Du, Internet?
Ich glaube, bei einem 60er-70er-Jahre-Bolly habe ich überhaupt noch nicht geflennt, zumindest nicht so wie bei Amar Prem. Oder jedenfalls habe ich mich nicht getraut, es dir zu sagen, liebes Internet. Amar Prem ist so voller Tragik und Melancholie, voller Schicksalsschläge und Gutmenschentum, so voller Reinheit und Naivität – es riss mich einfach dahin. Und dabei: Die Tragik kommt nicht so aufdringlich daher wie in vielen anderen Hindi-Filmen.
Familienfilm aus dem Rotlichtbezirk:
Regisseur Shakti Samanta zeigte Sharmila Tagore schon als herzallerliebste Dorfmagd (Kashmir Ki Kali, 1964) und als ultramondäne Jetsetterin (An Evening in Paris, 1967). In Amar Prem (1971) ist Tagore die Prostituierte mit dem ganz großen Herzen. Sie schluckt Schicksalsschläge reihenweise und beweist Güte gegenüber ihren schlimmsten Peinigern.
Auch wenn Amar Prem großteils im Rotlichtviertel von Kalkutta spielt: selten war ein Bollywoodstreifen so familientauglich wie dieser. Sharmila Tagores Beruf scheint nur darin zu bestehen, Alkohol einzuschenken und das Gejammer selbstmitleidiger Männer anzuhören. Perfekt jugendfrei. Zudem gibt es keine kettenrauchenden Bösewichte und fast keine Prügelei.
Ãœberraschend die Musik:
Tagore verkörpert Heilige und Hure, Mutter und Liebhaberin und ist so schön wie nie. Demut, Anmut, Hingabe, Sinnlichkeit, Tagore bringt alles intensiv und mühelos auf die Leinwand. Sie umsorgt ihren eitel jammernden Freier (Rajeesh Khanna) ebenso liebevoll wie den hungrigen Nachbarjungen. Barfuß stapft Tagore zu Beginn des Films durch die Felder, barfuß und verschwitzt und aus dem Haus geprügelt von ihrem Ehemann – doch sie strahlt mit jeder Faser Würde und Weiblichkeit aus, sie ist wunderschön.
Weiterer wesentlicher Pluspunkt: die sechs melancholischen Balladen des Komponisten und Arrangeurs R.D. Burman fließen so wehmütig-lässig dahin wie das Leben in den Gassen von Kalkutta, nie wird es aufgeregt oder gar feurig. Ein überraschender, aber stimmiger Soundtrack.
Amar Prem erhielt 1973 ein paar Filmfare-Preise, jedoch nur für Sound, Dialoge und Drehbuch. Beste Darstellerin wurde nicht Sharmila Tagore, sondern Hema Malini im fulminanten Seeta aur Geeta.
Hier enttäuscht der Film:
HansBlog-Höchstnote für Amar Prem? Ja, für diesen Bolly-Oldie ja. Nein, doch nicht: Amar Prem wäre kein 70er-Jahre-Bolly, hätte der Film nicht auch massive Schwächen:
Sharmila Tagores Rolle erscheint allzu eindimensional gütig, rein, gottesfürchtig, unrealistisch; man könnte ihre Selbstlosigkeit auch dämlich finden. Dann zelebriert Superstar Rajeesh Khanna den wehleidigen, dauer-alkoholisierten Jammerlappen monoton abwechslungsfrei grienend und mit nichtssagenden Sentenzen. Vinod Mehra zeigt den erwachsenen Nandu aufdringlich ergriffen und gebannt.
Da sind auch die vielen unglaublichen Zufälle, die sich zu einer (immer noch dünnen) Story fügen. Den Gassen von Kalkutta sieht man jederzeit an, dass sie auf einem Studiogelände von Bombay zusammengekleistert wurden. Das Thema von der heiligen Hure zwischen verlogenen Bürgersleuten ist im Hindi-Kino zudem so totgeritten, dass mehrere dieser Geschichten inzwischen sogar wiederholt verfilmt wurden (u.a. Devdas 1955 und 2002, Umrao Jaan 1981 und 2006).
Doch trotz aller berechtigten Einwände, liebes Internet:
Sharmila, Sharmila Tagore spielt, nein ist anbetungswürdig in diesem melancholischen Seelendrama; die Königin des Herzens.
Guten Abend.
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