Ein ruhiger, leiser, langsamer, persönlicher, menschlicher Film über sechs Erwachsene in einem Mittelschicht-Haushalt in Neu-Delhi in den 1990ern. Niemand ist glücklich.
Exzellentes Spiel:
Sensationell die schauspielerischen Leistungen: Vor allem die königliche Shabana Azmi als zunächst resignierte, dann langsam aufblühende Ehefrau; Ranjit Chowdry als verschlagener Hausdiener; und Azmis Film-Ehemann Kulbhushan Kharbanda mit seinem Religionsfimmel. Javed Jaffrey spielt den frauenverachtenden Stenz und selbstgefälligen Großstadtcowboy vielleicht etwas zu glatt und großspurig.
Nandita Das, die man allgemein viel zu selten auf der Leinwand sieht, wirkt reizend und sieht gut aus, ebenso wie Alice Poon. Das Ganze in einem scheinbar realistischen indischen Haushalt mit schäbigem Interieur und Großstadtdschungelchaos vor der Tür.
Die Beziehung zwischen den beiden Frauen entsteht etwas plötzlich, wird dann indes schön und im weiteren Verlauf nachvollziehbar und mitfühlbar gezeigt. Fire lässt sich aber nicht auf diese Beziehung reduzieren, sie beansprucht auch nicht den Großteil der Laufzeit.
Es geht nicht nur um die Beziehung der Frauen:
Fire behandelt vielmehr auch Geschlechter- und Machtverhältnisse, Familien- und indische Kultur allgemein. Die Frauen, beide intelligent und lebensstark, ordnen sich zunächst artig unter und nehmen ihren Männern alle lästigen Aufgaben artig ab. „The concept of duty is overrated“, sagt Azmi einmal, lässt sich aber dennoch zunächst von ihrem jämmerlichen Göttergatten beherrschen.
Interessant in Fire sind auch kurze Einblicke in die indische Sagenwelt, die für aktuelle Gebräuche wichtig ist, etwa das Fasten der Ehefrauen für ihren Mann. Allerdings wirken die entsprechenden Szenen mit ihrer ironischen Brechung wohl am besten, wenn man die Geschichten prinzipiell schon kennt. Fast auf der gesamten Original-Tonspur wird Englisch mit Hindi-Akzent gesprochen, das ich recht gut verstehen konnte. Blicke sind in diesem exzellent gespielten Film aber genau so wichtig wie Worte.
Ich hätte nicht gedacht, dass ich das einmal schreiben würde, aber die größte Schwäche von Fire ist die Hintergrundmusik von Großmeister A.R. Rahman. Er schüttelt bombastische Sphärenklänge aus seinen Synthesizern, als ob zehn Großraumschiffe Richtung äußere Milchstraße aufbrechen. Wenige, akustische Instrumente hätten viel besser zu den stillen Momenten gepasst.
Sehr realistisch:
Insgesamt ein intensiver, unabhängiger Film. Man hat anschließend wirklich das Gefühl, aus Indien zurückzukommen – weit mehr als bei typischen Bollywood-Tanzspektakeln unter Superreichen. Bemerkenswert in dem Zusammenhang: Fire spielt weitgehend im Haus und zeigt wenig Handlung draußen. Das hat mich weit weniger gestört als bei üblichen Bollywoodfilmen, weil die Kulissen in Fire realistischer und nicht wie Pappmaché, Bombast und preisgekrönte Art Direction aussehen.
Hier und da erinnert Fire an die Regiearbeiten von Mira Nair (die wie Fire-Regisseurin Deepa Mehta in Nordamerika lebt und in Kama Sutra ebenfalls zwei von Männern enttäuschte Frauen zusammenführt; beide Filme lösten zudem Aufruhr in Indien aus; Mira Nairs Monsoon Wedding spielt wie Mehtas Fire in Delhi, zeigt ähnliche Straßenszenen und wiederum fiese Männer; Mira Nair musste Kama Sutra ebenso wie Deepa Mehta später Water mit falschen Angaben drehen, um Probleme bei den Aufnahmen zu vermeiden).
Natürlich denkt man bei Fire auch an Streifen des Indie-Filmers Shyam Benegal, der früher oft mit Shabana Azmi arbeitete und sie mit Ankhur herausbrachte. Und an Deepa Mehtas Film Water von 2005, der weniger überzeugt.
Interessante Parallele zu Fire:
Shabana Azmi spielte eine ähnliche Figur in einer ähnlichen Familienkonstellation in Mrityudand (Regie Prakash Jha): Als unfruchtbare Ehefrau wird sie von ihrem Mann Richtung Kloster verlassen. In ihrem Haus lebt auch – wie in Fire – die jüngere Frau ihres Schwagers, diesmal Madhuri Dixit. Der Schwager taugt genauso wenig wie der jüngere Bruder in Fire, und in der frauenfeindlichen Atmosphäre freunden die beiden Frauen sich an.
Natürlich geht die Beziehung im rein für den indischen Markt gedrehten, blutigen Mrityudand lange nicht so weit wie in Fire. Azmi ist auch hier die Ältere und etwas stärker auf Tradition und Angepasstheit Bedachte, bricht aber schließlich aus ihrer vorherbestimmten Rolle aus.
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