Rezension: Tianchi: Unterwegs in China und Tibet, von Vikram Seth (Tibet-Reisebericht, 1983, engl. From Heaven Lake) – 7 Sterne

1981 reist der indische Doktorand Vikram Seth zwei Monate lang vom nördlichen China über Land nach Süden, durch Tibet bis nach Nepal – zunächst per Eisenbahn, später vor allem in LKWs. Er kämpft mit Visumproblemen, zerstörten Brücken und quicklebendigen Flöhen.

Seth spricht Chinesisch, aber nicht Tibetanisch. Er schildert vor allem Reiseschwierigkeiten und Reisebekanntschaften mit wenigen Exkursen über Sozialsysteme, Geschichte sowie Sehenswürdigkeiten (die Exkurse fügen sich noch gut in den Text, anders als in Seths späteren Büchern Eine gute Partie/A Suitable Boy und Two Lives/Zwei Leben – dort erdrücken allgemeine Themen die Geschichte passagenweise).

Heute hier, morgen dort:

Vikram Seth bleibt nirgends länger, ist immer auf der Durchreise (und liest Naipauls erstes Indien-Buch). Sein genauestes Portrait gilt einem LKW-Fahrer, mit dem er einige Tage lang Fahrerkabine und Zigaretten teilt. Von Tibet selbst handelt nur etwa ein Drittel des schmalen Bands. In Lhasa verbringt Seth etwa 14 Tage, teils mit Organisation beschäftigt. Vielleicht hätte Seth tiefgehender über seine Studentenzeit in Nanjing und seine Forschungen in chinesischen Dörfern berichten können, aber davon redet er praktisch gar nicht.

Seth schreibt jedoch immer lebendig und sympathisch über zumeist hilfsbereite, liebenswerte Chinesen und Tibeter. Ungewöhnliches erklärt er markant in wenigen Sätzen. Humvorvoll, warmherzig und kurzweilig portraitiert Seth Brummikapitäne, politisch Verfolgte und Sherpa-Guides. Landschaft und Wetter wirken sehr plastisch. Und schon hier, in seinem ersten von vielen sehr unterschiedlichen Büchern, präsentiert Seth sein Markenzeichen, eingestreute eigene Gedichtzeilen.

Visaprobleme en detail:

Visumschwierigkeiten und Reiseplanspiele schildert Seth etwas zu weitschweifig. Andererseits beendet er den eher dünnen Band enttäuschend noch vor dem ersehnten Wiedersehen mit der nichtsahnenden Familie in Delhi nach drei Jahren Abwesenheit.

Mein Penguin-Taschenbuch von 1990 zeigt eine grobe Landkartenskizze und acht Seiten mit Seths Schwarzweißfotos von unterwegs. Vor allem die Landschaftsaufnahmen wirken sehr flau. Es gibt einige Portraits von Zufallsbegegnungen; die Akteure aus dem Text sind nicht darunter, auch nicht Seth selbst. (In Zwei Leben/Two Lives, der Biografie zweier Verwandter, zeigt sich Seth auf mehreren Fotos selbst und liefert einen eigenen biografischen Abriss, in dem er seine Aktivitäten in Nanjing erneut nicht konkretisiert.)

  • Goodreads: 3,98 von 5 Lesersternen (1283 Stimmen)
  • Amazon.com: 4,3 von 5 Lesersternen (23 Stimmen, jeweils August 2016)


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