Kritik Roman. W. Somerset Maugham: Seine erste Frau bzw. Rosie und die Künstler (1930, engl. Cakes and Ale) – 7 Sterne

W. Somerset Maugham schreibt einen freundlichen Plauderton, der runtergeht wie milder Cognac. Ein paar Snobismen und ironische Arroganz geben die nötige Würze. Dazu kommen clevere Dialoge – einen Tick filmi vielleicht, aber gut zu haben, voller Persönlichkeit und Idiomatik.

Den Stil-Pep braucht’s auch, denn inhaltlich passiert zunächst nicht viel: das erste Kapitel redet nur allgemein über den Schriftsteller Roy Kears, ein weiteres Kapitel enthält den ergebnislosen Dialog zwischen Schriftsteller Kears und dem Ich-Erzähler-Schriftsteller Ashenden, und das dritte Kapitel berichtet vom Auftauchen des Schriftstellers Driffield im südenglischen Kaff Blackstable, beobachtet vom Ich-Erzähler-Schriftsteller Ashenden in jungen Jahren.

Drei Schriftsteller und keine Handlung, na Danke. Aber gefällig klingt’s.

Der Roman blendet dann in Ashendens Jugend, erzählt von Klassendünkel und Dörflertum. Highlight ist die Ex-Bardame Rosie Gann, die sich wie auch immer den Schriftsteller Driffield zum Mann angeln konnte. Dabei:

There’s little that Rosie Gann didn’t do… she seemed able to do nothing for an indefinite time without feeling bored… that childlike, mischievous smile of hers; she was perfectly at her ease… lazy, sensual and self-complacent

W. Somerset Maugham (1874 – 1965) trägt wohl etwas dick auf. Trotzdem verständlich, dass die (auf-)reizende Rosie das Dörflerblut zum Wallen bringt.

“That childlike, mischievous smile”, der Ausdruck erscheint bis Seite 100 mindestens dreimal und taucht auch später wiederholt auf – einer der wenigen falschen Töne in der sonst so gefälligen Erzählstimme. Freizügige Frauenfiguren aus Männerhirn sind mir eh suspekt (Maugham-Biografin Selina Hastings erzählt freilich, Rosie sei ein lebensechtes Abbild der “irresistible” Maugham-Partnerin Sue Jones).

In einem älteren Vorwort zum Roman betont Maugham treuherzig, er nehme in Cakes and Ale keinen bestimmten Schriftsteller auf die Schüppe. In seiner 2009er Einführung zum Roman erläutert dagegen Nicholas Shakespeare wortreich, wen Maugham warum konkret aufgespießt und damit tödlich beleidigt habe. Noch ausführlicher wurde im selben Jahr Maugham-Biografin Selina Hastings, die den Roman zudem preist.

Maugham wechselt nach Maugham-Art mehrfach Zeitebene und Ort, gibt seiner Geschichte so mehr Tiefe und mehr Spannung, weil er zufällig im aufregendsten Moment 30 Jahre springen muss. Dann wieder erörtert er seitenlang sehr allgemein die literarischen Meriten seiner erfundenen Skribenten, mokiert sich allgemein über Litfluencer, die Adels- und die Kunstwelt – teils ohne Bedeutung für den Plot, und nie mit Konkretem illustriert, also nicht so prickelnd. (Maugham war zu der Zeit stolz darauf, dass seine Verlage ihn unlektoriert druckten – vielleicht zu stolz.)

Zudem steht der Roman sehr vage in der Zeit. Irgendwann sind Fahrräder was Neues, später Autos, einmal redet der Erzähler von den “nineties” – ich hätte es gern genauer eingeordnet, weniger vage.

Doch weil Maugham schon früh das Schicksal seiner Hauptfiguren andeutet, zappelt der Leser unentrinnbar am Haken. Und die Begegnungen zwischen Ich-Erzähler und Rosie (mehr “mischievous” als “childlike”) rühren ernsthaft an. Ihre heißeste Szene endet:

I was hungry.

Assoziationen:

  • Der Ich-Erzähler Ashenden ist auch Hauptfigur in den Spionagekurzgeschichten aus Collected Short Stories Volume 3 bzw. Ashenden Or the British Agent (1927, dt. Ashenden oder Der britische Geheimagent, erzählt in der 3. Person). Aber Kurzgeschichten und Roman haben nichts miteinander zu tun, außer dass Ashenden Schriftsteller ist, ohne viel davon zu reden. Er berichtet lieber über andere. Es gibt keine Querbezüge.
  • Nicht die Literaten-, sondern die Theaterszene Londons in ähnlicher Zeit beleuchtet Maughams Roman Theatre. Auch hier wechselt Maugham nicht ganz überzeugend zwischen genau beschriebenen Szenen und stärker verallgemeinernden Passagen.
  • Das allgemeine, nicht konkretisierte Lästern über die Londoner Literaturszene erinnert an den ersten Teil der Maugham-Kurzgeschichte The Voice of the Turtle (1935), u.a. zu finden in Collected Short Stories Volume 1. Der literarische Salon mit einer weiblichen Hauptakteurin erinnert zudem deutlich an die Kurzgeschichte The Creative Impulse (1926, Collected Short Stories Volume 2).
  • Das provinzielle piefige England erinnerte mich an manche “Entertainment”-Geschichten von Graham Greene (auch im Ton) und Anthony Burgess, die Landbeschreibungen auch an As I Walked Out One Midsummer Morning (dt. An einem hellen Morgen ging ich fort).

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