Buchkritik: Herr und Hund, von Thomas Mann (1918) – 6 Sterne


Thomas Mann schreibt sehr detailliert und verallgemeinernd über sich und seinen stürmischen Hund Bauschan, einen Wildfang im Wortsinn und darüber hinaus. Dabei zeichnet Mann ein gehoben bürgerliches Idyll und gibt sich als souverän urbaner Grandsigneur, der die treu-doofe Kreatur gönnerhaft belächelt: Bauschans “volkstümlich schlichter Sinn” (S. 37 Fischer-TB) “in seiner bäurisch ungeschickten Haltung” (S. 30), mit “viehischem Gähnen” (S. 32), kurz, “ein vitaler Jägerbursch und kein Professor” (S. 39), anders als der Erzähler, der wieder einmal Geist und Leben gegeneinander und die distanzierte Überlegenheit des Menschen herausstellt. Der sitzt drinnen hinter der Glastür; das Zamperl draußen. Selbst der Jäger am andern Flussufer ist “nur ein Mann im Manchester und kein Herr” (S. 121).

Die Familie und sonstige Zweibeiner erscheinen nur knapp und vage, zumeist agieren nur Herr und Hund – und in kleineren Nebenrollen Schaf, Maus, Möwe oder Hase. Herr und Hund und sonst niemand beherrschen das Geschehen, und das nur mit ihrer Freizeit: Vom Füttern oder Saubermachen redet Mann nie, das erledigen niederrangige Wesen.

Bewährt kredenzt Thomas Mann feinstziselierte Beschreibungen in possierlichem Deutsch (“sichtige Tummelfreiheit”, S. 14). Dativ-e-Allergiker sollten sich allerdings rechtzeitig immunisieren, ich verweise nur auf diese S-e-quenz von Seite 60 unten:

“…vom Roste zerfressen… am Anfange… am langen Schilde… auf dem Bürgersteige.”

Mehrfach aber setzt der Zauberer das Dativ-e auch s-e-lektiv: “…bis zu dem Punkte… dem Lauf des Flusses…” (S. 12) oder “…meinem Wunsche entsprochen… nach jedem Satz…” (S. 11).

Fast klingt es, als weide sich der Erzähler an Bauschans detailliert ausgemaltem Hund-frisst-Maus, Mann weist dem Nager die Schuld am Geschnappt- und Zermalmtwerden zu. Zufrieden schildert er auch gelegentliche, teils kaum begründete Prügelstrafen für den Hund und dessen jämmerliche Reaktion.

Nicht nur seine Ausgehkleidung und seinen Hund beschreibt Thomas Mann liebenswert und akribisch, er analysiert an Hund-zu-Hund-Begegnungen ebenso wie Hund-und-Veterinär. Mann portraitiert auch das tägliche Spazierrevier. Das erhält geschlagene 29 von gesamt 118 Seiten – außer einem knappen Hund-trifft-Schaf geht es hier ausschließlich um Botanik, Geologie, Limnologie (“Die Uferregion ist folgendermaßen gegliedert und abgestuft: Nächst dem Rand…”; S. 70) und Straßenschilder (“Die Schmalte ist vielfach abgesprungen…”; S. 60). Viele Seiten hintereinander treten hier sogar Herr und Hund in den Hintergrund.

Thomas Mann schüchtert wieder mit Wortschatz, Veterinär- und botanischen Kenntnissen ein, aber mein Fischer-TB tröstet auch mit einem echten Fehler: “…zur Fertigstellung des weitläufig Begonnen Platz griff…” (sic, S. 59).

Thomas Manns Sohn Klaus Mann schreibt in seiner Autobiografie “Wendepunkt” treffend über das Büchlein Herr und Hund:

Man kommt ohne Handlung aus. Nichts ist nötig als Genauigkeit, heitere Akkuratesse… Die Landschaft am Isarfluß gibt einen hübschen Hintergrund ab, anspruchslos, dabei pittoresk.

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