Buchkritik: Tante Frieda, von Ludwig Thoma (1907) – 6 Sterne – mit Links

Zwei der sechs Geschichten erinnern deutlich an Ludwig Thomas Lausbubengeschichten von 1905 (diesmal Schießpulver in Vogelkäfig; Eier, Spucke und Kartoffeln auf Leute; Luftgewehr auf Spiegel). Die vier anderen Geschichten erzählen vom Aufenthalt der jungen Halb-Inderin Cora in der Kleinfamilie des Ich-Erzählers Ludwig:

Die Dorfmänner bringen der schönen Cora Ständchen im Mondschein und schleichen verliebt ums Haus. Der Brauereifranz schmachtet verzweifelt aus der Ferne. Onkel sabbern und saufen, Tanten stricken und kommentieren maliziös.

Bairische Grammatik:

Das ist gelegentlich lustig – vor allem bei den Sticheleien in der Großfamilie – und oft schön beobachtet. Es könnte auch eine durchgehende Erzählung sein.

Der Ich-Erzähler berichtet wieder sehr distanziert und oft in indirekter Rede, die mit fortschreitender Seitenzahl wie eine abgestandene Leier klingt. Die “bairische” Grammatik ödet an:

mit die Hände so gemacht, als wenn ((…)) war bei die indische Armee und hat ihm alles erzählt von die Eingeborenen”

(Bei Lena Christ klingt dergleichen viel natürlicher.)

Interessant: irgendeinen Rassismus erlebt der Besuch “aus dem Land der Braminen” (sic) nicht – weder vom Ich-Erzähler noch vom Dorfpersonal. Alle himmeln sie an.

Vergleich: Lausbubengeschichten (1905) und Tante Frieda (1907)

Das Buch Tante Frieda (1907) und das Buch Lausbubengeschichten (1905) zeigen denselben Ich-Erzähler “Ludwig Thoma” als Sohn einer alleinerziehenden Frau. Doch die meisten Geschichten in den zwei Büchern unterschieden sich deutlich; nur zwei von sechs Geschichten in Tante Frieda gehen in Richtung Lausbubengeschichten à la Band 1. Tante Frieda kann nicht als Teil 2 gelten.

Darum: Der Tante-Frieda-Untertitel “Neue Lausbubengeschichten” förderte vielleicht den Verkauf, passt aber nicht. Selbst der Haupttitel Tante Frieda ist daneben, weil Tante Frieda nur in einer Geschichte auftritt (und auch einen Kurzauftritt im Vorgängerbuch Lausbubengeschichten hat).

Für beide Bücher gilt aber: Der Ich-Erzähler tönt auffällig fies und gefühlskalt. Womöglich war Ludwig Thoma als Schüler genauso. Denn seine Lehrer schrieben über ihn (Klaus 2016 lt. Wikipedia):

In seinem Charakter liegt etwas Durchtriebenes. Bei Tadel und Strafe zeigt er eine für seine Jahre ungewöhnliche Kälte und hartnäckige, trotzige Unempfindlichkeit.

Freie Assoziation:

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