Rezension Andalusien-Bericht: Factory of Light, von Michael Jacobs (2004) – 8 Sterne – mit Videos

In Andalusien war ich auch mal.

Jacobs schreibt warmherzig, liebevoll, und wir tauchen tief in die Dorfgesellschaft ein. Ein anderer Wahl-Andalusier, Chris Stewart, berichtet zwar auch sehr warmherzig – Stewart lebt jedoch isoliert am Berg und das mit Ehefrau, Kind und vielen Tieren, bekommt also weniger vom üblichen Dorfleben mit. Jacobs dagegen wohnt ohne Anhang mitten im Dorf Frailes (in einer stillosen, kaum heizbaren Kammer über einer Diskothek, deren Tristesse ihn wohl ohnehin zu Exkursionen zwingt) und luncht täglich mit der größten Quasselstrippe am Ort.

Jacobs’ Verbundenheit mit den Einheimischen erinnerte mich manchmal an Frank Schulz’ Ouzo-Orakel. Die Bücher sind aber eigentlich nicht vergleichbar, abgesehen von den alkoholgeschwängerten internationalen Runden in Dorftavernen.

Jacobs nimmt sich stark zurück:

Jacobs’ Beobachtungen gehen wohl auch deshalb tiefer, weil er sich massiv zurücknimmt und scheinbar jederzeit anderen Egos unterordnet; er schreibt nur über andere, kaum über sich. Jacobs lauscht geduldig den Geschichten der Einheimischen, lässt sich willig auf Ausflüge mitschleifen, lächelt brav zu jedem Vortrag, und sei es haarsträubender Aberglauben oder offenkundige Ãœbertreibung.

Halb amüsiert eignet Jacobs sich den Dorfpatriotismus an. Schwaflern, Egozentrikern und Aufschneidern gegenüber zeigt Jacobs’ viel Langmut. Jacobs’ teilt ausdrücklich einen meiner stärksten eigenen andalusischen Eindrücke: viele Restaurants und Cafés werden von Enthusiasten ohne Geschäftssinn geführt und stehen darum meist leer.

Nicht so eingängig:

Jacobs schreibt etwas langatmig und dialogarm, so dass ich ihn nicht ganz leicht lesbar fand; vor allem die ersten Seiten ermüden. Viele Abschnitte sind eher beschreibend und handlungsarm; erst im letzten Fünftel entsteht etwas Dramatik, und, wer hätte es gedacht, Jacobs kredenzt sogar ein furioses Finale. Es gibt viele exzentrische Typen, zwar nur wenige, dafür exzellente Lacher, aber umso mehr hochinteressante Notizen – insgesamt pothole research und hot country entertainment vom Feinsten.

Ich habe wirklich viele Auswanderergeschichten aus Mediterranien gelesen, besonders aus Spanien. Jacobs liefert einen der eindrucksvollsten und intensivsten Berichte – in allem das Gegenteil der Erfolgs-Emigrantin Victoria Twead mit ihrem Dorfschwank Chicken, Mules etc.

Offene Fragen:

Manchmal fragt man sich, was Jacobs’ verschweigt. Warum kam er offenbar immer allein nach Frailes, während er in London wohl eine Partnerin hatte? Was war genau mit der hoch sympathischen, aber verheirateten Merce, die er laufend trifft, während ihr ebenfalls am Ort ansässiger Mann viel seltener auftaucht? Warum erscheinen ein paar Figuren ganz ohne Namen?

Warum bleibt Jacobs jahrelang in dem unmöglichen Zimmer über der Disco – wohl nicht nur, um kuriose Beobachtungen zu diesem halbtraurigen Laden anzuhäufen? Oder ist er zwischendurch umgezogen? Was wurde aus der Doku, die über das Kinoereignis gedreht wurde (andere Videos unten)?

Jacob’s schrieb Factory of Light über seine Zeit in Frailes um 2000 herum, als er Ende 40 war. Er starb Anfang 2014 (Nachrufe hier, hier, hier und hier). Schon 2013 starben andere wichtige Figuren aus dem Buch, El Sereno und Sara Montiel.

Die Videos unten zeigen Jacobs und seine wichtigsten Bekannten in Frailes:


Ebenso warmherzig und kulturell tiefschürfend ist Jacobs’ Rundum-Buch Between Hopes and Memories – A Spanish Journey (Besprechung auf HansBlog.de).

Bücher bei HansBlog.de:

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