Das Machwerk (Buch) braucht eine Triggerwarnung. Diese Rezi (Machwerk) auch. Die Triggerwarnung für das Buch lautet:
Vorsicht bitte, hier sargnagelt die Steffi über random Zeugs, gelegentlich lustig, gelegentlich “mit Iowabezug”.
Ich Unschuldslamm dachte, hier kommen selbsterlebtes US-College-Treiben und Iowa. Stattdessen beginnt Stefanie Sargnagel mit versifften Berlinhipstern (ich gendere nicht, ätsch), die sich per Schrebergartenfaselei eine Land-Identität herbeischwafeln. Natürlich massenhaft männerfeindliches Gerede, nicht nur bei den weit verbreiteten Vergewaltigungsanzeigenproblemen, sondern auch, so die spätere Iowa-Begleiterin Christiane Rösinger:
”Ich habe das immer so vehement als etwas Weibliches abgelehnt. Kuchen backen, das hätte ich niemals gemacht. Oder einem Mann einen Kaffee kochen, nie im Leben.”
Weil keiner einen Kaffee von ihr will, das sagt Rösinger aber nicht. Schließlich stellt Sargnagel selber fest,
dass außergewöhnliche Künstlerpersönlichkeiten, wie wir beide sie haben, uns für Heteromänner nicht attraktiver, sondern noch unattraktiver machen.
Das Künstlerische ist nicht das Problem, im Gegenteil, behaupte ich. Aus Trotz dekretiert Sargnagel noch:
…die 20- bis 45-Jährigen geben Anlass zur Hoffnung. Die Generation der 55-plus-Männer hingegen ist leider verloren.
Darf Hans D. Blog *so* über 55-plus-Frauen reden? Sargnagel ist ja erst „Ende 30“, wie sie dem Leser nicht verschweigt.
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Lesbische finnische Komikerinnen:
Selbst auf Seite 40 von 300 schwafelt Sargnagel noch von lesbischen finnischen Komikerinnen in Wien und von Reisepersonenwaagen, auch wenn sie mittlerweile ein fettiges US-Frühstück intus hat. Da sitzt auch eine US-Professorin mit im Diner, aber die kommt kaum zu Wort. Schließlich geht es in dem Buch um Steffi und Christiane.
Auf Seite 60 waren sie noch immer nicht an der Uni, aber sie haben bei Amazon einen TV-Stick bestellt; damit schauen sie einen Film „mit Iowabezug“, wohl um nicht das real existierende Iowa vor der Tür betreten zu müssen; wir werden mithin über Johnny Depp und Leonardo DiCaprio informiert, danach über einen Kreativworkshop im griechischen Zakynthos und über Amis, die im Nicht-Ausland Puerto Rico “Auslandspraktika” machen.
Unbefriedigend:
Einmal gibt es ein paar Seiten Kneipenbesuch, doch dem folgen mehr Seiten über Männer auf Tinder – angestrengt vermeidet die Autorin Iowa IRL. Statt sich tatsächlich einen Ami anzulachen und uns über das Paarungsverhalten des fremden Volks zu unterrichten – sine qua non eines immersiven Reiseberichts – bleibt die Autorin ganz in der eigenen Blase:
Ich masturbiere zweimal hintereinander.
Ähnlich handhabt es/sich Christiane Rösinger,
”das letzte bisschen Sexualität, das kann man auch selber machen”
Dann rezitiert die Autorin noch mehr Fernsehserien (nie Bücher, kaum Spielfilme) und klischierte Erwartungen.
Den US-Plakatspruch ”No matter where you are from…” zitiert Stefanie Sargnagel mit falscher Interpunktion (mit einem Punkt und neuem Satz nach „from“: grammatisch falsch und falsch abgelesen).
Man kann einen Buchtext eleganter aufblähen; frau vermutlich auch. Oder einfach mal die Fresse halten?
Auf Klassenfahrt:
Das „Iowa” auf dem Titel ist eine Verhöhnung; der korrekte Titel wäre ”Steffi und Christiane auf Klassenfahrt irgendwo”. Wir lesen ausführlich, was sie im Walmart in den Einkaufswagen legen und wieder rausnehmen. Diese Selbstgefälligkeit generiert Fremdscham.
Stellt sich eine Kulturbeauftragte vorsichtig gegen ein Konzert der Sargnagel-Begleitung Christiane Rösinger in einem Museum mit fragilen Exponaten, wird die Bedenkenträgerin sogleich als ”blutleere Kunstfrau” verbissen, mit Unterstellungen zu ihrem Privatleben (obwohl sie Eine Frau ist!). Sargnagel betrachtet sich laut Seite 105 selbst “als Egozentrikerin (die ganze Welt dreht sich um mich)” und bekennt, zumindest einige Aspekte von Trash zu mögen. (Welche eigentlich nicht?)
Lustig:
Schade, dass Sargnagel so misandrisch und selbstgefällig textet, denn gelacht habe ich zunächst öfter, oder zumindest erfreut geschnauft, etwa hier:
Wir finden auch die Dateien irgendwo in den Sofaritzen des Handys
”Ist der Freund erst auf dem Sofa, hilft kein Auto und kein Mofa”
„Mich würde es weniger stören, wenn mein Freund mit jemand anderem Sex hat, als wenn er vor einer anderen furzt.”
Ich dachte, ich würde niemals altern, aber es passiert, egal wie infantil ich mich verhalte.
Hübsch ist auch der Flug auf einem Pelikan am Ufer des Mississippi.
Nicht:
Dann wieder leiert Sargnagel überflüssige Banalitäten herunter, etwa die Themen in der Zeitschrift einer Regionalfluggesellschaft oder die Soziologie der TV-Serie ”Real Housewives of Beverly Hills“ – das interessiert wohl ihre trashigen Leser, glaubt Sargnagel, aber mich beleidigt sie so; sie sollte nicht alles drucken, was sie unterwegs auf Vorrat notiert, knipst, filmt oder sich sonstwie reinzieht. (Tatsächlich sucht sie bei ihrem Kalifornien-Abstecher am Buchende das Restaurant einer „Housewives „- Darstellerin auf.)
Aber wer laut Eigenaussage unentwegt Content auf Webseiten postet, die den Maga-Brexit-Cambridge-Analytica-Duterte-Verbrecher und Trumpdarmausgangbewohner Zuckerberg noch reicher und verbrecherischer machen, kann vielleicht nicht anders, als auch ein Druckmedium mit herbeigesuchtem Käse zuzumüllen.
Oder will die Autorin die empfundene US-Monotonie kongenial in Text gießen? Schließlich war Iowa das “Reich der tödlichen Langeweile” und „schal”, während sie selbst eine ”Legend of Entertainment” ist.
Und die kennt die billigsten Tricks der Publikumsbindung: sie schreibt in atemlosem historischem Präsens (“ich versuche…”), und sie schreibt 300 Seiten ohne Unterteilung in Kapitel – das ganze lange Buch ein einziges Kapitel, , den Leser nicht vom Haken lassend, nur gelegentlich eine Leerzeile zum Verschnaufen. Oder ein Zeichen von Unstrukturiertheit?
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Reiseunlust:
Die Iowa-Ödnis darf sich Sargnagel selbst zuschreiben: Als sie endlich einen Mietwagen hat, geht der erste Ausflug zu einer touristischen deutschen Aussiedlerkolonie, die nichts mit den normalen USA verbindet. Der Grund für die Wahl der Aussiedlerkolonie wird schnell klar: Sargnagel kann ohne anstrengende Recherche und Gedanken mehrere Seiten mit den Skurrilitäten der Kolonie füllen – erst schreibt sie einiges aus dem Internet ab, dann rekapituliert sie ihren Besuch vor Ort. Sie findet alles grauenhaft, muss aber trotzdem viele Seiten volltexten. Ein niederländischer Aussiedlerort mit TULIP TIME und künstlicher Gracht folgt später; Sargnagel schildert die Auslagen im christlichen Buchladen. Zuletzt noch eine Stadt voll esoterischer Maharishi-Anhänger und die obligaten Amish – wieder ein „Menschenzoo” (S. 275), aber Sargnagel muss trotzdem hin, produziert viele Seiten lang Banaltouristik, nur TripAdvisor ist noch öder.
Sargnagel und Rösinger besuchen auch eine Scheune, die als Horrorkabinett gestaltet ist und abermals viele Zeilen hergibt, ebenso wie ein riesiger Outdoorladen. Weitere vollgeschwafelte Seiten quetscht die Autorin aus dem schrillen Meskwaki-Casino im Indianerreservat; dort darf man laut Sargnagel noch nach der Pandemie rauchen, was meine Onlinequellen nicht bestätigen. Später leiert sie eine Seite lang die Auslagen in einem Antiquitätenladen herunter – sogar Christiane Rösinger spricht in ihrer Fußnote von einer
weiteren völlig sinnlosen Aufzählung ihrer Thriftshop-Preziosen.
Das Buch war vorher schon öde, bei den Ausflügen wird es sehr öde. Aber Sargnagel sucht ihre Ziele offenbar unkritisch nach Empfehlungen im Internet zusammen, dann findet man natürlich nur Scheiß.
Allein unter Amis:
Nach knapp zwei Buchdritteln reist Christiane Rösinger ab, und Sargnagel ist vorübergehend allein (und wieder ohne Auto), bevor die Mutter kommt. Hoffnung keimt, dass Sargnagel jetzt Interessanteres erlebt und berichtet; sie doziert selbst, man entdecke
Neues, wenn man nicht immer zu zweit herumhockt, man ist offener für Bekanntschaften.
Ganz meine Rede. Doch dann spricht Sargnagel schon wieder von „Attraktionen”, also gewiss nicht Alltagsamerika, sondern noch mehr degenerierter Kitsch. Aber wie meint sie selbst:
Reisen ist nur noch ein stumpfes Bedienen von Apps, denke ich mir, nichts überlässt man mehr dem Zufall.
Und ohne ihre „Christiane” weiß sie gar nicht, was sie bei den Amis noch „allein anstellen“ soll. Sowas wie „Recherchieren“ fällt ihr natürlich nicht ein. Warum blieben sie nicht zusammen in ihren Wiener/Berliner Blasen, da kann frau immer was „anstellen”?
California Dreaming:
Immerhin kommt bald Mutter Sargnagel zu Besuch. Mit ihr geht’s nach Los Angeles, und der Abschnitt beginnt so:
Los Angeles ist eine lose Agglomeration kleiner Siedlungen und ein dichtes Netz von Straßen, die Infrastruktur ist vollständig auf das Ziel ausgerichtet, optimalen…
Und so, im sterilen Sound von Wikipedia, geht es noch ein paar Sätze weiter. Dann sagt die bekennend internetsüchtige Sargnagel allen Ernstes:
Niemand hatte uns darauf vorbereitet, dass diese Glamour und Weltgewandtheit versprechende Stadt eine Riesenobdachlosensiedlung ist.
Zu viel “Real Housewives of Beverly Hills“gebingt? Nach ein paar weiteren schockierten Zeilen berichtet Sargnagel seitenlang über einen Obdachlosen-Youtuber. Der ist wichtiger als die Obdachlosen.
Das letzte Kapitel spielt wieder im Berliner Schrebergarten und hat nur eine mikroskopische Anspielung auf die USA-Zeit.
Assoziation:
- Zwar hat Stefanie Sargnagels Aufenthalt in Iowa mit creative writing zu tun, aber sie ist nicht am bekannten Creative Writers’ Workshop von Iowa, an dem unter anderem die HansBlog-Autoren John Irving, Raymond Carver, C. Boyle lernten oder lehrten. (Der Creative Writers’ Workshop wird im Sargnagel-Buch kurz erwähnt, warum eigentlich.)
- Unmittelbar nach Sargnagel/Iowa las ich ein weiteres Reisebuch, Annie Caulfield in Jordanien – es ist klar besser in puncto Humor, Stil und Lerneffekt – und es gibt einen local Lover, kein albernes historisches Präsens und kein alles vernichtendes Internet
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