Der Roman zerfällt in eine Kette von Episoden, mit teils aufdringlich bedeutungsvollen Dialogen und Situationen, gelegentlich gerettet durch etwas Humor, öfter beschädigt durch Vulgarität, dumpfes Kumpeltum und Banalität. Man könnte einzelne Episoden löschen, ohne eine Lücke zu reißen. Dazu kommen schlichte Beziehungsweisheiten; Popreferenzen triggern Pawlowsche Reflexe.
Dolly Alderton schreibt offen männerfeindlich. Ihr dämlich sich im Liebeskummer suhlender Ich-Erzähler hat schon mit 35 eine kahle Stelle (vom Kleinkind Jackson als “the big egg on his head” bezeichnet). Was für ein Prachtstück ist/hat doch im Vergleich zur Hauptfigur Andy sein ungewaschener Kollege Emery:
The most stunning man I’ve ever seen. His eyes are so transfixing and enormous, his jaw so strong, his cheekbones so high and his lips so full
Der weinerliche Andy hört unkritisch fast x-beliebige Podcasts von einer Bestenliste. Andrew Tate ist offenbar nicht dabei. Und so ein Jammerlappen soll Bühnenkomiker sein? Die wenigen Auftritte, die er berichtet, laufen schlecht und nie meint man, er hätte einen Hang zu Bühne und Humor. Sein angeblich so erfolgreiches neues Programm am Buchende beeindruckt den Leser nicht. Andys Mitbewohner Morris Forster urteilt treffend:
”You don’t really strike me as a comedian.”
Er und seine Kumpels müssen sich besaufen, wenn der Lieblingsclub verliert, und nennen sich gegenseitig freundschaftlich “poor cunt” (einmal auch “bell-end”).
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Armani in den Kanal:
Gehört zu einer negativen RomCom auch kindischer Schwachsinn? Dass jemand für 160 Pfund vier Flaschen vom Armani-Lieblingsparfum der Ex kauft, um es in den Kanal zu schmeißen, glaube ich nicht, auch dann nicht, wenn er zuvor morgens um 10 schon eine Flasche Wein gepichelt hat.
Dass dieselbe absurde Figur sich ein Hausboot als Hauptwohnsitz aufschwatzen lässt, ohne es je gesehen zu haben, überzeugt mich auch nicht; dass dieses Hausboot sich als Katastrophe erweist, kommt indes erwartet und bringt Romanfutter. Dass er auch die nächste Unterkunft ungesehen zusagt, wundert mich dann wieder; dass der neue Vermieter guter Romanstoff ist: eh klar. Zuviel kalkuliertes Roman-Basteln hier.
Ich-Erzähler Andy hat Geldprobleme und kann sich nicht die gewünschte Wohnung in London leisten, aber eine Personal Trainerin und 1 Stunde bei der Psychoberaterin schon? Nun ja, die liefern immerhin auch gutes Anekdoten- und One-Liner-Material. Noch mehr kalkuliertes Roman-Basteln.
Die andere Seite:
Immer wieder wünscht man sich die Gegenposition der abtrünnigen Ex, gern auch mit Widersprüchen und Hintergründen, doch über rund 300 Seiten greint allein der weinerliche Andy vor sich hin.
Erst dann liefert der Roman einen langen, unerklärten Text aus Jens Feder – er liest sich wie ein atemloser Rückblick auf ihr Leben, klärt Missverständnisse und unverständliche Zwischenfälle – kleine Gefühlsausbrüche und Manöver der Ex, die wir jetzt erst durchschauen. Viele Gründe auch, die gegen eine Fortsetzung der Beziehung sprechen, die aber schon seit Jahren gelten und die wir längst hätten kennen sollen. Der zumeist leiernde Tonfall dieser Beichte am Buchende ermüdet jedoch, und deren Wechsel in eine dialoglastige Erzählung auf den allerletzten Seiten überrascht.
Das Buch endet nach 300 Seiten Andy-Monolog mit gut 30 Seiten einer weiblichen Ich-Erzählerin.
Sprache:
Das englische Original hat zunächst ein paar exotische Vokabeln, auf einer einzigen Seite z.B. fauxhemian und bog roll. Später v.a. Vulgäres.
Die coolen Einzeiler purzeln auf den ersten Seiten nur so aus den Zeilen, aber Jens “I’m desperate to fuck you“ läutet den Niedergang ein. Warum nennt sie die zwei wichtigsten weiblichen Figuren und beste Freundinnen Jane und Jen?
Persönliche Erklärung:
Die erste Überschrift trägt das Datum 2019. Auweia dachte ich, und ab Seite 50 dann vermutlich Corona, noch dazu in Boris Johnsons England, das brauche ich gar nicht. Stattdessen gab es eine Rückblende ins Jahr 2015 und ganz viel Herbst 2019. Auch wenn ich Rückblenden nicht mag, immer noch besser als Vorrücken in die Corona-Zeit. Ein “killer virus” erscheint erst auf Seite 336 von 344 meiner englischen Ausgabe – als einmalige Zeitungsüberschrift, welche die Akteure nicht ernst nehmen; so lasse ich mir Corona-Bezüge gefallen.
Vor diesem Buch von Dolly Alderton las ich einen langweiligen Roman von Natalia Ginzburg über langweilige spießige Dorf-Italiener nach dem zweiten Weltkrieg. Ich dachte, Alderton befreit mich aus dieser Tristesse mit Good Material; doch jetzt, wo ich Alderton abgeschlossen habe, freue ich mich auf weitere spießige Italiener von Natalia Günzburg.
Qualität | Menge | |
Handlung | 3 (von 10) | |
Konflikt | 6 | 4 |
Dialog | 6 | 5 |
Humor | 5 | 5 |
Liebe | 2 | 8 |
Erzählstimme | 5 | |
Spannung | 3 | |
Details | 5 | |
Realismus | 4 |
Assoziation:
- Andere fluffige Engländer kommen in den Sinn – Bridget Jones, David Nicholls, Nick Hornby (der auch über Brexit und über Fußballbesessenheit schrieb) – , sie sind auf unterschiedliche Art besser als Dolly Alderton
- Ja, und man kann auch an Nora Ephron denken, Alderton selbst erwähnt Ephron im Nachwort
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