Kuang schreibt sehr leicht lesbar und liefert genüsslichen Klatsch aus der Verlags-, Wokeness- und Twitter-Welt. Teils fühlt man sich in einem Krimi. Nur Liebe spielt keine große Rolle.
Kuang übertreibt die Satire etwas. Ein weißer Mann, eine weiße Frau dürften so etwas nie schreiben. (Ich kenne nur das englische Original und kann die Eindeutschung von Jasmin Humburg nicht beurteilen.)
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Was mich wunderte:
- Die Ich-Erzählerin ergattert das einzige existierende Manuskript der Starautorin Athena Liu. Dazu muss sie arg konstruieren: Athena ist in Yellowface eine junge erfolgreiche Asiatin in den USA, die angeblich bis 2018 (die Jahreszahl wird erwähnt) ihren vierten Roman The Last Front auf einer mechanischen Schreibmaschine schreibt – ohne Durchschlag – und das solitäre Typoskript der Ich-Erzählerin zum Lesen überlässt; nicht mal Athenas Lektor kennt Auszug oder Exposé; realistisch? (Auch wenn Joshua Ferris, Neil Gaiman, Andre Dubus III, Ronya Othmann oder Mariana Leky analog schreiben. (Aber wohl nicht für ihre Instagrams?))
- die Ich-Erzählerin preist das Manuskript der verstorbenen Athena mehrfach detailliert und über den Klee (“it’s gorgeous. It’s simply breathtakingly gorgeous”), aber zunächst ohne jede Textprobe – so wie fast in allen Romanen über Romane (sie liefert aber allerlei Konkretes zum Inhalt); erst auf Seite 80 hören wir ein paar Sätze aus dem Roman im Roman, die jedoch die Ich-Erzählerin hineingestrickt hat
- und wenige Seiten später betont die Ich-Erzählerin, wie unvollständig und zerklüftet das Manuskript sei – voll verwirrender Namensdoppler, chinesischer Ausdrücke und Figuren, die nach einem Kapitel wieder verschwinden –, so dass sie es stark überarbeiten müsse; das passt nicht zu ihrem vorherigen Lobpreis (oder ist sie eine trendgerecht unzuverlässige Erzählerin, und es muss so sein? Bastelt sie an einer Rechtfertigung? Mich überzeugt es nicht)
- es gibt viele positive Kritiken und einen markanten Verriss des fertiggestellten Romans im Roman The Last Front – doch zunächst kein einziges Zitat aus den Rezensionen; Zitate folgen erst später
- Donald Trump, Jeff Bezos und Amazon werden im Buch nur etwa 1x oder gar nicht genannt; trotz ihrer Besessenheit mit Online-Rezensionen redet die Ich-Erzählerin nur von reddit und Goodreads (ein Amazon-Unternehmen), aber nicht von Amazon (zu meiner Freude kommen auch KI und Corona nicht vor)
- fast das gesamte Buchpersonal besteht aus Twitterati und Literati; nur die Verwandtschaft sind konstruierte Biederati: die banal kunstferne Mutter redet von Altersvorsorge und Buchhalterjobs; Schwester und Schwager grillen am Wochenende (und selbst dort ist der Schwager IT-Mensch mit Tipps zu IP-Adressen)
- die Berichte aus der Online- und Verlagswelt wirken mitunter didaktisch
- gelegentlich kündigt die Ich-Erzählerin dräuend Ungemach in der Zukunft an, schiebt dann aber ein anderes Thema ein – ein billiger Spannungstrick
- Kuang dreht die Geschichte weiter und weiter, erst ein Tod, dann ein Textdiebstahl, dann noch ein Textdiebstahl, dann ein Gegendiebstahl, dann alles eine Metaebene höher, dann Geister, dann eine Wiedergeburt, dann noch ein Tod in einsam schwarzer Nacht; auch die Fantasy-Vergangenheit der Autoren schlägt durch
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Was mich persönlich störte:
- es gibt viele Vorwürfe kultureller Aneignung, eine Weiße dürfe nicht über Gelbe schreiben; ich wusste ja, dass das Buch davon handelt und dass mich Vorwürfe dieser Art nerven, aber ich wusste nicht, dass sie so stark nerven können (Autorin und Gelbgesicht Kuang macht sich freilich ebenso strafbar, weil sie kulturell übergriffig eine weiße Ich-Erzählerin konstruiert)
- viele übergeschnappte Hasstiraden auf Twitter gibt die Autorin wörtlich wieder. Gleichzeitig kann sich die beschimpfte Ich-Erzählerin nicht von Twitter losreißen – statt die Krakeeler nicht mal zu ignorieren (Karl Valentin), verfolgt sie das Internet bis zum Morgengrauen – auch das nervt mich -, lässt sich von jeder Benachrichtigung aufschrecken und bastelt permanent an Reaktionen, die sie nicht postet
- Ich-Erzählerin June mokiert sich über „online beefs that no one in the real world gives a shit about“, verliert sich aber selbst komplett darin (ich weiß, dass die Ich-Erzählerin erfunden ist, und trotzdem nervt mich dieses Verhalten); sie liest Online-Verrisse über sich im Bett um Mitternacht, wie kann man so blöd sein, und folgt Unbekannten in einsamer Nacht (Zoe Hu i.d. WashPost: “June’s stupidity is so obvious that it feels scheduled”)
- die Ich-Erzählerin und Yale-Absolventin ist nicht nur von den Internet-Krakeelern gefesselt, sie scheint auch ihr allgemeines Weltwissen von Twitter, YouTube und Reddit zu beziehen, andere Quellen kennt sie scheint’s nicht; und sie praktiziert wider besseres Wissen chinesischen Aberglauben
Es heißt immer, das deutsche Wort “fremdschämen” lasse sich nicht übersetzen. Doch Kuang bringt “secondhand embarrassment”, das passt doch ?
Was ich assoziierte:
- eine junge erfolglose alleinstehende Schriftstellerin in den USA als Ich-Erzählerin – wie in Writers & Lovers von Lily King; beide Romane haben bei mir ein knallgelbes Cover; das Buch von Lily King spielt 1997, ohne Handys und ohne soziale Medien, ein wichtiger Unterschied
- andere Romane, die auf Deutsch und Englisch denselben Titel und sogar dasselbe Titelbild haben
- die Ich-Erzählerin in diesem Roman muss tausende Buchseiten signieren, die später in komplette Bücher eingebunden werden – eine ähnliche Geschichte erzählte auch John Updike, und William Boyd bezieht sich darauf (Quelle)
- selbstgerechte Erregung in den sozialen Medien auch in My Dark Vanessa
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