Kritik Kurzgeschichtensammlung: Mein Müßiggang, von Italo Svevo – 8 Sterne


Die Hauptfiguren der meisten Kurzgeschichten kratzte Italo Svevo scheint’s im Cognac-Rauchereck einer Ü60-Party zusammen: Gediegen rüstige Signores mit ihren Gebresten, ihren Geschäften, ihrem Hunger auf Zigaretten und hübsche junge Dinger. Diese Themen kennt man so ähnlich aus Italo Svevos berühmtem Altersroman, Zenos Gewissen (Zeno Cosini, 1923) oder aus der späten Svevo-Erzählung Der alte Herr und das schöne Mädchen.

Die Geschichten:

In der Titelgeschichte Mein Müßiggang erzählt der nun 70jährige Zeno Cosini (bekannt aus dem Roman Zenos Gewissen) von seinen Zipperlein und von einer gezielt inszenierten Gesund-Kur mit 67 Jahren: ein bezahltes Verhältnis mit einer geschäftstüchtigen Kioskbetreiberin, 24. Das ist hübsch ironisch und selbstironisch, etwas dicker aufgetragen als im Zeno-Roman, allerfeinste Unterhaltung, die ich mir auch gut als Film vorstellen kann (man denkt natürlich auch an die Svevo-Erzählung Der alte Herr und das schöne Mädchen, in dem ebenfalls eine prekäre blutjung Schöne einen geldigen Alten beglückt – eine Zeitlang). Mein Müßiggang ist Teil eines geplanten zweiten Zeno-Romans, der durch Svevos Unfalltod nicht fertig wurde (Quelle).

Gelungen und meist feinsinnig auch die Geschichte Meuchlings, in der zwei ältere Geschäftsleute um den heißen Brei herumreden: der eine braucht dringend einen Privatkredit vom anderen, der dieses Thema am liebsten unterdrücken will. Lieber arm und gesund, so lautet hier die Lehre. Diese Geschichte zusammen mit dem Titelstück führt zu meiner hohen Wertung des Gesamtbändchens.

In Feuriger Wein dann lästert ein mittelalter, hypochondrischer Herr voller Selbstmitleidenschaft über seine Zipperlein und Verwandtschaft; man denkt wieder an Zeno Cosini, aber er ist es nicht. Daraufhin schildert Italo Svevo (1861 – 1928) über mehrere Seiten hin einen bizarren Traum, und da rutscht meine Aufmerksamkeit unweigerlich weg wie nasse Seife.

In einer weiteren, weniger ergiebigen Geschichte erinnert sich ein alter Ich-Erzähler – ein kaum fiktionalisierter Svevo, wie auch die Biografen Bondy/Geschwend bestätigen – an die erste Reise aus Triest in sein deutsches Internat. Die Fahrt endet mit einer milden Pointe und ich fragte mich, ob Svevo die ganze Anreise als Anmoderation dieser Pointe konzipierte.

Zur Übersetzung:

Ich hatte die Sammlung Mein Müßiggang als rororo-Ausgabe in Größe einer Reclamfibel mit rund 120 Seiten. Es gibt keine Angaben zur Entstehung der Geschichten. Eingedeutscht wurde von drei verschiedenen Übersetzern für frühere Svevo-Bände in den 1960er Jahren. Die Texte klingen insgesamt durchaus flüssig, wenn auch mit Dativ-e.

Besonders gewandt und vollmundig gefällig lesen sich die zwei auch inhaltlich besten Stücke, Mein Müßiggang und Meuchlings. Diese zwei Geschichten übersetzte Svevo-Freund Piero Rismondo. Er lieferte auch die erste Übersetzung des Romans Zenos Gewissen unter dem Titel Zeno Cosini. Die spätere, textnähere Zeno-Übersetzerin Barbara Kleiner schreibt über Rismondos frühere Cosini-Eindeutschung: Die sei “spürbar bemüht, dem Autor in Deutschland zu literarischer Anerkennung zu verhelfen. Im Sinne publikumsfreundlicher Lesbarkeit lässt Rismondo große Freiheit walten”, einiges werde “beruhigt und geglättet…, nicht selten durch schlichte Auslassung”, so entstehe eine “treue Nacherzählung des Originals mit erheblich veränderten sprachlichen Mitteln” (1). Ich weiß nicht, ob Rismondo auch die Kurzgeschichten aus dem Müßiggang-Bändchen “erheblich veränderte” – jedenfalls klingen sie auf Deutsch sehr charmant, besser als der deutsche Zeno Cosini von Barbara Kleiner.

(1) “Nachbemerkung der Übersetzerin”, Zenos Gewissen S. 599, Ausgabe Zweitausendeins-Verlag, 1. Auflage 2000.

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