Fazit:
Philip Siegel schreibt eingängig, leicht lesbar, meist reportage-artig im Präsens mit viel Dialog und ein paar überraschenden Details. Aber seine Akteure und ihr Hobby sind öde, und auch Siegels Erzählstil erregt mich nicht.
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Kontaminierte Salzstangen:
TV-Journalist Philip Siegel berichtet hochdetailliert von Rudelsex-Dreharbeiten – samt kontaminierten Salzstangen, Kinderschritten im Hausflur und Last-Minute-Ejakulation bei erschlaffendem Kameraakku. Siegel konzentriert sich weitgehend auf unscheue Amateure in Deutschland, berichtet ihre bürgerlichen Berufe, aber sonst nicht viel:
Nah kommt man keiner Figur, alle interessieren sich bei Siegel nur für ihren Hochleistungssport; und der erscheint monoton und strikt vorgezeichnet, so abwechslungsreich wie Spülmaschine-ausräumen. Mehrfach merkt Siegel an, er finde die Szene unerotisch, Akteure täuschten Lust mühsam vor (u.a. S. 143).
Meine Campus-Buchausgabe zeigt keine Fotos. Das Vorwort liest sich teils wie die Werbung für eine Webseite, bei der Siegel eigene Handy-Videos von den genannten Amateurpornodrehs zeigen will. Die im Vor- und Nachwort genannte Webadresse funktioniert bei mir nicht (Stand Juli 2022), vielleicht auch wegen meiner Sicherheitseinstellungen (alles sonst Übliche funktioniert).
Teilzeitkräfte:
Egal, ob sie’s zu acht oder 80 treiben: Das Personal wirkt immer banal, lieblos, charmelos, die wenigen Profis sind Großkotze mit Lamborghini 2K16. Die echten Amateure gucken Katzenvideos, urlauben auf Malle, essen bei McDonalds, fahren einen “tiefergelegten alten Sportwagen” und hören Wolfgang Petry. Siegel trifft Briefträger, Brummifahrer, Buchhändler, KFZ-Ingenieure, Stahlformbauer, Deeskalationstrainer und die “Teilzeitkraft in einem Möbeldiscounter”. Beim Dreh tragen sie die “hier fast unvermeidlichen Badelatschen”.
In die langen Dreh-Reportagen packt Siegel knappe Hintergründe über das Pornogeschäft seit den 70ern, liefert Internet- und Prostitutionsstatistik, erinnert an Reality-TV und den “Psychologen Martin Altmeyer”.
Bei Siegels reportierten Drehs treffen meist ein bis 80 Männer auf wenige Frauen – andere Spielarten gibt’s im Buch nicht. Wieder und wieder betont Siegel, wie die wenigen Frauen ihren Traum ausleben, den Ton angeben und die demütigend wirkende Behandlung anfordern. Sie vermarkten sich offensiv online.
Illegales ist verboten:
Zwar lässt sich das Buch leicht runterlesen, doch dabei bleibt die Sprache banal und charmelos wie die Protagonisten, Siegel benennt Körperteile im Deutsch der Akteure. Die immer gleich gebauten Überleitungen am Kapitel-Ende langweilen. In Ein-Satz-Absätzen v.a.i.d. ersten Hälfte kredenzt Journalistenlehrer Siegel überflüssige Kommentare:
Wird schon klappen, meine ich. (S. 49)
Verrückte Welt, denke ich. (S. 53)
Ich bin beeindruckt. (S. 78)
Das ist eine klare Ansage. (S. 122)
Das ist doch mal ein Statement.
Zum banalen Ton kommen Sprach- und Schreibfehler wie
unauthorisierte Bilder (S. 11)… haben rote Haaren (S. 13)… aus der unübersichtlichen Zahl der 50 000 bei Bezahlplattformen angemeldeten Amateuren (S. 16)… Sofort stobt der Männerpulk zurück (S. 84)… etwas antiseptisches (S. 178)… die Frau in dem grell orangenen Bikini und dem fast mädchenhaften Gesicht (S. 195)… und Intellektuell einiges auf dem Kasten (S. 232)… Alice leckt an seinen Eier. (S. 238)… scheint sie Top in Schuss (S. 251)… Was ist los, Herr Steiner? Ich glaube, ich sollte sie anders motivieren. (S. 257)
Auf S. 156 unten ist der Satz “Dieser Verdacht…” unvollständig.
Bei seiner Protagonistin Parkplatzluder19 merkt Siegel seinerseits
Fehler bei Rechtschreibung und Zeichensetzung
an (S. 272). Umgekehrt freut sich Siegel bei einer anderen Protagonistin (S. 158) an der
einfachen, aber überlegten Sprache ohne Fehler in Rechtschreibung oder Zeichensetzung
Aristokratische Bourgoisie:
Es gibt ein paar wolkig-unklare Sätze wie im Vorwort:
Der Schwerpunkt dieses Buches liegt in seinem beobachtenden, teilnehmenden Duktus, aus dem heraus sich viele Dinge von selbst erklären.
(Ist beobachtend/teilnehmend nicht ein Widerspruch? Sind das Eigenschaften für einen Duktus?) Oder wie (S. 151):
Mit seinen aristokratischen Gesichtszügen bringt er einen Hauch Bourgeoisie in die Runde.
Kein Gegensatz? Und den
fleischgewordenen Widerspruch der “Profi-Amateure”
führt Siegel immer wieder an (S. 187). Übersichtlicher schon das “Event-Ereignis” (S. 206). Den ID-Shot erklärt er gefühlt fünfmal, auch sonst scheut er Redundanz nicht.
Obacht auf S. 42:
Illegal eine Industrieruine zu betreten, ist nicht erlaubt
Wusste ich gar nicht.
Philip Siegel (*1965) verzichtet auf jedes Gender-Gaga und nennt auch einzelne Frauen oft “Amateur” oder “Amateur-Darsteller” (S. 19) und nicht etwa “Amateurin”.
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