Biograf Heinz Höhne arbeitete von 1955 bis 1991 beim Nachrichtenmagazin Spiegel und schreibt in etwa Spiegel-Stil: Teils personalisiert, mit überflüssigen, aber plastischen Details, ziemlich unterhaltsam, aber auch mit Blick fürs soziale, wirtschaftliche und vor allem politische Großeganze und nie zu offenbar unseriös dramatisierend. Das plaudert heiter dahin, tatsächlich einerseits im Spiegel-“Jargon” der 1970er und frühen 1980er Jahre, kurzweilig (“Eruptionen teutonischen Kraftmeiertums”, S. 301), mit handfesten Urteilen und klaren politischen Einstufungen; mit schnellen Begründungen per “denn auch” und beweiskräftigem O-Ton per Kompaktzitat; der nächste Absatz beweist denn auch das Gegenteil mit ebenso überzeugendem O-Ton.
Plastische Schilderung:
Das Vorstellungsvermögen seiner Leser regt Höhne gern in 3D an (S. 35):
Der Anker rasselte in die Tiefe. In der stillen Sholl-Bay…
Oder Seite 164, vintage Spiegel:
Um acht Uhr kam der neue Chef. Pförtner Gallmüller, Urberliner und seit Jahren Türhüter in dem geheimnisumwitterten Haus 72-76 am Tirpitz-Ufer, nahm so etwas wie stramme Haltung an, als der kleine, weißhaarige Mann in der blauen Marineuniform an ihm vorbeiging. Gallmüller schaute auf das Kalenderblatt; es zeigte den…
Höhne menschelt ungeniert (S. 466):
Enttäuscht, ja entsetzt sahen die beiden Besucher auf den Mann, der mit immer leiserer Stimme seine ganze Verzweiflung artikulierte…
Als ob er dabeigewesen sei (S. 522):
Der Diktator stutzte, ein Name war ihm plötzlich aufgefallen. Er las noch einmal…
Höhne greift mit Musik in die Saiten (S. 40):
Um 11 Uhr 15 durchzuckten zwei gewaltige Schläge den stählernen Schiffskörper, eine blendende Explosionsflamme folgte, dann kamen gelblich-schmutzige Rauchwolken.
Lange Sätze:
Andererseits nicht an den Spiegel erinnert jedoch Höhnes Sitte im zweiten Buchteil, Paradoxien mit Ausrufezeichen zu betonen. Die Spiegel-Schlussredaktion hätte wohl auch weitere Stilschwächen ausgemerzt. So werden zeitweise die Sätze zu lang, etwa hier (S. 112):
Niemand habe, so erklärte Konteradmiral Michaelis, der die Vertretung des Chefs des Admiralsstabs übernommen hatte, Anfang August vor Kommandeuren, das geringste Interesse an ihrem Wiederaufbau…
Gelegentlich konstruiert Höhne sogar nach alter Väter Sitte afinit, schluckt das Hilfsverb am Ende (S. 519):
…Hummel wurde nun ein Gefangener des Apparats, den er geschaffen.
Wiederholungen kommen dazu: Ein einziger Absatz auf S. 21 liefert gleich zwei Satzanfänge mit “Doch” und schiebt noch ein “aber” hinterher, auch “sich” begegnet zu oft in einem Satz oder Absatz. Manchmal hätte andere Wortwahl schneller zum Punkt geführt. Doch im Vergleich zu Michael Muellers Canaris-Biografie (2006) liest sich Höhne weit leichter, griffiger, und er rollt Fakten und Personen für mich übersichtlicher aus.
Mueller scheint auch neutraler und distanzierter, während Höhne mit eindeutigen Urteilen zur Hand ist, die Orientierung erlauben (allerdings stellt Mueller deutsche Grausamkeiten in Planung und Tat deutlicher heraus). Deutsche Vernichtungsaktionen, für den Gegner tödlich, schildert Höhne als “Glück”, “Höhepunkt” (S. 54f über versenkte Handelsschiffe der Entente).
Viele Hintergründe:
Verblüffend: Höhne (1926 – 2010) liefert ohne spezielle Überschrift einen 20seitigen Überblick über deutsche Geheimdienste seit Friedrich dem Großen, sogar mit chronologisch gestaffeltem Organigram. Dem folgen fünf Seiten über staatliche Stellen in der frühen NS-Zeit, wieder mit Organigramm, bevor Canaris Anfang 1935 Abwehrchef wurde. Später schildert Höhne jeweils sehr ausfühlich die Vorgeschichte des spanischen Bürgerkriegs und die Rolle der Ukraine zwischen Deutschland, Polen, Ungarn und Russland. Andererseits taucht der Name Pujol – des spanischen Doppelagenten in London, der u.a. die deutsche Abwehr über die alliierte Landung in der Normandie desinformierte – bei Höhne gar nicht auf (die Manöver der britischen Geheimdienste hat Höhne ansonsten im Blick, u.a. S. 468).
Meine billige Bertelsmann-Hardcover-“Sonderausgabe für Gondrom Verlag” packt den Haupttext auf etwa 562 große, unbequem eng bedruckte Seiten. Etwa 400 Seiten davon behandeln Canaris’ letzte zehn Jahre ab 1935, sie sind zum Teil sehr allgemein über Nazi-Politik und -Institutionen ohne speziellen Canaris-Bezug. Der sehr geraffte Anhang belegt bei zudem extrem engem Druck nur 33 Seiten. Auf der ersten und letzten Doppelseite erscheinen identische Organigramme des Amtes Ausland/Abwehr; dazu kommen ein paar – zu wenig – Landkarten auf Textdruckpapier und 16 nicht paginierte SW-Fotodruckseiten, die auch ein paar Dokumente zeigen.
Damit hat Höhne scheinbar mehr Haupttext als Michael Mueller (dort 427 Seiten Haupttext). Zwar packt Mueller anders als Höhne viele inhaltliche Vertiefungen nach hinten in die Endnoten, während Höhne dort nur geraffte Quellenangaben notiert; doch selbst wenn man Muellers ausführliche Endnoten hinzunimmt, ist sein Text wohl kürzer als Höhnes – wobei Mueller aber vermutlich mehr Geschichte und Politik liefert, während Höhne mehr Atmosphäre, Persönliches, aber auch militärtechnische Details ausbreitet. Auch über Canaris’ Beziehungen zu Frauen berichtet Höhne ein klein wenig mehr, im Rahmen des Möglichen. Höhnes Buch endet hart mit Canaris’ Tod 1945; über das weitere Schicksal der Überlebenden erfahren wir praktisch nichts, außer einigen Zitaten aus Memoiren und Gerichtsprotokollen.
- Biograf Heinz Höhne in Wikipedia ᛫ Spiegel-Nachruf
- Gondrom-Verlag in Wikipedia
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