Rezension Theater-Farce: Noises off, von Michael Frayn (1982, dt. Der nackte Wahnsinn) – 7 Sterne

Theaterstücke gedruckt sind per se kein reines Lesevergnügen und dieses von 1982 vielleicht noch weniger als andere. Alle Figuren erscheinen mit zwei verschiedenen Namen im Text: So heißt eine Schauspielerin der Rahmenhandlung Belinda, doch im Stück im Stück spielt sie eine Flavia. Je nachdem, ob sich die Figur innerhalb oder außerhalb des Stücks im Stück äußert – und das wechselt unablässig – lesen wir also BELINDA oder FLAVIA. Dazu kommen etwa fünf weitere Akteure mit zwei verschiedenen Namen.

Komplexer Aufbau:

Außerdem macht Michael Frayn die Handlung so komplex, dass er im zweiten Akt zweispaltig schreibt; der Leser muss praktisch gleichzeitig linke und rechte Spalte nebeneinander und dann noch einmal die linke Spalte allein von oben nach unten lesen. Meine gelb eingeschlagene Ausgabe des Theaterverlags Samuel French hat zudem eine zweitklassige Druckqualität, die an eine mittelprächtige Fotokopie erinnert.

Das Stück als solches: brillant. Frayn schildert die Probe, dann die Aufführung einer Boulevardtheater-Farce durch Provinzschauspieler dreimal hintereinander – zweimal mit Blick auf die Bühne, einmal mit Blick hinter die Kulissen. Das heißt, wir lesen dreimal das selbe Theaterstück als Binnenhandlung, doch die Schauspieler in der Rahmenhandlung verstricken sich zunehmend in Pannen, Pech und Feindseligkeiten, in Suff und Liebeshändel, und beim dritten Mal geht der Text weitgehend aus dem Leim.

Gnadenlos, pausenlos, atemlos folgt Gag auf Gag, fallen Hosen zu Boden, knallen Köpfe gegen Balken, kullern Kontaktlinsen, rollen Schauspieler Treppen herunter und kämpfen mit verknoteten Schnürsenkeln oder Roben. Zwar fliegen keine Torten in Gesichter, aber immerhin Sardinen.

Zum Glück kann man zurückblättern:

Die Handlung ist wie gesagt komplex. Nur wer den Text des Stücks im Stück aus dem ersten Akt gut behält, versteht die Gags im zweiten und dritten Akt, wenn den Schauspielern zunehmend die Erinnerung abhanden kommt. Immerhin ist das ein Vorteil der Buchversion: Man kann sich die Zeit selber einteilen und auch zurückblättern. Das Buch enthält zudem nach Programmheft-Art einen betont blasierten Essay, amüsante Schauspieler-Biographien und fiktive Werbung der örtlichen Unternehmer. Es gibt keinen Hinweis darauf, welche Fassung des mehrfach umgeschriebenen Stücks wir zu lesen bekommen.

Peter Bogdanovich hat Noises off 1992 verfilmt. Er wahrt den Originaltext und das manische Tempo. Im Internet gibt es nicht nur Ausschnitte aus dem Film, sondern auch von Theateraufführungen.

Noises Off erinnerte mich an andere Bücher mit unkonventioneller Anlage oder verschiedenen Handlungsebenen, so Das Wetter vor 15 Jahren von Wolf Haas mit ebenfalls brillanter Mischung von Rahmen- und Binnenhandlung und an Harold Pinters Theaterstück Betrogen, das rückwarts abläuft (und dessen Verfilmung ich nicht empfehle).

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