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Kritik Biografie: Myself & the Other Fellow. A Life of Robert Louis Stevenson, von Claire Harman (2005) – 7 Sterne – mit Presse-Link
Harman schreibt ein lebendiges, fast schon bezwingendes Englisch, das stets fesselt, ohne angestrengt unterhalten zu wollen. Sie verwendet jedoch auch mehr mir unbekannte englische Wörter als andere Autoren. Harman scheut weder (als solche deklarierte) Spekulationen noch robuste Urteile. Das gilt nicht nur für literarische Kommentare – einige Stevenson-Bücher nennt sie „perfect duds“ (S. 110) – sie stuft auch Persönlichkeiten immer wieder ein, hier über einen schmachtenden Liebesbrief der Hauptfigur (S. 106): This is neurotic, but also very intimate; the clearest glimpse we get of Stevenson’s feverishly unbalanced love (…) Oder über Stevensons langjährige Ehefrau (S. 346): Fanny was a humourless and self-deluding woman: wrong, certainly; mad, possibly – but not…
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Kritik US-Reisebuch: Deep South, von Paul Theroux (2015) – 7 Sterne – mit Presse-Links
Paul Theroux reist 2012 und 2013 mehrfach länger durch die US-Südstaaten, so dass er in Deep South auf 440 Seiten über alle vier Jahreszeiten berichten kann. Theroux schreibt äußerst flüssig und lesbar (ich hatte die englische Ausgabe). Er besucht fast nur Kleinstädte und fast ausschließlich kleine Leute und Mittelschichtangehörige – häufig Pastoren und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, die ihn gelegentlich an echte Hartzer vermitteln, mehr Weiße als Schwarze. Dabei reist Theroux in einer Hinsicht wie ich, „more interested in conversation than sightseeing“ (S. 434). Er schreibt nicht über Sehenswürdigkeiten, liefert keine Touristentipps. Einige Plätze besucht Paul Theroux wiederholt, auf unterschiedlichen Reisen, und keiner ist so richtig markant. Dazwischen beschreibt Theroux gelegentlich…
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Kritik Monografie: A Turn in the South, von V.S. Naipaul (1989) – 7 Sterne – mit Presse-Links
V.S. Naipaul redet in den US-Südstaaten mit Politikern, Bürokraten, Autoren (u.a. Anne Rivers Siddons, Eudora Welty), mit Juristen, Geistlichen, seltener mit Arbeitern oder Bauern, und er berichtet nachdenklich von seinen Gesprächen. Keiner gibt Interviews so interessant wieder wie Naipaul – gut zuhörend, scheinbar neutral, intelligent, aber doch mit eigenen Gedanken und Interpretationen. Naipaul (1932 – 2018) geht ohne vorgefasste Erwartungen in die Begegnungen: On this kind of journey one doesn’t know what one wants from a man until one has spoken to him. Und so entsteht ein wunderbar klischeefreies Buch: O-Ton gibt Naipaul weitgehend in Oxford-Englisch wieder, nicht im Dialekt, auch wenn er gelegentlich Schwierigkeiten mit dem Dialekt erwähnt und…
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Rezension Biografie: A Scandalous Life, The Biography of Jane Digby (1807 – 1881), von Mary S. Lovell (1995) – 8 Sterne
Sie war die schönste Frau ihrer Zeit und heiratete blutjung in höchste englische Kreise. Jane Digby hatte bald schon Liebhaber und außereheliche Kinder. Mehrfach war Digby unsterblich verliebt, schreibt Mary S. Lovell in ihrer packenden Biografie, aber nicht in jeder Ehe oder Beziehung. Digby verkehrte, wortwörtlich, in den höchsten Kreisen von London, Paris, München und Athen und kam zur Ruhe erst in Damaskus. Könige, Edelmänner und Scheichs verfielen ihr. Sie war Mätresse des Bayernkönigs Ludwig I. (1786 – 1868) in München und bezirzte später dessen Sohn Otto in Athen; Ludwig schenkte der mit einem Baron Verheirateten eine Tochter. Digby figurierte schon zu Lebzeiten in nicht weniger als acht Romanen, u.a.…
- Afrika, Biographie, Buch, England, Gut, Historisches Buch, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Reise, Sachbuch
Rezension Entdecker-Biografie Florence und Samuel Baker: Mit dem Herzen einer Löwin, von Pat Shipman (2004; US-Titel To the Heart of the Nile, UK-Titel The Stolen Woman) – 7 Sterne – mit Presse-Links
Die fiktionalisierte Biografie beschreibt das Leben der Afrika-Entdecker Florence und Samuel Baker ab 1859 – ihr Kennenlernen auf einem osteuropäischen Sklavenmarkt und ihre strapaziösen, oft lebensgefährlich dramatischen Reisen auf der Suche nach den Nilquellen. Dabei konzentriert sich Shipman besonders auf Florence Baker (1841 – 1916): Die Ungarin wurde als Kind in Revolutionswirren von ihren Eltern getrennt und als 17jährige auf einem Sklavenmarkt von Samuel Baker (1821 – 1893) gekauft oder gestohlen. (Die U4 meines US-Taschenbuchs schreit sensationslüstern im Widerspruch zum Buchinhalt, dass Florence „at age 14“ den Besitzer wechselte.) Ungewöhnlich auch, dass Florence Baker ihren Mann überhaupt nach Afrika begleitetete und mit ihm nach Europa zurückkehrte. Weiße Frauen kamen sonst…
- Afrika, Biographie, Buch, Gut, Historisches Buch, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Reise, Reisebuch, Sachbuch
Rezension Entdecker-Biografie: Stanley, The Impossible Life of Africa’s Greatest Explorer, von Tim Jeal (2007) – 7 Sterne – mit Presse-Links
Im Vorwort weist Jeal auf die vielen neuen Quellen hin, die er entdeckte – 35 Jahre, nachdem er selbst eine Livingstone-Biografie vorgelegt hatte. Jeal möchte Stanley gern liebhaben, und er betont den ungerechtfertigt schlechten Ruf des Entdeckers: „Stanley was not a racist like Sir Richard Burton or Sir Samuel Baker“ (Seite 10 meines faber and faber-Taschenbuchs) und nur dreimal habe Stanley „taken the extreme step of hanging a man“ (S. 13). Dass er viele andere in Notwehr erschoss, erfahren wir später. Amazon-Werbelinks: Ganz Afrika | Südafrika | Kenia | Marokko Stanley, der arme Sündenbock: Andere Entdecker hätten viel schlimmer gewütet, auch Stanleys Trouvaille Livingstone war überhaupt kein Engel, so betont…
- Afrika, Biographie, Buch, England, Gut, Historisches Buch, Hot Country Entertainment, Indien, Interkulturell, Sachbuch
Rezension Abenteurer-Biografie: A Rage to Live – A Biography of Richard and Isabel Burton, von Mary S. Lovell (1998) – 7 Sterne – mit Presse-Links
Diese wohl umfangreichste neuere Burton-Biografie, von 1998, umfasst 804 Seiten Haupttext. Die erfahrene Autorin Lovell betont schon im Vorwort, dass sie in England wichtige neue Primärquellen entdeckte und dass sie unfundiertes Psychologisieren der Burton-Biografen Fawn Brodie und Frank McLynn ablehnt (Übersicht zu Burton-Biografien und -Links unten). Im Vergleich zu früheren Biografen schreibt Lovell zudem ausführlicher – deutliche Pluspunkte für Burton-Interessierte. Amazon-Werbelinks: Ganz Afrika | Südafrika | Kenia | Marokko Neue Einblicke: Lovell will in ihrer Biografie erklärtermaßen gut abgehangene Burton-Anekdoten vermeiden, gleichwohl auch Neulinge mit allem Wissenswerten bedienen. Ich habe Lovell erst nach den Biografien von Brodie und Rice gelesen und meine, dass auch Lovell die bekannten, markanten Burton-Zitate bringt…
- Afrika, Biographie, Buch, England, Gut, Historisches Buch, Hot Country Entertainment, Indien, Interkulturell, Sachbuch
Rezension Abenteurer-Biografie: Captain Sir Richard Francis Burton (1821 – 1890), The Secret Agent Who Made the Pilgrimage to Mecca, Discovered the Kama Sutra, and Brought the Arabian Knights to the West, von Edward Rice (1990) – 7 Sterne – mit Presse-Links
Die Biografie umfasst etwa 620 Seiten Haupttext plus etwa 55 Seiten Anhänge, Fotos und Stichwortverzeichnis. Rice wahrt weitestgehend die Chronologie, reiht Episode an Episode. So wirkt der Text vielleicht etwas schematisch. Ihm wurde vor allem von der späteren Burton-Biografin Mary S. Lovell vorgeworfen, teils erfunden zu haben. Biograf Rice, der zahlreiche andere Sachbücher veröffentlichte, schreibt flüssig, aber selten mitreißend. Die Zitate aus Burtons zahlreichen Büchern klingen kraftvoller als Biograf Rice selbst; sie wecken Interesse am Menschen Burton und seinen Wegen. Amazon-Werbelinks: Ganz Afrika | Südafrika | Kenia | Marokko Hochinteressanter Mann: Genaue Beschreibung: Rice schildert historische und geistesgeschichtliche Hintergründe ausführlich, manchmal ein ganzes Kapitel lang, oder sogar zwei. So lernen…
- Asien, Belletristik, Buch, Gut, Historisches Buch, Hot Country Entertainment, Indien, Interkulturell, Kurzgeschichten, Reise, Reisebuch, Sachbuch
Rezension Geschichten-Sammlung: India in Mind, Hg. Pankaj Mishra (2005) – 7 Sterne
Auf 330 Seiten erscheinen 25 kurze Textauszüge von Europäern oder Amerikanern, die etwa zwischen 1895 und 1997 über Indien schrieben. Die acht bis gut 20 Seiten langen Exzerpte umfassen Fiktion und Sachbuch, Roman, Kurzgeschichte, Lebens- und Reisebericht. Bekannte Namen: Die Anthologie gibt die bekanntesten Indien-Autoren wider, so Rudyard Kipling, E.M. Forster, Hermann Hesse und V.S. Naipaul. Andere prominente Namen verbindet man vielleicht mit heißen Ländern, aber nicht auf Anhieb mit Indien: Mark Twain, Gore Vidal, Pier Paolo Pasolini, Octavio Paz, Claude Lévi-Strauss, Paul Bowles, Allen Ginsberg, George Orwell, André Malraux und W. Somerset Maugham. Dazu kommen etablierte Reiseautoren wie Pico Iyer, Robyn Davidson, Bruce Chatwin, Peter Mathiessen und Paul Theroux.…
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Rezension Reportage-Buch: India: The Road Ahead bzw. Non-Stop India, von Mark Tully (2011) – 7 Sterne
Mark Tully, einst BBC-Mann in Delhi und immer noch der bekannteste Indien-Sachbuchautor, schreibt hier über Politik und Wirtschaft: Naxalites, Unberührbare, Korruption, Landwirtschaft, religiöse Spannungen, Unternehmertum. Thematisch etwas heraus fallen Kapitel über indische Sprachen und indische Tiger. Die zehn Kapitel haben je 20 bis 30 Seiten und lesen sich stets wie eigenständige Reportagen. Sie bestehen immer aus drei Komponenten: Allgemeine Erklärungen, Besuche bei Professoren, Besuche vor Ort und Gespräche mit Aktivisten und Journalisten, seltener mit Arbeitern, Schülern oder anderen kleinen Leuten. Die Beispiele stammen großteils aus Nord- und Mittelindien; einmal geht es nach Mumbai, einmal nach Tamil Nadu. Fazit: Tully liefert spannende Informationen leicht lesbar vor allem über die indische Politik…
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Buchkritik: India: A Portrait, von Patrick French (2011) – 7 Sterne – mit Presse-Links
Auf 440 engbedruckten Seiten, inklusive Fußnoten und Stichwortverzeichnis, berichtet Patrick French über Indien seit 1947 unter drei Hauptüberschriften: Politik, Wirtschaft, Gesellschaft. Veröffentlicht 2011, entstanden die meisten Buchteile 2009 oder früher. Fazit: French liefert einen interessanten Einblick in das komplexe Gebilde Indien seit der Unabhängigkeit und schreibt dabei meist flüssig. Die Themen wirken jedoch zusammengewürfelt – eher wie eine Kette von Reportagen, Geschichtsabrissen und Leitartikeln, nicht wie ein schlüssiges Buch. Die Aufteilung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft erscheint nachträglich übergestülpt und wird dem Inhalt nicht gerecht. French ergänzt gleichwohl die exzellenten Indien-Bücher von V.S. Naipaul, William Dalrymple und Aravind Adiga (der Frenchs Buch auch rezensierte, s.u.); die Qualität dieser Autoren erreicht…
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Rezension Länder-Buch-Bericht: Finding George Orwell in Burma, von Emma Larkin (2005) – 9 Sterne
Emma Larkin berichtet über eine Myanmar-Reise auf den Spuren von George Orwell, der dort in den 1920er Jahren Kolonialdienst tat und dann den lesenswerten Roman Tage in Burma schrieb. Larkin erzählt packend von vergangenen und heutigen Zeiten. Selten habe ich einen Länderbericht gelesen, der so sensibel so informativ und lebendig so flüssig, gut lesbar geschrieben ist. Finding George Orwell in Burma hat mehrere große Grundthemen: die Kolonialisierung Burmas seit dem frühen 19. Jahrhundert George Orwells Zeit in Burma (heute Myanmar) 1922 – 1927 Bezüge zwischen den Orwell-Büchern Burmese Days, Animal Farm und 1984 einerseits und Burma andererseits Burma/Myanmar als Polizeistaat seit den 1960er Jahren, samt Bezügen zu Nazideutschland und DDR…
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Rezension Gambia-Reisebuch: Die Trommeln von Dulaba, von Mark Hudson (1989, engl. Our Grandmothers‘ Drums) – 9 Sterne
Ein Jahr in einem Dorf in Gambia. Überaus stimmungsvoll. Selten hat ein Reiseautor so eine dichte Atmosphäre erzeugt, und das mit sparsamen Worten. Eins der besten Hot Country-Bücher überhaupt. Das Wetter; die Landschaft; Gefühle: das sitzt einfach. Die Frauen von Dulaba lernen wir sehr gut kennen. Nicht, dass sie übermäßig sympathisch oder interessant wären. Aber die Dorfgemeinschaft, die Organisation von Feldarbeit, Familie und Festen, sind reizvolle Themen. Amazon-Werbelinks: Ganz Afrika | Südafrika | Kenia | Marokko Was mir gefallen hat: Interessant die Dialoge und Liedtexte – äußerst schlicht, aber gerade deshalb ausdrucksvoll. Nicht zu vergessen Hudsons Schürzenjagd. Wir lernen also indirekt auch den Autor Mark Hudson kennen, offenbar ein ruhiger,…
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Rezension Naipaul-Biografie: The World Is What It Is, von Patrick French (2008) – 9 Sterne
Fantastische, sehr ausführliche, gut lesbare, schonungslose Biografie. Multikultur-Meisterschreiber extraordinaire V.S. Naipaul setzt privat neue Standards in Arroganz, Besserwisserei und Geiz, im Ausnutzen von Hilfsbereitschaft, Gastfreundschaft, emotionaler Abhängigkeit und relativem Präpotenzdefizit. Sein Biograf Patrick French referiert Naipauls gesammelte Unglaublichkeiten relativ nüchtern. Und es ist keine üble Nachrede: Naipaul (1932 – 2018) stand seinem Biograf ausführlich Rede (rund 24 mal 80 Minuten), öffnete sein Archiv rückhaltlos, hat selbst zu dieser Biografie eingeladen und dem fertigen Text zumindest nie widersprochen.(Auftrag und Zusammenkommen der Autoren erinnern deutlich an die Beziehung Graham Greenes zu seinem Biografen Norman Sherry.) French lobt die meisten Naipaul-Bücher über ein, zwei Absätze: Der Autor zitiert aber stets auch zahlreiche Pressestimmen…
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Rezension Bollywood-Buch: Lights, Camera, Masala: Making Movies in Mumbai (2006) – 9 Sterne
Schon nach drei Seiten hat es mich vor Lachen vom Sofa gehauen. Autor Naman Ramachandran, ein Filmkritiker, Produzent und Bollywood-Gelehrter, beschreibt die Hindi-Filmindustrie punktgenau elegant, mit augenzwinkernder Liebe und trockenem Humor. Ramachandrans Name erscheint auf dem Buchtitel kleiner als der von Fotografin Sheena Sippy, doch für mich trägt er mehr zum Genuss des englischsprachigen Buchs bei. [fsg_gallery id=“4″] Gut dabei: Ramachandran hält sich nicht mit Verallgemeinerungen und Reminiszenzen auf (Verallgemeinerungen, Statistiken, Historisches liefert bei Bedarf Tejaswini Ganti in Bollywood: A Guidebook to Popular Hindi Cinema (Routledge Film Guidebooks).), sondern watet sofort knietief ins reale Bollywood, gleich zu Anfang mit viel O-Ton der legendären Drehbuchschreiber Salim-Javed. Javed Akhtar bekommt später noch…
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Rezension Teheran-Memoiren: Honeymoon in Tehran: Two Years of Love and Danger in Iran, von Azadeh Moaveni (2009) – 8 Sterne
Azadeh Moaveni schreibt schlank, lebendig, bildhaft, unterhaltsam – wie man es von einer Time-Autorin erwartet. Längere Gedankenströme zu Politik oder Moral bettet sie stets in ihr Alltagsleben ein: Moaveni schildert, wie sie am Herd ein Curry versalzt und dabei die Rolle der Ayatollahs seit dem 7. Jahrhundert überdenkt; wie sie im Taxi sitzt und die Unterdrückung der persischen Frau reflektiert. Mitunter wirkt diese Technik etwas mechanisch. Moaveni berichtet kühl zurückgenommen: Immerhin, Moaveni verzichtet auf jeden verbalen Bling, schreibt zum Beispiel auch in der Vergangenheit statt in der etwas dramatischeren Präsensform. Sie wird nie wortreich oder selbstgefällig. Im Gegenteil: Auch wenn wir tief in ihr Leben blicken – samt Hysterie, Verwandtschaft,…
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Rezension Teheran-Memoiren: Lipstick Jihad: A Memoir of Growing Up Iranian in America and American in Iran, von Azadeh Moaveni (2005) – 8 Sterne
Azadeh Moaveni wächst mit iranischen Eltern in Kalifornien auf und kommt, gut 20 Jahre alt, erstmals dauerhaft nach Teheran, Hauptstadt des Iran. Dort arbeitet sie als Journalistin für das US-amerikanische Time-Magazin. Moaveni schildert ihren Alltag in der iranischen Hauptstadt ungefähr zur Jahrtausendwende (Khatami in Teheran, Bush junior in Washington, 9/11). Dabei klingt sie lebendig, persönlich, sarkastisch, zynisch, cool, menschlich, empört, jung – und immer gut lesbar. Lippenstift und Geheimpolizei: Vom Privaten zum Politischen und zurück: Da geht es tatsächlich um Lippenstift, ums komplizierte Essengehen mit dem verhassten, unpraktischen Kopftuch, um verbotene sichtbare Zehen, ums Flirten im Reich der Mullahs, aber auch um Tränen mit Khatami, um die verblüffend allwissende Geheimpolizei,…
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Rezension Andalusien-Bericht: Almond Blossom Appreciation Society, von Chris Stewart (2006, Teil 3 von „Driving over Lemons“) – 8 Sterne
Wie in den vorhergehenden zwei Büchern der Serie, die mit Driving over Lemons begann, schreibt Chris Stewart warmherzig, mit einer gewissen Selbsterniedrigung und äußerst lustig – ich habe öfter laut gelacht. Am Ende gibt es noch ein langes, lesenswertes und relativ offenes Interview. Stewart bleibt auf jeden Fall ein Unikat, weniger gelackt als andere Autoren. Ganz zufrieden war ich dennoch nicht: So will Stewart elegant von Thema zu Thema überleiten, muss dafür jedoch öfter um viele Jahre vor- oder zurückspringen. Das stört die Chronologie und erzeugt den Eindruck von Geschichten, die schon in den früheren Bänden hätten erscheinen können, aber vielleicht zunächst ausgemustert wurden. Man glaubt auch sonst, dass Stewart…
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Rezension Historisches Indien-Sachbuch: White Mughals, Love and Betrayal in Eighteenth-Century India, von William Dalrymple (2002) – 8 Sterne
Ein faszinierendes Buch über Indien um 1800 – wie sich Engländer und Inder mischen, wie Christen, Hindus und Moslems harmonieren; kuriose, verblüffende, vielsagende Einblicke. William Dalrymple wertet zahllose Quellen aus und schreibt 500 eng bedruckte Seiten plus 50 Seiten Anmerkungen, Literaturliste, Stammbäume, Personenverzeichnis, Kartenskizzen. Eine Liebesgeschichte ist es indes nur teilweise. Erst etwa ab Seite 220 konzentriert sich Dalrymple einigermaßen auf seine zwei Hauptfiguren. Amazon-Werbelinks zu Büchern: Indien | Asien Darum geht es wirklich in dem Buch: Vorher tauchen indische Prinzessin und englischer Statthalter gelegentlich für ein paar Absätze auf, doch vor allem malt Dalrymple ein episch breites historisches Bild, berichtet über Hofintrigen, blutige Kriege, Hochzeitsbräuche, Verhütungsmethoden und vieles mehr…
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Rezension Indien-Buch: Neun Leben – Unterwegs ins Herz Indiens, von William Dalrymple (2009) – 8 Sterne
Dalrymple schreibt mit viel Wohlwollen und Geduld über Gläubige in Südasien (neben Indien gibt es auch Ausflüge nach Pakistan und in die tibetische Vergangenheit eines Buddhisten in Dharamsala). Betont urteilsfrei und undramatisch berichtet William Dalrymple von Frauen, die sich langsam zu Tod hungern und von Frauen, die gegen ihren Willen in eine religiös verbrämte Prostitution gezwungen wurden – und später ihre Töchter, gegen deren Willen, auf denselben Weg schickten. Andere Hauptfiguren sammeln Totenköpfe, formen Skulpturen oder erzählen überlieferte Geschichten vor heiligen, ausrollbaren Gemälden. Amazon-Werbelinks zu Büchern: Indien | Asien Portraits und Geistesgeschichte: Überwiegend portraitiert Dalrymple Außenseiter, oft ohne Familie, die sich besonders exotischen Glaubensformen zugewandt haben und darum vielleicht mehr…
- Afrika, Buch, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Lustig, Nigeria, Reise, Reisebuch, Sachbuch, Senegal
Reise-Bericht: Der Traum von Afrika: Eine Frau, ein Fahrrad – die Freiheit, von Pamela Watson (1999) – 8 Sterne
Ein lebendiges, spannendes, mitreißendes Reisebuch – und dabei lustig und voll Selbstironie. Die Autorin steht zu ihren Widersprüchen und Fehlern, beschönigt nichts (soweit erkennbar). Haarsträubendes Verhalten: Ein paarmal verhält sich Watson auf ihrer Reise, die 1992 begann, denkbar bescheuert: Sie radelt unbefestigte Bergstrecken in der Regenzeit. Im muslimisch-strikten Mali steigt sie im Badeanzug in einen Fluss, wundert sich dann über Gaffer mit Flinte und streitet noch mit ihrem Publikum.Mehrfach keift sie strenge örtliche Militärs an. Watson schildert die Ausbrüche auch, um ihren überreizten Zustand zu illustrieren. Als besonders anstrengend empfindet Watson Nigeria – und in diesem Land arbeitete sie offenbar später zehn Jahre lang, auch als Honorarkonsulin für ihr Heimatland…
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Rezension Bollywood-Filmbuch: Fantasies of a Bollywood Love Thief: Inside the World of Indian Moviemaking, von Stephen Alter (2007) – 8 Sterne
Zum größeren Teil beschreibt Love Thief die Entstehung des Films Omkara (2006; R Vishal Bardwaj, u.a. mit Kareena Kapoor, Ajay Devgn, Saif Ali Khan, Konkona Sen Sharma, Naseeruddin Shah; sehr sehenswert, allerdings mit brutalen Morden). Alter erzählt sehr flüssig, leicht lesbar und in leichtem Englisch. Man hat oft das Gefühl, persönlich dabeizusein bei den Drehbuchkonferenzen, bei den Arbeiten am Set, wenn die (echten) Maschinengewehre im Büro eintreffen und bei den kleinen, subtil beobachteten Rivalitäten der Hauptdarsteller. Wir lernen, wie der Maskenbildner Blut anrührt und warum das Muhen einer Kuh trotz Synchrontonverfilmung die Aufnahme nicht ruiniert. Amazon-Werbelinks: Bollywood | Shah Rukh Khan | Priyanka Chopra Begegnung mit Alt-Stars: Andere, kürzere Abschnitte…
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Rezension Afrika-Reisebericht: Show Me the Magic: Travels Round Benin, von Annie Caulfield (2002) – 8 Sterne
Annie Caulfield hat ein Talent für humorige, kurzweilige Reisebeschreibung (immerhin verfasst Caulfield auch Ratgeber für Reise- und Radioautoren). Caulfield beweist einen genauen, liebevollen Blick für eigenwillige Typen und wunderliche Sprache, und Benins erstaunliche Bräuche (Voodoo, Vielweiberei, krakeelende Lokalmonarchen) beschreibt sie ohne mit der Wimper zu zucken. Auch ihre eigenen Bräuche verschweigt Caulfield nicht: mit Trinkgeldern für die Großen und Süßem für die Kleinen hält sie nicht zurück, speziell wenn etwas ihr Herz berührt. Amazon-Werbelinks: Ganz Afrika | Südafrika | Kenia | Marokko Wie auf einer eigenen Entdeckungsreise: Caulfield besucht teils typische Touristenplätze, etwa das See-Dorf Ganvié oder die Sklavenstätten in Ouidah, erzählt aber so davon, dass es nicht nach Touristentrampelpfad…
- Asien, Buch, Filmbuch, Gut, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Lustig, Sachbuch, Südostasien
Rezension Filmbuch: Kinda‘ Hot: The Making of „Saint Jack“ in Singapore, von Ben Slater (2006) – 8 Sterne
Erstmals entstand eine Hollywoodfilm komplett in Asien: Regisseur Peter Bogdanovich, Filmstar Ben Gazzara und ein großes amerikanisch-europäisch-asiatisches Team verfilmten Paul Therouxs Roman Saint Jack 1978 in Singapur (der Roman, der Film im HansBlog). Sogar die zahlreichen Innenaufnahmen entstanden in Singapur und nicht im Studio. Sehr farbig, lebendig, und kinda hot erzählt Ben Slater in diesem Filmbuch, wie es zuging. Ich habe bei der Lektüre oft laut gelacht über all die Anekdoten, über das Durcheinander und die Herausforderung, im restriktiv durchregierten Stadtstaat einen durchaus freizügigen Hollywoodfilm zu drehen. Amazon-Werbelinks: Singapur | Südostasien | China Hollywood-Stars in Südostasien: Bogdanovich führte sich wie ein Zar auf, rauchte dicke Zigarren, ließ sich im Bentley…
- Asien, Buch, Gut, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Iran, Reise, Reisebuch, Sachbuch, Südostasien
Rezension Länder-Bericht: Eine islamische Reise: Unter den Gläubigen, von V.S. Naipaul (1981, engl. Among the Believers: An Islamic Journey, sein 1. Islam-Buch) – 8 Sterne
1979 reist V.S. Naipaul durch vier muslimische Länder, die nicht direkt an Saudi-Arabien grenzen und den Islam erst mit Verzögerung und eventuell unter Zwang annahmen: Iran, Pakistan, Malaysia und Indonesien. In jedem Land spricht Naipaul mit Klerikern, Zeitungsmachern, Lehrern, Macht- und Privatmenschen über ihren Glauben und dessen Auswirkungen auf den Alltag. Diskussionen und viele Reisen: Zu jedem Land schreibt Naipaul (1932 – 2018) rund 80 bis 120 Seiten. Zum großen Teil schildert er seine Gespräche. Deutlich weniger Platz belegen historische Abschnitte und reine Reiseschilderungen – das Wetter, schwierige Straßen, unpünktliche Taxifahrer und immer wieder verstörender Schmutz bis hin zu Nasebohren. Auf Amazon: V.S. Naipaul Die Reiseumstände beschreibt Naipaul meist lesenswert,…
- Biographie, Bollywood, Bollywood seit 1995, Buch, Filmbuch, Gut, Hot Country Entertainment, Indien, Sachbuch
Rezension Bollywood-Biografie: King of Bollywood: Shah Rukh Khan and the Seductive World of Indian Cinema, von Anupama Chopra (2008) – 8 Sterne
Manche Anekdoten aus dieser Biografie zu Bollywood-Superstar Shah Rukh Khan klingen fast zu gut, als dass sie wahr sein könnten. Viele Charaktere erscheinen als liebenswerte Kauze, die sofort in einen Film passen. Auch andere Zufälle und Ereignisse wirken so an den Haaren herbeigezogen, dass man mal wieder über unplausible Bollywooddrehbücher lamentieren möchte. Aber vielleicht war es ja wirklich so. Die hier eingebetteten Videos zeigen die Autorin des Buchs, Anupama Chopra, im TV-Gespräch mit Shah Rukh Khan (teils nicht von Anfang an). Amazon-Werbelinks: Bollywood | Shah Rukh Khan | Priyanka Chopra Wie schreibt sie? Wie auch immer: Anupama Chopra schildert das Leben des indischen Filmstars Shah Rukh Khan sehr lebendig, leicht…
- Auswandern, Buch, Gut, Hot Country Entertainment, Interkulturell, Mediterran, Reisebuch, Sachbuch, Spanien
Rezension Andalusien-Bericht: Factory of Light, von Michael Jacobs (2004) – 8 Sterne – mit Videos
Jacobs schreibt warmherzig, liebevoll, und wir tauchen tief in die Dorfgesellschaft ein. Ein anderer Wahl-Andalusier, Chris Stewart, berichtet zwar auch sehr warmherzig – Stewart lebt jedoch isoliert am Berg und das mit Ehefrau, Kind und vielen Tieren, bekommt also weniger vom üblichen Dorfleben mit. Jacobs dagegen wohnt ohne Anhang mitten im Dorf Frailes (in einer stillosen, kaum heizbaren Kammer über einer Diskothek, deren Tristesse ihn wohl ohnehin zu Exkursionen zwingt) und luncht täglich mit der größten Quasselstrippe am Ort. Jacobs‘ Verbundenheit mit den Einheimischen erinnerte mich manchmal an Frank Schulz‘ Ouzo-Orakel. Die Bücher sind aber eigentlich nicht vergleichbar, abgesehen von den alkoholgeschwängerten internationalen Runden in Dorftavernen. Auf Amazon: Bücher zu…
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Rezension Andalusien-Berichte: A Parrot in the Pepper Tree, von Chris Stewart (2002, Teil 2 von „Driving over Lemons“) – 7 Sterne
Lebhaft, warmherzig, unterhaltsam, dazu sehr spannend und überaus lustig – ich habe selten so oft bei einem Buch gelacht, und so laut, sogar bei den kurzen Abschnitten über England und Schweden, von denen ich mir wenig erhofft hatte. Ich habe mich bald wie ein Teil der Familie gefühlt, weil Chris Stewart auch recht ehrlich schreibt und vor allem sich selbst nicht schont – wenngleich seine Selbstironie mitunter schon zu vorhersagbar klingt. Auf Amazon: Bücher zu Andalusien, Spanien, Auswandern nach Spanien Ein bisschen Nörgelei am Stil: Kaum wegzulegen, ist Pepper Tree sicher kein tiefschürfender Bericht, und gelegentlich wirken die Anekdoten und Dialoge einen Tick zu glattpoliert; gegen Ende wurde mir der…
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Rezension Andalusien-Buch: Leben im Publeo. Das 21. Jahrhundert hält Einzug in ein andalusisches Dorf, von David Baird (2004) – 7 Sterne
Dies ist kein Roman. Baird erzählt vom eigenen Leben in einem andalusischen Dorf. Er zog mit Frau in den 60er Jahren in ein baufälliges Haus und rekapituliert gut drei Jahrzehnte. Es gibt keine durchgehende Handlung, das Buch (engl. „Sunny Side Up“) erscheint sogar etwas heterogen und die Kapitel kann man weitgehend unabhängig voneinander lesen. Einzelne Kapitel wirken dabei oft wie geschlossene Kurzgeschichten oder Reportagen, und die vier Kapitel über die vier Jahreszeiten gehören natürlich zusammen. Der Untertitel „Das 21. Jahrhundert hält Einzug in ein andalusisches Dorf“ klingt zu dramatisch, denn es gibt keine große umwälzende neue Entwicklung in der Erzählung – der wesentlichste einzelne Umschwung ist die neue Demokratie nach…
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Rezension Sachbuch: Der Iran: Die verschleierte Hochkultur, von Andrea Claudia Hoffmann (2009) – 7 Sterne
Hoffmann bombadiert unermüdlich und gelehrt mit Fakten, bilanziert 3000 Jahre Geschichte und Geistesgeschichte, bis hin zum gedanklichen Fundament des Ajatollah Khomenei. Quellenangaben fehlen zumeist, dennoch wirkt die Lektüre enorm informativ. Mitunter wären freilich Tabellen oder Diagramme besser als lange Absätze, zum Beispiel bei den Unterschieden zwischen Schia- und Sunni-Islam, bei den Schia-Imamen oder bei der Abfolge der Pahlevi-Schahs. Es gibt jedoch nur eine allgemeine, gut dreiseitige Zeittafel und ein knappes Literaturverzeichnis. Das Buch endet noch vor der gescheiterten grünen Revolution 2009. [fsg_gallery id=“2″] Weg mit Klischees: Das Buch räumt mit vielen Vorurteilen auf: Die Schahs kommen sehr schlecht weg, Khomenei wird nicht von allen Geistlichen geschätzt, und Frauen, Christen und…
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Rezension Iran-Sachbuch: City of Lies, von Ramita Navai (2014, über Teheran) – 7 Sterne
Navai schreibt professionell gut, spannend (ich hatte das englische Original). Sie verschafft verblüffende Einblicke in ein völlig unbekanntes Teheran, jedesmal packend erzählt, nie mit Happy End. Sie baut Statistiken, exotische Pressemeldungen und Staatskunde gekonnt ein. Navai berichtet aus einem einzigartigen Land über die ungewöhnlichsten Figuren, die eine ehrgeizige Reporterin für den umkämpften englischsprachigen Pressemarkt auftreiben kann. Man lernt auch etwas Farsi dabei und das Buch streift Aktualitäten wie die gescheiterte grüne Revolution von 2009 und die Rohani-Regierung ab 2013. [fsg_gallery id=“2″] Wie schreibt die Profi-Journalistin? Allerdings wirken Navais fiktionalisierte Reportagen auch etwas geschriftstellert: Sie sucht gewollt dramatische Einstiege, schreibt im Präsens, pflegt einen kühl raunenden Ton, springt zwischen Zeitebenen. Und…