denn nun?

Er meint, dass man in Frankreich die Herkunft eines Wagens dank “der Autoindustrie” erkennt – “an den letzten beiden Ziffern seines Kennzeichens”. Aber das Kfz-Kennzeichen kommt doch nicht von der Autoindustrie?

Madrid inmitten des leeren Spanien sei

wenn man so will, ein schwarzes Loch, umgeben von gewaltiger Leere.

Also ein Loch umgeben von Leere.

Der Ton ist glanzlos, und del Molino schweift zu weit aus und ab. Dazu kommen immer wieder Unschönheiten und schwer Verständliches. Ein Beispiel: auf Seite 120 erwähnt del Molino drei verschiedene Filme, um dann zu sagen:

Die Geschichte dieses Films ist überaus aufschlussreich…

Damit meint er aber nicht den zuletzt genannten Film – wie man zwingend annehmen muss –, sondern den zuerst genannten, dem in der vorangegangenen Aufreihung zwei weitere Filme folgten. Das ist missverständlich und falsch. Ich weiß nicht, ob das Original klarer klingt.

Und nebenbei, der Film, auf den del Molino sich hier noch einmal ausführlich bezieht, heißt “White Shadows in the South Seas” und spielt “auf den Marquesas-Inseln in Französisch-Polynesien“. Das hat weithin nichts mit leerem Spanien zu tun, doch del Molino muss es unbedingt loswerden – über mehrere Seiten ohne Spanien-Bezug. Dies ist eine von mehreren Passagen, die ich überfliegen und dann überblättern musste.

Den South Seas-Film erwähnt del Molino im Zusammenhang mit dem Extremadura-Film Las Hurdes von Buñuel. Der – fiktiv oder dokumentarisch – spielt tatsächlich im leeren Spanien; doch del Molino hält sich viel zu lange mit Filmen, Romanen und dem allgemeinen Image des leeren Spanien auf, anstatt Konkretes von dort zu berichten, sieht man von ein paar schaurigen Mordfällen ab, die gut ins Klischee einer gottverlassenen Ödnis passen.

Übersetzung:

In der Übersetzung steht “beschwörten” (Seite 35) und “bin ich Madrider” (Seite 37, nicht “Madrilene”?). Dann heißt es (Seite 100):

Die immer gleichen paar Gesichter… der stets zur gleichen Uhrzeit vorbeikriechende Schneepflug… die immer gleichen paar Autos. Darin die immer gleichen bekannten Gestalten.

Ich würde jedes mal “selben” sagen.

In den vorderen Kapiteln betont der Autor mehrfach, er wolle die Mythen um die spanische Provinz vorstellen oder “der Entstehungsgeschichte einiger dieser Klischees in Gestalt negativer Mythen”(Seite 90) nachgehen. Ein ganzer Buchteil heißt “Die Mythen des leeren Spanien”. Molino redet also ausführlich über Erfundenes, Imaginiertes, Falsches, Vergangenes. Er sollte sich von Anfang auf Heutiges, Empirie konzentrieren – Soziologie, Wirtschaft und Geologie betonen statt skurriler geschichtlicher Reminiszenzen, die in den Schreibstuben von Madrid und Barcelona ausgebrütet wurden.

Im Vorwort für die deutsche Ausgabe sagt der Autor, “leeres Spanien” wurde im Land zu einem

weit verbreiteten und viel verwendeten Begriff.

Da möchte der hispanophile Leser gern wissen, wie das Buch und der viel genutzte Begriff im Original heißen, schon um beim nächsten Spanienbesuch damit anzugeben. Doch typisch Wagenbach-Verlag, der spanische Originaltitel wird nicht vorn genannt, dafür stellt man den Übersetzer ausführlich vor. Der spanische Titel findet sich erst auf der letzten Seite im Kleingedruckten, dort wo ihn kein anderer Verlag hinpackt.

Assoziation:

  • Immer wieder erwähnt del Molino arme und elende Vorortviertel von Madrid, das erinnert an den Vorortroman Diese Fremdheit in mir von Orhan Pamuk
  • In Vorbereitung auf eine Extremadura-Reise las ich (zumindest teilweise) die spanischen Bücher Mitten im Sommer und hier, Das leere Spanien, jeweils in deutscher Übersetzung. Beide enttäuschten maßlos
  • Der Roman Eine Liebe von Sara Mesa spielt mitten im leeren Spanien

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